Fürst der Finsternis


Alice Cooper

Old School 1964-1974

Universal

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(Glam-)Rock: Eine bis zum Rand gefüllte Multimediabox voller Überraschungen. Die frühen Jahre der „Schockrocker“ auf vier CDs und mehr.

Sie verbreiteten Angst und Schrecken wie die Pest im Mittelalter. Als personifizierter Alptraum jeden Spießbürgers galt das Quintett aus Phoenix, Arizona bei seinem weltweiten Durchbruch im Jahr 1972 mit der hypnotischen Teenage-Angst-Hymne „School’s Out“ – lange bevor Secondhand-Schreckgestalten wie Marilyn Manson, Gwar und White Zombie sich jeweils als die legitimen Erben Alice Coopers ausgaben. Provokant, unberechenbar, dreist, wild, wüst und ungestüm entwarfen Alice Cooper ihren skurrilen, bizarren und absurden Dada-Rock’n’Roll inklusive opulent konzipierter Horrorshow-Szenarien. Und das in einer Zeit, als „Anderssein“ noch als Ausnahme galt, die die gesellschaftliche Norm bestätigte. Im Mittelpunkt des bewussten Tabubruchs und der choreografierten Kampfaktionen der martialisch kostümierten Band agierte jener charismatische Frontmann, der seinen bürgerlichen Namen Vincent Damon Furnier in ein zweideutiges Pseudonym änderte, das zuerst lediglich als Bandname fungierte: Alice Cooper – was längst zu einem Markenzeichen geworden ist. Coopers sexuelle Identität blieb in der Ära des Glam-Rock so offen und unergründlich wie der Reißverschluss seines hautengen Ganzkörpertrikots.

Alice Cooper mag Jahrzehnte zwischen kreativen Hochs und Tiefs künstlerisch unbeschadet überstanden haben – und doch gesteht sich der mittlerweile 63 Jahre alte Schock-Rock-Veteran ein: Die Siebzigerjahre, in denen er im Gespann mit Schlagzeuger Neal Smith, Bassist Dennis Dunaway sowie den Gitarristen Michael Bruce und Glen Buxton sich als hinterhältiger Captain Hook des Rock erfand, waren die aufregendste Zeit seines Lebens. Jüngst, bei seiner Aufnahme in die Rock’n’Roll Hall Of Fame, zeigte sich Cooper wieder mit den ehemaligen Bandkollegen. Am Anfang deutete nichts hin auf die späteren theatralischen Finessen, als sich die an der Universität von Phoenix konstituierte Studentenformation von The Erwigs erst in The Spiders, dann Nazz und schließlich 1968 in Alice Cooper umbenannte und von Phoenix erst nach Los Angeles, dann nach Detroit zog, um sich schließlich in Connecticut niederzulassen. Mit einer Prise Grande Guignole, einem Hauch Gothic Horror und einer ordentlichen Portion blutrünstigem Splatter reüssierten Alice Cooper. Fortan inszenierte sich das Quintett als glamouröse Broadwayattraktion mit Querverweisen zur „West Side Story“, funktionierte parallel aber auch als abgründiges Spektakel zwischen Kuriositätenkabinett und Freakshow.

Chronologisch folgt das im Stil einer Schulbank designte Box-Set Old School 1964-1974 – eine Reminiszenz an das legendäre Cover des Bestseller-Albums School’s Out – dieser rasanten Entwicklung. Nicht nur anhand eines penibel geführten 64-seitigen Jahrbuchs im Hardcover mit zahllosen Fotoraritäten und sämtlichen Daten. Vor allem vier CDs, gefüllt mit Singles, Demos, Proberaum- und Konzertmitschnitten, Songs im Stadium der Vorproduktionen, Radiowerbung und Interviews, veranschaulichen die Metamorphose von Alice Cooper weit über das immer wieder gestellte Fragenpaket hinaus: Was bedeutet der weibliche Bandname, woher stammt er, und wer hat ihn erfunden?

