Froon – Phoenix Aus Der Asche
SPLIFF ist tot. Es lebe die Deutsch-Englische Freundschaft FROON. ME/Sounds-Mitarbeiter Thomas Böhm feierte Leichenschmaus und Baby-Taufe gleichzeitig. Ein Lehrstück über die Suche nach einer neuen Identität.
Am Anfang stand das Ende. Das i Ende von Spliff. Das Ende kam Ende 1984, und der Patient verschied friedlich und in aller Stille – dokumentiert auf SCHWARZ AUF WE1SS.
Ein neuer Anfang war nötig. Ein Baby wurde geboren und bekam den Namen FROON. Doch bis zur Geburt hatten die Väter viel zu tun. Herwig mittereggerte nach Köln, zog mit einem netten Mädchen seiner Frankfurter Plattenfirma zusammen und spielte solo auf. „Zum Schluß halle die Band nur noch Häuptlinge und keine Indianer mehr“, lautete seine Abschieds-Erklärung.
Reinhold heilte viele Produktionen wie Nena, Cosa Rosa, Kim Wilde. Interzone und legte sich das große Sampling-Handbuch unters Kopfkissen. Potsch andalusierte mit Familie nach Spanien, und Manne praekerte dermaßen herum, daß er kurzfristig die Ärzte aufsuchen mußte.
Aber ob es nun Gewöhnung war oder Abhängigkeit, echte Freundschaft oder Haß-Liebe, irgendwie konnten die drei verbliebenen Spliffer nicht voneinander lassen. Die alten Telefonnummern stimmten noch, und so begaben sie sich zusammen auf die Suche nach einem neuen „Frontschwein“
„Nach Nina, der .Frontsau‘, halten wir uns ja therapeutisch zu Häuptlingen gekürt. Aber die mußten auch einmal in die ewigen Jagdgründe“.
erinnert sich Reinhold.
„Herwig ist sicherlich ein gutes Front-Schwein. Aber nicht mit uns als Knechten im Hintergrund“, sieht es Manne.
Das hätte er selber am wenigsten gekonnt, ergänzt Potsch.
Demokratie hin, Demokratie her – die Gesangs-Experimente der einzelnen Spliffer in der Vergangenheit sollten nach Herwigs Abgang ad aeta gelegt werden. Eine neue Stimme, ein neues Gesicht mußte einfach her. Die Band war auf der Suche nach einer neuen Identität.
Also fragten sie einen guten Bekannten, den kalifornischen Österreicher Peter Wolf, einst Keyboarder bei Frank Zappa, heute ein vielbeschäftigter Songwriter und Produzent. Wolf empfahl Lyndon Connah, das neue Froon-Schwein, pardon, Zum Schluß hatte die Band nur noch Häuptlinge und keine Indianer mehr.“ Front-Schwein aus der Beatles-Stadt Liverpool.
Schon das erste Plauderstündchen verschaffte „dem Engländer“ (Froonintern der Kosename für den neuen Sänger) den Job bei den deutschspanischen Rockern aus Berlin. „Wir lauschten uns über gemeinsame Vorlieben aus. Und die waren identisch – von Zappa bis The Fall“, erläutert Reinhold.
Lyndon aus Liverpool ist für Leute, die auch mal das Kleingedruckte auf den Schallplattenhüllen lesen, kein unbeschriebenes Blatt. Er arbeitete als Co-Writer, Keyboarder und Drummer für Thomas Dolby, Julian Cope. David Sylvian, Wham! und Iggy Pop.
Der Junge hat schwarzes Gold in der Kehle und hört sich doch nicht so an wie eine blasse Kopie bekannter Soul-Größen. Lyn hat eine extrem hohe Reichweite in der Stimme, die selbst Jimi Somerville oder Barry White ins Schwitzen brächte.
Nach Herwigs Schärfe, Reinholds kühler Rap-Stimme. dem Genuschel von Potsch und Mannes wehmütigem Slow Motion-Gesang sorgt Lyndon für Charakteristik und Wiedererkennungswert. Kein Zweifel: Die Truppe ist homogener geworden.
