Gassenhauen mit den Hothouse Flowers
Auf der Straße fingen sie an, auf der Straße fühlen sie sich noch immer zuhause. Auch wenn die einstigen Straßenmusiker aus Dublin inzwischen die Pop-Paläste erobert haben, sind ihre volkstümlichen Qualitäten dabei nicht verlorengegangen. ME/Sounds-Redakteur Michael Weilacher mischte sich auf Dublins Straßen unter die verzauberte Gefolgschaft.
Es ist Samstagabend in Dublin, und die Hothouse Flowers machen ihrem Namen alle Ehre: Beim ersten Heimspiel nach einer Pause von anderthalb Jahren herrschen im Olympia Theatre Treibhaus-Temperaturen. Von der sprichwörtlichen Gelassenheit der Iren ist an diesem Ort nichts zu spüren. Schon beim ersten Song hält’s das Publikum nicht mehr auf den roten Veloursesseln des einst ehrwürdigen Musentempels – stehende Ovationen bereits zu Beginn einer zweistündigen Show, die musikalisch irgendwo zwischen Van Morrison und Bruce Springsteen angesiedelt ist. Die ekstatische Lady in Reihe 14 jedenfalls verpaßt mir mit ihrem frisch ondulierten Blondschopf immer wieder haarige Streicheleinheiten, während ein bierbäuchiger Guinness-Trinker hinter mir derart die Kontrolle verliert, daß die schwarze Brühe aus seinem Pappbecher schwappt und mein blütenweißes T-Shirt mit einem hinreißenden Muster verziert – Saturday Night Fever mit den Hothouse Flowers.
Einige Stunden zuvor, am Samstagmittag, hatte die Band schon einmal das Bad in der Menge genossen. Sänger Liam O’Maonlai, Gitarrist Fiachna O’Braonain und der Rest der Treibhaus-Truppe ließen als Straßenmusiker im Zentrum von Dublin alte Zeiten hochleben. Bevor Liam und Fiachna zusammen mit dem Bassisten Peter OToole (Schlagzeuger Jerry Fehily und Saxophonist Leo Barnes stießen erst später dazu) die Hothouse Flowers gründeten, hatten sie sich in den Straßen ihrer Heimatstadt die ersten Pennies mit einer Mischung aus irischer Volksmusik und amerikanischen Rockballaden verdient. „Das war so eine Art gälischer Blues“, erzählt Liam verschmitzt. „Die Auftritte in den Fußgängerzonen waren damals ungemein wichtig für uns, denn dabei merkst du sehr schnell, wie gut du wirklich bist: Wenn du Scheiße spielst, bleibt nämlich kein Aas stehen.“
Inzwischen müssen Liam & Co. mangelndes Interesse an ihrer Musik nicht mehr fürchten. Als sie am hellichten Mittag singend die Grafton Street herunterziehen, eine für den Autoverkehr gesperrte Shoppingmeile, nimmt die Szene bald bedrohliche Züge an. Innerhalb von Minuten umringen Hunderte von Schaulustigen die neuen Helden ihrer Stadt. Eine Hausfrau gesetzteren Alters, die mit Plastiktüten vollgepackt gerade aus einem Laden kommt, läßt sich – für irische Verhältnisse wenig sittsam – zu einem intimen Geständnis hinreißen:
„Für mich seid ihr Jungs alle Sex-Götter“, ruft sie den fünf Hippies mit Dreitagebart zu. Schlagzeuger Jerry Fehily wehrt vorsichtshalber ab: „So sexy bin ich nun mich wieder nicht, Lady. Sie sollten mich mal in meinem gestreiften Schlafanzug sehen.“
Auf der Anhöhe vor der „Christchurch“. neben „St. Patricks“ die zweite Kathedrale Dublins, geht’s weit weniger turbulent zu. Der Stadtteil ist an diesem Wochenende für den Verkehr weiträumiggesperrt. „Aus Sicherheitsgründen“, wie der „Irish Independent“ schon vor Tagen vermeldet hat. Denn die irische Hauptstadt ist Schauplatz eines EG-Gipfeltreffens. Neben Maggie, Francois, Helmut und ihrem bedeutungsvoll blickenden Anhang dürfen nur ein paar Auserwählte das Sperrgebiet betreten. Unter ihnen erstaunlicherweise auch die Hothouse Flowers. Ein Polizist kennt die Truppe „aus dem Fernsehen“, wie er zwischen zwei Personenkontrollen erzählt, und läßt sich von Liam noch schnell ein Autogramm geben.