Anfangs pflegte Alice Cooper ein Transvestiten-Image, zeigte sich im Paillettenkleid mit platinblonden Haaren. Danach folgte der Abstieg in die Niederungen des Schockrocks – Alice Cooper im hautengen schwarzen Catsuit, einer um den Hals geworfenen Boa Constrictor und einer pechschwarzen Zottelfrisur. Als mindestens ebenso wichtig wie der konsequent betriebene Mummenschanz erwiesen sich zwei Schlüsselfiguren im Umfeld der Band: Manager Shep Gordon hievte die Formation per hochdotiertem Vertrag bei Warner Bros. ins Luxusleben. Produzent Bob Ezrin formte aus knappen Ideen, wie zahllose Demos für die hochkarätigen Alben Love It To Death, School’s Out und Muscle Of Love unterstreichen, zeitlose Rock’n’Roll-Kleinode wie „I’m Eighteen“, „Desperado“, „Be My Lover“ und „School’s Out“.

Weitere Fakten für die Ewigkeit liefern das sowohl als CD wie auch als LP beigelegte Live-Bootleg Killer In St. Louis von 1971, eine DVD mit drei Dokumentationen sowie die Replika der 7-Inch-Vinyl-Single „Wonder Who’s Loving Her Now?“ / „Lay Down And Die, Goodbye“ von Nazz. Gefüllt wird die Luxus-Schulbank mit weiteren Gimmicks: Replikas von zwei Tourprogrammen, drei Konzerttickets, einer Setlist, fünf großformatigen Drucken und einem Download-Zugang für den Videoclip von „Elected“.

Zu guter Letzt wird einem einzigen glücklichen Käufer auch noch göttlicher Segen zuteil: Eine Box enthält ein goldenes Ticket, das eine persönliche Begegnung mit Alice Cooper garantiert. Na, wenn das kein Kaufanreiz ist.

„Ich galt als der Leibhaftige“

Vier Fragen an Vincent Damon Furnier, der jetzt auch offiziell Alice Cooper heißt.

Stimmt es, dass Sie Ihren bürgerlichen Namen Vincent Damon Furnier offiziell in Alice Cooper haben abändern lassen?

Ja, in meinem Ausweis steht Alice Cooper, was ich mir 1968 als Bandnamen ausgedacht habe. Inspirieren ließ ich mich durch die Haushälterin in der Sitcom „Mayberry RFD“.

Am Anfang kleideten Sie und Ihre Musiker sich wie Transvestiten.

Alice Cooper nahmen den androgynen Trend um Jahre vorweg. Das Theatralische entwickelte sich nach und nach. Wir liebten TV-Serien wie „The Addams Family“. Einen Schlüsselmoment gab es im September 1969, als wir auf dem Toronto Rock And Roll Festival spielten: Ein Huhn verirrte sich auf die Bühne. Ich wollte es in die Menge fliegen lassen. Doch es kam nicht weit. Das Publikum riss es in Stücke. Da begriff ich den eigenartigen Reiz von Schock, Blut und Horror. Die Nische des Schurken war damals unbesetzt. Was in den Metropolen funktionierte, war aber im Mittelwesten verpönt. Ich galt als der leibhaftige Satan. Zumal ich ja auch noch mit einer Schlange hantierte und auf dem elektrischen Stuhl, am Galgen und unter der Guillotine den Bühnentod starb. Auf Tour bekamen wir im Bible Belt von aufgebrachten Rednecks oft Prügel angedroht.

Über Nacht kam der Erfolg – und für Sie eine jahrzehntelange Liaison mit dem Alkohol, die Sie fast umgebracht hat.

Was als Laster begann, wurde Gewohnheit und letztendlich zur Sucht. Ich habe mehrere Entziehungskuren gebraucht, um vom immensen Alkoholkonsum runterzukommen. Geholfen hat mir schließlich mein starker Glaube. Vor allem aber meine Frau Sheryl, die ich 1975 kennenlernte.

Sie sind im Februar 63 Jahre alt geworden. Was treibt Sie an, wie halten Sie sich fit?

Ich rauche und trinke nicht, nehme auch keine Drogen, aber ich treibe auch keinen Sport. Ich muss auf Tournee nur zwei Stunden am Abend Konzentration und Kondition zeigen. Von der Sauferei habe ich keine Schäden zurückbehalten. Ich bin topfit und fühle mich heute wesentlich wohler als in meinen Zwanzigern und Dreißigern. mik