George Clinton
Nach einer Reihe von Fehlstarts sitzt Funk-Freak Clinton mal wieder in den Startlöchern. Und es sieht fast so aus, als ob's diesmal klappen könnte: Als Mentor des unverwüstlichen Funkateers tritt nämlich niemand Geringerer als sein Meisterschüler Prince auf. ME/ Sounds-Mitarbeiter Peter Jebsen besuchte Clinton in Detroit.
Ich rief um Hilfe, und Prince kam, um mir beizustehen!“, erzählt Clinton, dessen jüngstes Solowerk CINDERELLA THEORY vor kurzem auf dem Prince-Label Paisley Park erschien. „Ich bin Prince wirklich dankbar, weil eine solche Kollegialität unter Musikern heutzutage eine echte Seltenheit ist.“
Vor allem kam sie zur rechten Zeit: Nachdem er gerade ein Konkursverfahren hinter sich gebracht hatte, konnte Clinton mit dem sechsstelligen Paisley-Park-Vorschuß vor einem Jahr akute Steuerschulden begleichen …
Über drei Jahrzehnte lang hat er es bisher geschafft, den jeweils aktuellen Richtungen der schwarzen Musik seinen Stempel aufzudrücken: Den Anfang machte der heute 48jährige Clinton in den 50er Jahren mit seiner damaligen Doo-Wop-Gruppe The Parliaments; Ende der 60er Jahre wandte er sich mit den Bands Parliament und Funkadelic (kurz und prägnant Parliafunkadelicment Thang genannt) Psychedelic-Sounds und Polit-Funk zu, um dann in der Disco Ära mit Crossover-Hits wie „Flashlight“ und „One Nation Under A Groove“ den sogenannten „P-Funk“ zum bisherigen Höhepunkt zu bringen. Mit seinem 1982er Electro-Hit „Atomic Dog“ konnte Clinton auch in HipHop-Kreisen neue Freunde gewinnen.
Genau dort sieht Clinton jetzt den Ausgangspunkt seines ’89er Comebacks. War vor ein paar Jahren Funk-Brother James Brown Sample-Objekt Nummer eins, so hört man heute allerorten Rap zu P-Funk-Sounds – besonders erfolgreich bei De La Souls „Me Myself And I“, das auf Funkadelics 15-Minuten-Opus „Knee Deep“ basiert.
„Die Rapper haben plötzlich Erfolg mit der Musik, von der mir die Plattenfirmen schon seit Jahren erzählen, daß sie hoffnungslos veraltet sei. Daß die Rapper für Samples nicht zahlen, stört mich nicht – ich werde hingehen und P-Funk-Samples von den Rap-Platten zurücksampeln!“
Clinton sympathisiert speziell mit Polit-Rappern wie Public Enemy: „Von jemandem in meinem Alter, der die ’68er-Bewegung miterlebt hat, hören die Leute im Business solche Songs nicht gern. Deshalb war ich froh, als Public Enemy ohne jede Unterstätzung des amerikanischen Radios drei Millionen Platten verkauften, auf denen sie das sagten, was die Plattenfirmen mir nie erlauben würden. Public Enemy sind durchgeschlüpft, weil niemand dachte, daß sie so erfolgreich sein würden.“
Clinton steht generell auf Rap, denn „die Rapper haben die Funk-Musik am Leben gehalten!“. Und er zieht historische Parallelen: „Eric B. & Rakim und Public Enemy bedeuten für die Rap-Musik das gleiche wie Jimi Hendrix und Cream für die Rock-Musik.“
Public Enemy treten auf CINDERELLA THEORY als Gast-Rapper auf („Tweakin“‚), während Label-Boß Prince im Hintergrund blieb. „Ich bewundere ihn daßr, denn mich hätte man in einem solchen Fall wahrscheinlich nicht aus dem Studio heraushalten können!“, meint Clinton und fügt an, daß er nichts gegen Prince als Produzenten einzuwenden gehabt hätte. „Prince sagte mir von sich aus, daß ich bei meiner ersten Paisley-Park-LP selbst Regie führen sollte, um den Leuten zu zeigen, daß ich es immer noch draufhabe. Nur die Plattenfirma wäre froh gewesen, wenn er seine Finger etwas mehr im Spiel gehabt hätte…“
