Giorgio Moroder


Trotz Punk und New Wave:

die Disco-Stars aus der Retorte danken (noch) nicht ab. Im Gegenteil: im abgelaufenen Jahr 1977 war zum Beispiel Boney M. erfolgreicher denn je, rückte die stöhnende Donna Summer endgültig zu einem der weltweit erfolgreichsten Stars auf. Donna Summer ist schwarz und feiert ihre größten Triumpfe in den USA und in England. Der Mann, der sie wie eine Marionette steuert und die Fäden ihres Erfolges in der Hand hält, ist allerdings weiß und in München: Giorgio Moroder, 37 Jahre alt, meist verborgen hinter einer zu großen dunklen Brille. Werner Zeppenfeld fuhr für den Musik Express an die Isar und nahm Moroder unter die Lupe. Denn die Redaktion meinte, daß drei Jahre deutsche „Disco-Power“ vom Fließband einen kritischen

Blick wert sind.

Die Schallplattenbranche kennt diverse Weisheiten. Eine davon lautet: Nicht wer Trends mitmacht, sondern wer Trends macht, hat den größten Erfolg. Die Drahtzieher hinter dem sogenannten „Munic Sound“ wurden in der Vergangenheit von Erfolgen überhäuft. Und daß sie noch immer Maßstäbe setzen, davon sind sie auch überzeugt. Aber es ist für sie schwer geworden, überhaupt noch ein Minimum an Originalität zu schaffen, seit im Sog des bajuwarischen Disco-Booms überall akustische Montagehallen aus dem Boden geschossen sind, die sich auf die Endlosproduktion von Fließbandbabies Tanzmusik spezialisiert haben. Denn wenn sie die Geschmacksnerven übersättigter Konsumenten immer wieder aufs neue reizen wollen, müssen die millionenschweren Münchener Hitköche ihren stereotypen Sound-Eintopf unablässig mit modischen Zutaten aufmotzen. Das ist ein Problem, an dem auch Giorgio Moroder zu knabbern hat.

Sound-Styling im Windkanal

Donna-Summer-Macher Moroder ist eine der anerkannten grauen Producer-Eminenzen des weltumspannenden Disco-Business. Gebürtiger Italiener, ex-Bandmusiker, ex-Toningenier, ex-Hitsänger („Son Of My Father“), ex-Schlagerkomponist (Ricky Shane, Mary Roos), Initiator des renommierten Münchener Musicland-Studios. Heute hat Moroder einen lukrativen Producervertrag mit dem Schweizer Sound-Konsortium ,,Say Yes Musik“/ „Oasis Records“, pendelt zwischen St. Ullrich und Los Angeles und kann ernsthafte Angebote der allerersten Platten-Umsatzgarnitur cool ausschlagen.

Welthits aus der Provinz

Solcher Erfolg ist hierzulande die Ausnahme:er läßt sich weniger denn je mit dem siechenden teutonischen Schlager-Genre verwirklichen – und kaum leichter auf dem Boden des nur in Ausnahmefällen exportfähigen germanischen Rock-Gewerbes. Ein Durchbruch in Morodersche Profit-Gefilde vielmehr bedarf des perfekten Sound-Stylings im akustischen Windkanal, des knallharten Kommerz-Pokers und natürlich der goldenen Nase für musikalische Massentrends im Eldorado aller Entertainment-Glücksritter: den USA.

Ende 1974 brach die Stunde Null für die künftigen Erfolgs-Exporteure eines blauweißen Pseudo-Soul an, einer deutschstämmigen Musik, der statt folkloristischen Sauerkraut-Miefs erstmals der Flair internationaler Hit-Tauglichkeit anhaftete – unbeschadet des bis dahin als provinziell belächelten Produktionsortes München.

