Frische Luft, altes Theater


Die Decemberists sehen nicht nur anders aus als alle anderen. Auch ihre Songs erzählen von unerhörten Begebenheiten.

Wie gescheit, geistreich und kultiviert eine Band ist, sieht man meist an Kleinigkeiten. Vergleichen wirdas dritte Decemberists-Album Picaresque vor dem Auflegen einfach mal mit einer alten Dinosaur-Jr.-Platte: Da heißen die Songs „Get Me“, „Goin Home“, „On The Way“ usw. Bei den Decemberists aus Portland, Oregon, haben sie Namen wie „The Bagmans Gambit“. „The Mariner’s Revenge Song“ und „Eli, The Barrow Boy“ – Sänger/Texter Colin Meloy hat einen Abschluß in „Creative Writing“ und wäre gerne Theaterschauspieler, fände er nur die Zeit dafür. Das Quintett verweist gerne auf Hochgeistiges: Der Titel picaresque ist ein Link zur „picaresque novel“, dem Schelmenroman, und das Booklet der über Import schon seit einem halben Jahr erhältlichen Platte aufgebaut wie ein Theaterstück mit Band mitgliedern und Freunden in verschiedenen Rollen: Meloy als Seefahrer, Rachel Blumberg als Gespenst, Nate Ferry als der Geck. „Wir wollen nicht die typische, nerdige Indie-Band abgeben, die man vielleicht erwarten würde, wenn man die Musik hört“, erklärt Meloy, der Pressefotos mag, in denen sich die Decemberists die Gesichter schwarz angemalt haben, als musikalischer Wandertrupp posieren oder ungezwungen das Universitäre ausstellen wie Belle & Sebastian früher. „Und der Ursprung des Theaterhaften in unserer Musik ist nicht allzu schwer zu erraten. Als ich meinen Abschluß hatte, gab es für mich im Grunde genau zwei Optionen: entweder Musiker werden oder im Theaterspielen. Ich habe mich viel mit den Stücken des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts beschäftigt, Tom Stoppard etwa hat mich stark beeinflußt.“

So spricht Meloy, ganz jovialer Bildungsbürger, und da gerät man in Gefahr, etwas Entscheidendes zu vergessen: Wie klingen die denn eigentlich? Meloy erzählt, wie wichtig ihm Fairport Convention und der britische FolkderSpät-60er immer gewesen sind, stimmt aber sofort begeistert zu, als wir eine zeitlebens erfolglos gebliebene Gruppe erwähnen, der mit „In The Aeroplane Over The Sea“ 1998 ein absoluter Meilenstein des US-Folk-Pop gelang: Neutral Milk Hotel. Gehen Sie doch mal wieder an die frische Luft und suchen Sie einen echten Plattenladen auf. Mit ein bißchen Glück finden Sie dort sogar beides.

www.decemberists.com