Der Prince-Faktor macht sich jedoch auch ohne Produktionshilfe bezahlt. Unter Clintons P-Funk-Gesellen macht sich kreative Unruhe breit:
„Seit sich die Prince-Connection herumgesprochen hat, sind wir fürs Business wieder interessant. Plötzlich kommen alle möglichen Leute bei meinen Musikern und mir mit dem Scheckbuch an und wollen ein Stück vom Funk-Kuchen abhaben!“
Die größte Portion soll jedoch in der Funk-Familie bleiben: Bis Jahresende sind weitere Veröffentlichungen unter anderem von Funkadelic (BY WAY OF THE DRUM) und Clintons Sohn Tracy Lewis und seiner Band Tray Lewd geplant. Grandpa George wird seine Funky Farm in der Nähe von Detroit, wo er sich mit Frau und Enkelkindern vom Studio-Streß erholt, in der nächsten Zeit nicht allzu häufig sehen …
Um wieder einen Fuß in die Tür des Business zu bekommen, war Clinton zu Anfang durchaus bereit, Kompromisse einzugehen – aber nur bis zu einem gewissen Grad. Als bei CINDERELLA THEORY das traditionelle Cartoon-Cover (von Pedro Bell) gestrichen und durch ein untypisch straightes Clinton-Porträt ersetzt wurde, rasierte er sich nach der Foto-Session seinen halben Kopf kahl, um weiteren Schniegel-Versuchen einen Riegel vorzuschieben. Auch den Beginn der Dreharbeiten zu seinem Video boykottierte er in Los Angeles dadurch, daß er – unbemerkt von der eigens zum Verhindern solcher „Kontinuitäts“-Fehler bezahlten Dame – in einer Pause sein T-Shirt wechselte.
„Dadurch, daß ich so verrückt auftrete, habe ich mich immer davor geschützt, mich selbst ernst zu nehmen. Als „fool“ bist du immer neutral. Ich kann tun, was ich will, ohne mir untreu zu werden.
Zum ersten Mal läuft es jetzt andersherum: Die Plattenfirma will mich normal machen. Ich soll bei Fotos nicht mehr als Clown auftreten und keine Fratzen mehr schneiden. Daß gerade ich jetzt ,seriös‘ erscheinen soll, ist doch der größte Witz!“
Daß ihn die Industrie -ganz auf seine Seite zieht, ist also nicht anzunehmen. Noch immer weigert sich Clinton, in seinem Haus ein Telefon anschließen zu lassen („Ich will mich hier schließlich entspannen!“), bei manchen Promotion-Interviews redet er lieber über die politische Weltlage und empfiehlt Konkurrenzgruppen, und ob er bei Live-Auftritten im US-Fernsehen beim nächsten Mal wirklich seine aktuelle Single vorstellt, bleibt ebenfalls abzuwarten.
Da CINDERELLA THEORY sein erstes reguläres Soloalbum auf CD ist, hat sich Clinton auch für seinen Einstieg in die High-Tech-Welt etwas ganz Besonderes ausgedacht. „Für die CD-Fassung habe ich die Knackser von den Leerrillen alter 78er-Schallplatten gesampelt, die wir zwischen einige der Songs setzen wollen. Die neue Technologie ist zu sauber für mich. Ich muß meine eigenen Fingerabdrücke, meinen eigenen Dreckimportieren – das bin ich dem Funk schuldig.“
Die Möglichkeit, daß auch sein jüngster Anlauf in Richtung Comeback nicht klappen könnte, bereitet ihm keine Egoprobleme. „Ich weiß, wie ich mein Ego streicheln kann. Notfalls wäre ich mir nicht zu blöd, zum Flughafen zufahren und mich selbst ausrufen zu lassen… „