Die Weichen für Welthits aus München waren kurz zuvor in den Staaten gestellt worden. Da mutierte die rabenschwarze Soulmusik der sechziger Jahre in den Händen geschäftstüchtiger Plattenbosse zum entseelten Philadelphia- und Miami-Sound, zum weichgespülten Salsoul aus der Studio-Retorte. Fast all seine bekannten Interpreten, vom fetten Barry White bis zum schon wieder vergessenen George Mc Crae, waren zwar Farbige, aber sie sangen inzwischen für die entpolitisierten Unterhaltungsbedürfnisse eines angepaßten und aufstiegsorientierten schwarzen und weißen Mittelstands. Einer tragenden Sozialschicht, die kurz vor der Mitte unseres Jahrzehnts eine für Amerika völlig neue Form von Amüsement-Betrieben zu bevölkern begann: die Discos, vom rhythmischem Strobo- und Spot-Geflacker ausgeleuchtete Exerzierfelder für modische Eitelkeiten und exzessive Tanzbedürfnisse. Auch in anderen Teilen der Welt begannen sich die adretten Disco-Babies zu formieren. In Deutschland etwa machten die letzten Underground-Tempel in den frühen siebziger Jahren dicht – ihre Nachfolger allerdings bliebem im Vergleich zu den neuen amerikanischen Dröhn-Dielen stets so etwas wie bessere Stehbierhallen. ,,Ich weiß nicht, ob die im Vergleich zu europäischen Maßstäbenunglaubliche Tanzbesessenheit des US-Publikums die Disco-Musik hervorgebracht hat, oder ob diese Musik erst die Tänzer konditioniert hat“, sagt Giorgio Moroder. „Wahrscheinlich aber ist die hypnotische Musik-Monotonie aus einem Prozeß wechselseitiger Beeinflussung entstanden“.

Mit einem Orgasmus an die Spitze

Sie haben kräftig mitbeeinflußt, Moroder und sein englischstämmiger Produzentenpartner Pete Beilotte (34). Zur Jahreswende 75/76 hatten sie es geschafft. Donna Summer, aus Boston gebürtige,,Hair“-Komparsin, die es kurz zuvor mit dem konventionellen Pop-Drama „The Hostage“ zu einem flüchtigen Benelux-Hit gebracht hatte, stöhnte sich bis auf Platz eins der amerikanischen Single-Charts vor – mit monotonpochendem Orgasmic-Rock made in Munich („Love To Love You Baby“). Seither hat sie auch von jedem ihrer fünf Alben in den Staaten zwischen fünfhundert- und achthunderttausend Stück an den Mann gebracht. Ende 1975 auch hatte ein anderes, unabhängig von Moroder/Bellotte werkelndes Bayern-Team „den Amerikanern Coca-Cola verkauft“: Michael Kunze (34), Jurist und Schlagertexter, hatte im Verein mit dem jugoslawischen Komponisten Sylvester Leavy (32) ein totsicheres Erfolgsrezept aus den Elementen der internationalen Diskotheken-Welle destilliert. Seine Phantom-Gruppe „Silver Convention“ flatterte mit „Fly Robin Fly“ aus dem Nichts ebenfalls an die Spitze der US-Bestsellerlisten. Der anschließende Siegeszug der Münchener Klänge war ebenso unaufhaltsam wie seine Zutaten simpel. Über einen absolut gleichförmigen, tanzträchtigen Roboter-Rhythmus türmten sich plakative Melodiekürzel (Geigen oder Synthesizer) und nicht minder eingängige Vokal-Phrasen. Gitarren und Bläser wurden zunächst hintenan gestellt – auf diesem Sektor schienen amerikanische Sound-Mixer unerreichbar.

Der Künstler – ein austauschbares Glied

Daß bei solchen kühl kalkulierten Mischpult-Mixturen die eigentlichen Künstler rasch zum austauschbarsten Glied verkommen mußten, liegt auf der Hand. Giorgio Moroder selbst hat die Anonymität seiner ständigen Musiker-Crew in den entmenlichten Bandnamen „Munich Machine“ gegossen. Unter diesem Namen spielen seine (zum Teil aus England eingeflogenen) Studio-Söldner zum Preis von je knapp hundert Mark pro Titel auch eigene LPs ein. Ansonsten allerdings scheint Moroder noch der Disco-Producer, dessen Hauptartisten (Donna Summer, Roberta Kelly und er selbst) am ehesten Profil besitzen. Die übrigen deutschen Disco-Hitküchen hingegen haben in ihrer Frühphase schwer an jener typischen Personal-Schwindsucht gelitten, die man in Branchenkreisen längst das „Silver-Convention-Syndrom“ nennt. Sowohl bei Kunzes Damentrio als auch bei der Exoten-Truppe des dritten Recken im Disco-Bunde, bei Frank („Rocky“) Farians „Boney M.“, gab’s zunächst den Hit – und dann erst die flugs zusammengetrommelte Vorzeige-Band. Wie kompromißlos solche Retortengruppen von ihren Producern je nach vermeintlichen Markterfordernissen unmodelliert werden, hat die skandalträchtige Besetzungspolitik bei der „Silver Convention“ denn auch nachhaltig bewiesen.

