Ganz schön potent


Aus den deutschen Kinos ist sie längst nicht mehr wegzudenken. Nun aber ist Franka Potente auf dem Sprung zur internationalen Karriere. Ab 26. Juli ist sie mit Johnny Depp in dem Streifen "Blow" zu sehen.

Die Haare wehen im Wind, das Hemd ist offen und der Blick in die Ferne gerichtet. Johnny Depp sieht auf dem Gemälde an einer Hauswand in Las Feliz aus wie ein junger Revolutionsheld. Ein tolles Fotomotiv für Touristen – fand auch Franka Potente, die sich mit ihrer Kollegin Monet Mazur davor aufnehmen ließ. Die beiden wirken winzig vor dem Star, fast wie zwei Schulmädchen auf großer Fahrt. Nichts lässt erahnen, dass diese schüchternen Blondinen mit dem Mann hinter ihnen mehr verbinden könnte als eine schwärmerische Bewunderung. Doch als das Foto entstand, arbeiteten alle Drei gerade gemeinsam an dem Film „Blow“. Als sie sich darin zum ersten Mal begegnen, sind die Proportionen genau umgekehrt: Die blonden Frauen schauen von einem Balkon auf Johnny Depp herab. Sie fragen, ob sie ihm und seinem dicken Freund helfen können. Und ob sie das können: Die Stewardess Barbara (Franka Potente) fuhrt den planlosen Kleindealer George (Johnny Depp) in die Drogenszene ein – und wird seine Geliebte. Man braucht eine Weile, bis man Franka Potente erkennt in ihrer ersten Hollywood-Produktion. Das liegt nicht nur an den Haaren, die bei ihr ja häufig Länge und Farbe wechseln, sondern vor allem an ihrem geradezu perfekt amerikanischen Habitus. In ihren Bewegungen und ihrer Stimme finden sich keine Spuren mehr von Sissi aus Wuppertal, Paula aus Heidelberg oder Lola aus Berlin, die sie gespielt hat.

Barbara auf LA. zu werden, war eine große Anstrengung für die 27-Jährige – obwohl sie die USA gut kennt: Mit 17 ging Franka Potente ein Jahr lang in Texas zur Schule und absolvierte das komplette Programm eines Highschool-Girls, inklusive Boyfriend, mit dem es ihr durchaus Ernst war. Auch später hat sie das Land immer wieder besucht und gerne Englisch gesprochen. Als sie sich dann für „Blow“ einen kalifornischen Akzent antrainieren sollte, dachte sie sich: Das kriege ich ganz schnell hin – „aber das war überhaupt nicht so.“ Zwei (teilweise sehr frustrierende) Monate lang arbeitete sie mit einem Dialect Coach, bis ihr endlich der richtige Dreh gelang: „Ich habe gemerkt, dass ich einfach den Mund viel weiter aufmachen muss beim Sprechen. Das war mir zunächst ein bisschen zuwider, denn daher kommt das leicht Übertriebene der Amerikaner, mit dem ich mich manchmal schwer tue. Doch als ich mich darauf einließ, ging auch die ganze Körpersprache mit,“ sagt Franka Potente und öffnet den Mund dabei nur so weit wie nötig. Sie wirkt inzwischen auch in diesem Punkt wieder ganz europäisch.