Obendrein hatte er zwei schöne Songs im Reisegepäck und ließ sich von den anderen Froonern zu weiteren Texten inspirieren. Ton für Ton wurde die Vergangenheit bewältigt, gelöscht und für die Zukunft komponiert. Der neue Stoff ist funky, rockig, poppig, rhythmisch exzessiv, steckt voller Effekte und Überraschungen.
Die Froon-Debüt-LP ist das in Vinyi gepreßte Ergebnis einer Reihe innovativer Studio-Happenings, demnach kein Konzeptalbum.
Jetzt zahlte es sich aus, daß Reinhold, Manne und Potsch die gute Kohle vergangener Spliff-Tage in kleinen, aber feinen Home-Studios angelegt hatten. Hier konnte, ohne auf die Uhr schauen zu müssen, experimentiert werden; die Grundzüge der neuen Musik wurden transparent.
Die Produktion im gemeinsamen Studio in Moabit war aufwendig, trotzdem gelassen. Die Band arbeitete ohne jeglichen Veröffentlichungs-Druck und war die Hälfte der Zeit über auf der ganzen Welt verstreut. Aus der holten sie sich auch junge, talentierte Studio-Musiker, die neuen Froon-Knechte. Mit Gavin aus London und Marc aus Sydney fanden sich zwei Drummer, die Herwig ersetzen konnten. Ihm gehören noch einige Becken-Schläge auf der LP.
Das impulsivste Happening heißt „Bobby Mugabe“. ist ein afrikanischer Quirl im modernsten House-Sound mit der Power der neuen DJ-Cuts – und die erste Single. „Der Song entstand aus einer dussligen Idee“, erzählt Reinhold, „und hat eigentlich nichts mit den Problemen in und um Südafrika zu tun.
Jeder von uns machte eine absolut hemmungslose Solo-Performance im Studio. Das haben wir gepickt, einzelne Ereignisse herausgezogen und kollagiert. Ein komisches Ereignis. Man hat das Gefühl, hier flippt jeder einen Teil seiner Persönlichkeit aufs Band. Dasfroont total direkt.“
Die Froon-Sprache ist englisch. Die Erklärung auch für diesen Sinneswandel eher lapidar. Potsch: „Lyn schreibt auf Deutsch einfach beschissene Texte. “ Alles klar?
Manne ergänzt: „Die Platte soll nicht im deutschen Markt hängenbleiben. Bei der Musik würde es mich auch wirklich wundern.“
Die Frooner sind locker, abgeklärt, aber abenteuerlustig. Das ist gut so, denn Froon ist ein Abenteuer. Mit Risiken. Man weiß von anderen: Die Vergangenheit kann die Zukunft fressen. Angst hat keiner im Musiker-Lager, Spannung ist das Wort der Stunde. „Wir sind einiges gewöhnt, und schließlich handelt es sich nicht um unseren ersten Sprung ins kalte Wasser“, macht sich Potsch Mut und besinnt sich auf den Kampfgeist aus alten Lok Kreuzberg Zeiten.
In der Tat, bei Nina stand allen der Mund weit offen vor Staunen, bei der Radio Show auch – und bei „85555“ erst recht. Nur – damals waren die Abstände kürzer. Aber – damals, wie heute: Die Mischung macht’s, und die stimmt bei Froon. Manne und Potsch, zwei gestandene Rock ’n‘ Roller, mit allen Wassern gewaschen, mit der Erfahrung der Straße im Background. Reinhold und Lyn, zwei Techno-Freaks, die ihre Seele trotzdem nicht bedingungslos den Maschinen verkauft haben.
Aber was zum Teufel bedeutet eigentlich Froon?
Zuerst einmal ist es ein Wort, vor dem man sich nicht scheut, es auszusprechen. Es klingt angenehm dunkel, läuft gut durch den Mund. Froon entstand bei einem der zahlreichen Brainstorms zwischen Alicante, London und Berlin. Froon ist eine Idee, ein Spiel, für das jeder seine eigenen Regeln aufstellen kann.