Sorgen mit solchen „Kunstschweinen“ (Branchenjargon) hat Giorgio Moroder natürlich nicht, wenngleich auch bei seinen Solo-Künstlern pausenlos musikalische Schönheitskorrekturen angesagt sind. Anders läßt sich im herben Ringen um internationale Disco-Notierungen die Nase kaum vorn behalten. Die konkurrierende Silver Convention wurde deshalb vor Jahresfrist in oratorienhafte Revue-Gefilde hineinproduziert („Madhouse“), wählend „Boney M.“ mit Konsequenz ins Middle-Of-The-Road-Lager abzudriften begann („Belfast“). Für seinen Superstar Donna Summer programmierte Moroder eine anspruchsvollere Disco-Pop-Synthese, die starke Synthesizer-Akzente setzte („I Feel Love“) und vorläufig im doppellangen Disco-Märchen „Once Upon A Time“ gipfelte.

Als stöhnendes Sexual-Stimulanz jedenfalls mochte Moroder seine „Lady Of The Night“ auf Dauer nicht verheizen wenn auch (nach seinen Vermutungen besonders in Italien) die schallplattenkaufende Männerwelt in Donna wohl weniger die Sängerin als das ersehnte Lustobjekt erblickt. Genau dieser erschröckliche Gedanke war seinerzeit übrigens auch den aufrechten amerikanischen Reverends Charlie Boykin und Jesse Jackson gekommen, die Lustgestöhn von Donna Summer im Wert von mehreren tausend Dollar dem Scheiterhaufen überantworteten. Was verwunderlich genug scheint, ist doch eines unbestritten: Disco-Music rüttelt in keiner Weise an den Grundfesten der Gesellschaft, auch nicht an deren moralischen.

Schließlich ist – auch nach Giorgio Moroders Einschätzung – ihre Konsumentenschaft überwiegend konservativer Natur, dem Schlagerpublikum geistig näher als der Rock-Szenereie. So haben sich Donna und ihre Nacheiferer denn auch stets nur für jene im Phantasie-Lotterbett gewälzt, die’s nötig hatten – verklemmte Gemüter, denen man im Text kaum mehr als die schlagerüblichen, verschlüsselten Zweideutigkeiten zumuten mochte: „Come into my life“, sagte Donna und ächtzte, als wäre er schon mittendrin.

Statt schwüler Erotik kühle Montagen

Die Zeit der schwülen Schallplatten-Erotik, bislang Exportseller des Hauses Moroder scheint allerdings auszulaufen. Inzwischen wird sie ausgestochen von unterkühlter Klangästhetik aus dem Sound-Roboter. Was von Modeformationen wie „Space“ oder cleveren Einzelgängern wie Jean-Michel Jarre im Zeichen des weltweiten Science-Fiction-Fiebers weidlich ausgeschlachtet wird, hatte allerdings auch der alte Elektronik-Fuchs Moroder als einer der ersten gewittert: die Massenverkäuflichkeit futuristischer Synthesizer-Montagen. Zur Abwechslung ging er mal selbst ins Rennen: „Record World pries sein „From Here To Eternity“ als das absolute „Disco-Synthesizer-Album des Jahres 1977“; „Record Mirror“ nannte ihn einen „deutschen Mike Oldfield“, und der in die Jahre gekommene „Rolling Stone“ trumpfte mit der Feststellung auf, „From Here…“ sei ein „revolutionäres Album, das wie kein anderes die volle Kraft eines Synthesizers im Pop-Kontext“ offenbare (au weia, die Red.) Solch übereifrige Lobeshymnen können natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, daß die momentanen Massenerfolge kaum möglich wären ohne ein halbes Dutzend Jahre Tangerine-Dream und Kraftwerk-Kreativität, genauso, wie die Münchner Disco-Masche der ersten Stunde ohne „Je t’aime“ von Jane Birkin und ohne handfeste Philly-Vorarbeit undenkbar gewesen wäre. Die Kunst der Diskotheken-Trendsetter besteht schließlich darin, den steinigen Acker musikalischer Neuerungen von anderen bestellen zu lassen – und die Scheunentore aufzumachen, wenn die Erntezeit gekommen ist.