Die Haare sind kun, schwarz und an diesem Tag im Berliner Hotel Adlon leicht verwuschelt. Mit schwarzem Rock, schwarzer Bluse, roter Netzstrumpfhose und Motorradstiefeln würde die junge Frau besser auf ein Grunge-Konzert passen als auf ein klotziges Sofa zwischen holzgetäfelten Wänden. Sie ist freundlich, raucht ein bisschen und gibt sich Mühe mit ihren Antworten. Die werden manchmal lang, und es kommen gelegentlich lustige Wörter wie „profund“ darin vor. Wenn Franka Potente von den Dreharbeiten in Kalifornien und Mexiko spricht, klingt es ein bisschen so, als hätte sie an einem schönen Schulausflug nach Amerika teilgenommen. Besonders gut verstand sie sich dabei mit den anderen „Austauschschülern“ aus dem Ausland, die sich ebenfalls mit dem Amerikanischen und dem Rauchverbot herumschlugen, zum Beispiel Penelope Cruz und Jordi Mollá (Spanien) oder Rachel Griffiths (Australien). Zur Gastfamilie gehörte neben Johnny Depp auch „Goodfella“ Ray Liotta. „Die beiden waren die Berühmten am Set und wir anderen so drum herum,“ erinnert sich Potente. Abseits der Arbeit hatte sie mit Depp nicht viel Kontakt. Aber der Dreh war spannend genug. Schließlich gibt es in „Blow“ einige recht innige Szenen zwischen den beiden – da wurde es Franka Potente zwischendurch doch mal ein wenig mulmig: „Wir sollten uns küssen, er stand ganz nah vor mir, und ich habe plötzlich nur noch gedacht: Mensch, Franka, das ist lohnny Depp. Hilfe, was mache ich hier bloß? Da ist mir richtig schlecht geworden.“ (dpa-Zitat) Nach etwa einer halben Stunde stirbt Barbara in „Blow“ an Krebs. Diesen recht plötzlichen Tod findet Franka Potente allerdings nicht weiter schlimm. Im Gegenteil: Ihre erste Rolle in einem amerikanischen Film sollte vor allem überschaubar sein. „Ich wollte ausprobieren, wie das ist, dort zu arbeiten, ob ich das kann und ob ich das will. Ich hatte keine Lust, mich dabei dauernd überfordert oder gestresst zu fühlen,“ sagt sie. Schaut man sich das Ergebnis auf der Leinwand an, kann man sagen: Klassenziel erreicht, eine rundum solide Leistung. Natürlich ist auch die international schon lange nicht mehr beachtete deutsche Filmbranche mächtig stolz darauf, mal wieder ein wenig von sich reden zu machen. Für viele ist Franka Potente jetzt schon „unsere Frau für Hollywood“ (Der Stern). In der Tat ist sie die erste deutsche Schauspielerin seit Marlene Dietrich, die in Lolas Leben

großen amerikanischen Produktionen mitspielt und das Potenzial hat, im Filmwunderland erfolgreich zu sein. Aufmerksam wurden die Amerikaner, als „Lola rennt“ („Run Lola Run“) 1999 beim Filmfest in Seattle zum besten Film und beim renommierten Indiefestival Sundance zum Publikumsliebling gekürt wurde. In den Kinos schaffte es „Lola“ zum erfolgreichsten deutschen Film seit „Das Boot“ (1981). Danach bekam die schnelle Frau mit den roten Haaren mehrere Angebote. Doch es waren vor allem Actionfilme, weshalb Franka Potente nirgends zusagte: „Das Martialische, Körperliche ist nicht so mein Genre. Aber drüben dachten sie eben: Einen Film in der Art hat sie gemacht, besetzen wir sie wieder so.“ Einen anderen Schluss zog „Blow“-Regisseur Ted Demme, denn ihn faszinierte an „Lola rennt“ gar nicht das Tempo. „Franka macht so viel mit ihren Augen, es ist, als spiele sie in einem Stummfilm,“ schwärmte er.

Mittlerweile hat Franka Potente bereits in einer zweiten großen US-Produktion mitgewirkt. „The Bourne Identity“ heißt der Thriller, in dem sie eine Deutsche an der Seite von Matt Dämon spielt. Und auch diesmal küsst Franka Potente ihren Filmpartner. Für sie selbst ist das alles aber noch lange kein Grund auszuflippen. Beim Thema Hollywood gibt sich die Wahlberlinerin zurückhaltend, betont, dass sie sich nur mal ausprobiere, dass ihr die USA eigentlich zu oberflächlich seien und das Essen dort grauenvoll schmecke. Die Vorstellung, ganz dort zu arbeiten, lockt sie keineswegs. „Ich glaube nicht, dass sich die Frage gerade stellt, aber wenn es wieder ein gutes Projekt gibt – mal sehen. Ich weiß, dass ich wahnsinniges Heimweh hätte. Lind meine Wohnung würde auf jeden Fall hier bleiben“, sagt Franka, und man glaubt ihr das sofort. Vielleicht weil sie den letzten Satz besonders betont, vielleicht auch weil sie sich selbst als „Kontroll-Freak“ bezeichnet. Und der „I love NY“-Button an ihrer Jeans-Handtasche wirkt ebenfalls nicht wie die Ankündigung einer Eroberung, eher wie ein Fan-Statement.