Aber auch der Fernsehstar hat ein Anliegen: „Paß bloß auf, daß uns deine Kollegen, die hier auf die hohen Herren aufpassen, nicht für entsprungene Häftlinge halten.“ Dies Mißverständnis ist freilich kaum zu befürchten, denn erfahrungsgemäß singen nur die wenigsten Knastbrüder auf offener Straße fromme Lieder. Die Hothouse Flowers versuchen sich an diesem Tag – auch zur Freude der staatlichen Ordnungshüter – an dem Spiritual „Swing Low Sweet Chariot“.
Mitten im Regierungsviertel tun es die Hothouse Flowers dann erst mal den Politikern gleich – sie legen eine Pause ein. In einem schäbigen Pub unweit der vornehmen Dame Street singt Fiachna O’Braonain bei einem Eimer Guinness das Hohe Lied auf Dublins Kneipen-Kultur: „In unseren Pubs findest du sofort Anschluß. Die Menschen hier gehen auf Fremde zu, wollen wissen, was sie treiben und woher sie kommen. Außerdem wird an jeder Ecke Live-Musik geboten.“
Fiachnas erste Wahl in Sachen Live-Entertainment ist das „O’Donoghue’s“ in der Merrion Row. Glaubt man dem Wirt, absolvierten in dieser Kneipe schon die legendären Dubliners ihre ersten Auftritte. Eine weitere Empfehlung des trinkfesten Gitarristen: der „Blue Light Pub“ am Stadtrand von Dublin. Der Bekanntsheitsgrad dieser Kneipe stieg schlagartig an. nachdem U2-Bassist Adam Clayton dort im August ’89 mit 19 Gramm Marihuana erwischt worden war.
Sieht man mal von ihrer gemeinsamen Vorliebe fürs „Blue Light“ ab. so verbindet die Hothouse Flowers mit ihren weltberühmten Landsleuten heute allerdings nur noch wenig. „Klar, U2 haben uns in der Anfangszeit auf die Füße geholfen, indem sie uns bei der Produktion unserer Debüt-Single ‚Love Don) Work This Way‘ unterstützt haben“, räumt Fiachna ein, „aber ansonsten ist das doch eine ganz andere Band. Die machen ihre Musik, wir machen unsere. Basta.“
Leicht genervt nimmt Fiachna einen kräftigen Schluck von der schwarzen Suppe, die in Irland als Bier verkauft wird. „Weißt du, die ständigen Vergleiche mit U2 können einem schon auf die Eier gehen. Beide Bands stammen aus Dublin, okay, aber das gibt’s doch auch in anderen Städten. Nur in unserem Fall wird ständig darauf rumgeritten. „
So viel Empfindlichkeit läßt Konkurrenzneid vermuten, aber diesbezüglich winkt O’Braonain gleich ab: „Den Jungs von U2 sei ihr Erfolg herzlich gegönni, aber tauschen möchte ich mit denen nicht. Die haben doch überhaupt kein Privatleben mehr, können nicht mal mehr in eine Kneipe gehen. Und alle rechnen ihnen dauernd vor, wieviel Kohle sie verdienen. Das ist doch ein Scheißleben. „
Spätestens seit dem Erfolg ihrer Single „Don’t Go“ und dem darauffolgenden Album PEOPLE ist es auch für die Hothouse Flowers nicht mehr ganz einfach, an einem Dubliner Tresen ihr Guinness zu schlürfen. Für Frontmann Liam O’Maonlai allerdings ist die berühmt-berüchtigte Trinkfreudigkeit der Iren momentan sowieso kein Thema: „Ich hab die Sauferei aufgegeben“, verkündet er stolz und verweist auf erste positive Resultate der Alk-Abstinenz:
„Ich steh jetzt wieder mit beiden Beinen auf dem Boden. Vor einiger Zeit war das noch anders. Damals war Guinness ein wesentlicher Bestandteil meines Speiseplans. Auf die Dauer schlägt so was natürlich aufs Gemüt. Wenn du morgens aufstehst, bist du schon schräg drauf. Dann trinkst du was, und die dunklen Wolken scheinen sich zu verziehen. Trotzdem weißt du nie, wo du wirklich stellst. Das ist jetzt vorbei.‘ Was der trockengelegte Liam aber nicht missen möchte, ist der Talk am heimischen Tresen, der in Dublin nur selten an der Oberfläche verkümmert.
