Fuck… äh… you!
Die englischen Wochen sind vorbei: Acht Jahre nach Alternative Rock und vier nach Britpop haben amerikanische Rocker in den Charts wieder die Vorherr- schaft übernommen. Und bringen mit althergebrachten Bürgerschreck-Traditio- nen die Kids hinter sich.
Patsy Kensit verlässt Liam Gallagher, selbst Noel kann das Genöle seines Bruders über Rock ’n‘ Roll und Schampus nicht mehr hören. Und Richard Ashcroft trägt seine teure Western-Gitarre trällernd durch den Regen, wie der Rattenfänger von Hameln, nur folgt ihm keiner dabei…
Schluss also mit der Brit-Pop-Hängerei! Im Jahr 2000 waren die Amis wieder am Zug. Nicht mit Herzschmerz und dekadenter Langeweile: Sie gingen dahin, wo es weh tut. Limp Bizkit-Frontmann Fred Durst, stets unterwegs in Sachen „Anger Management“, durchschaute die Sache schnell. Ob bei Baywatch oder Woodstock: Junge Amerikaner mögen Muckis, Tattoos und geballte Fäuste – wenigstens aber wollen sie die volle Entertainment-Breitseite. Mama ist nur am Motzen, die Idioten in der Schule begreifen nicht, dass drei vorgegebene Antworten im Multiple Choice-Test einfach zwei zuviel sind. Die Kids suchen nach einer Antwort, Durst hat sie: Fuck You!!! Untermalt mit HipHop-Beats und Metal-Riffs grölte Durst gegen die Easy Listening-Trostlosigkeit der Mails an, bis die khakifarbenen Hemden im Regal bei Gap vom Stapel kippten. Die Jungs vom jüngsten Charts-Überflieger Papa Roach setzen verglichen dazu weniger auf Aggression um ihrer selbst willen, als vielmehr auf Schreien aus Verzweiflung.
Aber just diese Mischung aus Adrenalin und einem thematischen Aufhänger brauchte es 2000, um die Nöte der Heranwachsenden zu kanalisieren. Freds Kumpel Jonathan Davis verpackte mit Korn Pop-Songs mit Nu-Metal-Flair in ein finsteres Psycho-Gebräu rund um verwirrte Ziellosigkeit – Schreien im dunklen Wald hilft gegen Angst, und der lila Pailletten-Anzug von Adidas gegen die abendliche Kälte bei den Gartenparties von Playboy-Chef Hugh Hefner. Leiden also – aber dabei gut aussehen.
Das Metal-Lager hat kapiert, was Sache ist. Krach alleine reicht nicht. Jede der erfolgreichen Bands versteht es, die Musik mit Bildern bzw. Botschaften dazu zu verkaufen. Marilyn Manson schockt mit androgyner Ekel-Ästhetik, Slipknot mit karnevalesker Maskenshow, Blink 182 unterhalten mit Lausbubenscherzen für die Bravo-News-Ecke und Kid Rock nutzt mit Bikini-Girls, heißen Öfen und Explosionen die Rock-Masche schlechthin: Gewaltig auf dicke Hose machen und dazu die Matte kreisen lassen.
Böse sein ist dabei das A und O, auf wen oder was ist erstmal Nebensache. Da nimmt man als Rock-Kid dann sogar den HipHop-Kollegen Eminem ins Boot – so unflätig-eloquent wie der kann schließlich kaum einer seiner Rock-Kumpanen schimpfen. Mal ehrlich: Wie soll denn da ein tropfnasser Ashcroft mit Klampfe mithalten?