Franka Potente ist in vielen Dingen bodenständig und realistisch. Sie trägt gerne Schuhe mit einer breiten Sohle, weil ihr das Gefühl einer sicheren Basis „lebenswichtig“ ist. Einen großen Anteil an dieser Haltung hat ihre Herkunft: Franka Potente wuchs – wie sie sagt „behütet“ – in der Kleinstadt Dülrnen südlich von Münster auf. Ihre Mutter ist Medizinisch-Technische Assistentin und ihr Vater Lehrer – der Nachname stammt von einem sizilianischen Ururgroßvater. Einen jüngeren Bruder hat sie, dem sie ab und zu etwas vorspielte. Außerdem sparte sie auf ein Pferd, doch das Geld ging dann für Star-Wars-Figuren drauf. Franka interessierte sich sowieso mehr für Handball. Sie war erste Torhüterin bei Greven 09 und „recht gut.“ Ansonsten ging es um Klamotten, Ausgehen und Musik – eine absolut unspektakuläre Teenagerzeit also. Drogen spielten keine Rolle. Und selbst als sie einmal versuchte, mit einer Freundin einen kleinen Haschischrausch zu bekommen, funktionierte das nicht: „Wir hatten uns etwas aus Holland besorgt und wussten gar nicht, was man damit machen muss,“ erinnert sie sich schmunzelnd. „Ich habe damals noch nicht geraucht, und so taten wir es in einen Tee. Meine Freundin bekam einen Pseudolachanfall. Ich habe gar nichts gemerkt und mir nur die ganzen Fitzel aus den Zähnen geknibbelt.“ In „Blow“ hat meistens jemand einen Joint in der Hand oder eine Nase im Koks. Doch für Franka Potente ist das auch heute noch kein Thema. „Drogen interessieren mich einfach nicht,“ sagt sie und fügt hinzu, dass sie zugedröhnte Leute „unattraktiv“ findet. Wenn sie mal ein bisschen über die Stränge schlägt, geht das auch mit legalen Substanzen: Ein riesiges Eis essen oder den ganzen Tag fernsehen zum Beispiel. Nach anstrengenden Dreh- oder Promotionarbeiten habe sie manchmal Phasen, in denen sie in eine fast pubertäre Antihaltung verfalle: „Ich sage dann: Ahh, ich muss jetzt gar nichts, nicht drehen und auch keine Scheiß-Diät machen. Ich kann jetzt aussehen, wie ich will und reden was ich will.“ Zur Veranschaulichung lehnt sie sich beim Sprechen auf dem Sofa weit zurück und schiebt mit den Armen die imaginären Forderer von sich. Auch Regisseur Tom Tykwer, der seit „Lola rennt“ ihr Lebensgefährte ist, kennt diese Seite an ihr. Er hat seine Freundin so beschrieben: „Franka hat was Normales, Menschliches, das jeder kennt. Und gleichzeitig kann sie total durchknallen, fast Amok laufen.“ In der Öffentlichkeit ist diese Eigenschaft kaum sichtbar. Doch ein bisschen kann man sie erahnen, wenn man die Westfälin plötzlich mit Glatze sieht, ein Tattoo auf ihrem Schulterblatt erblickt oder liest, dass sie schnell Auto fährt und dabei laut flucht.

Ein wenig rebellisch, unangepasst – Franka Potente erscheint genau im richtigen Maße unbrav. Sie balanciert souverän zwischen Zickigkeit und Langweilerei. Und das ist weniger Kalkül als instinktives Gespür für die Anforderungen an einen weiblichen deutschen Star. Das unterscheidet sie von Kolleginnen wie Katja Riemann, die inzwischen als Diva mit seltsamen Ambitionen gilt, oder Jasmin Tabatabai, die für ein Massenpublikum oft zu sperrig und selbstbewusst erscheint. Auch bei der Rollenauswahl hat Franka bisher gutes Gefühl bewiesen: Seit ihrem Debüt in Hans-Christian Schmids „Nach fünf im Urwald“ vor fünf Jahren hat sie erst ein einziges Mal danebengegriffen, mit „Die drei Mädels von der Tankstelle“. Und auch wenn ein Film mal zwiespältig aufgenommen wird wie zuletzt Tykwers „Der Krieger und die Kaiserin“, dann bekommt ihre Leistung meist dennoch ein Lob. Die Entscheidung für oder gegen eine Rolle trifft sie letztlich ganz alleine. Und wenn ihr Freund („Der Mann meines Lebens“) und ihre Agenten anderer Meinung sind, ist ihr das egal: „Ich muss ja letztlich da stehen und mich zwei, drei Monate damit auseinander setzen. Dabei hilft mir dann auch keiner.“ Mit einer solchen inneren Sicherheit kann man, wenn die Umstände stimmen, weit kommen – vielleicht sogar in die Nähe der großen Marlene Dietrich. Eine Gemeinsamkeit haben der blaue und der rote Engel jetzt schon: Nach ihren jeweils berühmtesten Rollen wurde der lange Zeit namenlose deutsche Filmpreis „Lola“ benannt.

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