„Hier sagen dir die Leute noch ins Gesicht, was sie von dir halten“, bestätigt der 25jährige Blondschopf und bemüht mit traditionell irischer Himmelsverbundenheit auch gleich den lieben Gott:
„Dem Herrn sei Dank, daß es unser Dublin gibt.“ Fiachna stimmt in den Lobgesang ein: “ Wenn hier einer abhebt, wird er sehr schnell auf den Boden der Realität zurückgeholt. Das schaffen die erdverbundenen Dubliner mit links. “ Läden, in denen sich Dublins In-Crowd aus Mode-Menschen. Journalisten und Musikern bewundern läßt, werden von den bodenständigen Hothouse Flowers eher gemieden. Das gilt auch für den „Pink Elephant“. Als ihre Plattenfirma, mit Blick auf die Veröffentlichung der neuen LP. in der Szene-Disco für eine Handvoll geladener Gäste die Zapfhähne öffnet, glänzen die Geehrten durch Abwesenheit.
Da interessiert es die Band auch herzlich wenig, daß HOME für die Zukunft der Hothouse Flowers von beträchtlicher Bedeutung ist. Soll das Album doch möglichst nahtlos an den Erfolg ihrer ersten LP anknüpfen: Neben Top-Plazierungen in aller Welt hatte es PEOPLE immerhin bis auf Platz 2 der britischen Charts gebracht, was den Hothouse Flowers im Rahmen ausgedehnter Tourneen volle Häuser in ganz Europa, in Amerika und sogar im fernen Japan bescherte. Die Meßlatte für HOME liegt also hoch. Produziert wurde das Album in New Orleans, London und Dublin. Für die Arbeit an den Reglern hatte die Band Star-Producer Daniel Lanois gewinnen wollen, aber der war gerade mit Bob Dylan zugange. Immerhin nahm sich Lanois in New Orleans Zeit, mit der gälischen Rock-Riege wenigstens den Song „Shut Up And Listen“ aufzunehmen. War die Zusammenarbeit auch nur kurz, so hatte sie doch Auswirkungen auf die Perspektiven der fünf Iren: „Danny hat uns gezeigt, wie leicht alles sein kann. Man darf sich nicht zwingen, damit ein Titel endlich zustande kommt. Statt dessen sollte man den Song aus sich herauskommen lassen.“
Exakt so entstand auch „Home“, Titelsong der neuen LP und gleichzeitig Huldigung heimatlicher Gefilde. “ In diesem Lied geht’s um Menschen, die weit weg von zu Hause sind, und darum, wie gut es tut, endlich wieder bei seinen eigenen Leuten zu sein“, erzählt Liam und ergänzt: “ Nachdem wir in den zurückliegenden 18 Monaten fast pausenlos unterwegs waren, ist dieser Song praktisch von alleine entstanden. „
Genau wie die Musik der Hothouse Flowers, die irgendwo zwischen irischen Traditionals, Gospel und schnörkellosem Rock ’n‘ Roll angesiedelt ist. bestechen auch Liams Texte durch erfrischende Natürlichkeit. Der große Blonde mit dem jungenhaften Gesicht sieht sich als moderner Geschichtenerzähler. Und diese Spezies hat in Dublin eine lange Tradition. James Joyce beispielsweise setzte seiner Heimatstadt mit „Ulysses“ ein literarisches Denkmal. Ein weiteres Denkmal, allerdings aus schnödem Stein, ist das Geburtshaus des Dichters Oscar Wilde in der Westland Row. Nicht weit davon zerbrach sich Jonathan Swift den klugen Kopf. Der Schöpfer von „Gullivers Reisen“ studierte damals am berühmten „Trinity College“ Theologie.
Wenig fromm dagegen gebärden sich die Hothouse Flowers unweit des ehrwürdigen Campus‘ bei ihrem samstäglichen Auftritt als Straßenmusiker. Zur Freude der einheimischen Bevölkerung setzen sie auf ein irisches Trinklied – schließlich ist auch die Guinness-Brauerei nicht weit. Als die aufrechten Fünf schließlich am River Liffey in die O’Connell Street, Dublins Hauptgeschäftsstraße, einbiegen, müssen sie ihre improvisierte Vorstellung nach wenigen Minuten abbrechen. Eine verzückte Menschenmenge ist drauf und dran, ihre Lieblinge zu erdrücken. Liam & Co. retten sich in einen bereitstehenden Bus und entschwinden im Verkehrstrubel. Allzu große Volksnähe wird manchmal eben selbst einem Rattenfänger zu viel.