„Global Citizen Live“: Hochmotivierter Aktivismus, Buhrufe und Sido auf Krawall
„Global Citizen Live“ lud am 21. Mai zu einem bunten Abend für den guten Zweck ein – mit (finanziellem) Erfolg. Nur an der Lautstärkeregelung hätte man im Vorfeld eventuell ein wenig feilen können.
70 Prozent der ärmsten Menschen der Welt sind weiblich. Mehr als 59 Millionen Kinder haben immer noch keinen Zugang zu Bildung. Über 2,1 Milliarden Menschen weltweit haben keinen Zugriff auf sauberes Trinkwasser. Es sind erschreckende Zahlen, die den Besuchern des diesjährigen „Global Citizen Live“-Events am 21. Mai im Berliner Tempodrom um die Ohren gehauen werden.
Ganz so ernst soll der dreieinhalbstündige Konzertabend für den guten Zweck dann aber doch nicht werden. Neben zahlreichen Reden von Aktivisten, Politikern und Botschaftern sorgen nationale und internationale Musik-Acts immer wieder für eine Verschnaufpause.
DJane Wana Limar sorgt mit dem DJ-Bobo-Smasher „Freedom“ für Stimmung
Für die Zuschauer beginnt die Show nach einer kurzen Begrüßung der beiden Moderatorinnen mit einem abwechslungsreichen Set von Wana Limar, für das die Berliner Influencerin eine gut-gemixte Mischung aus Deutschrap, multikulturellem Pop und zur Freude des ohnehin schon gut gelaunten Publikums sogar den DJ-Bobo-Smasher „Freedom“ neu verpackt.
Als Rahmen für die politisch motivierte Veranstaltung, deren Fokus dieses Mal auf dem Kontinent Afrika liegt, dient die Agenda 2030 sowie die „17 Ziele für nachhaltige Entwicklung“ der Vereinten Nationen.
„Viva Con Agua“-Gründer Nobert Latim läutet den mit – mal mehr, mal weniger – mitreißenden Reden gefüllten Abend, mit einem Vortrag über Schwierigkeiten und Folgen der weltweiten Wasserversorgung ein. Mit catchy Slogans wie Latims „If you support water, you support life!“ soll auch in den folgenden Stunden nicht gespart werden.
Protestgesänge und Buhrufe
Passend zum aktuellen politischen Zeitgeist wurden auch Luisa Neubauer und Filibert Heim, beides Klimaaktivisten der „Fridays For Future“-Bewegung, zur Veranstaltung eingeladen. „What do we want?“, brüllen Neubauer und Heim am Ende ihrer Kundgebung. „Climate Justice!“, schallt es aus der Halle zurück. „When do we want it?“ – „Now!“
Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit, wagt sich sogar gleich zweimal vor die Menge – und lässt sich dabei auch von vereinzelten Buhrufen aus den Reihen des Publikums nicht verunsichern. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“, schmettert ihm der Saal bei seinem zweiten Auftritt entgegen. „Ja, ja, ich bin auch hier. Und wir haben verstanden“, antwortet Müller und erinnert so (gewollt?) an Seehofers Worte nach der katastrophalen Bundestagswahl 2017.
Musikalische Höchstleistungen trotz Problemen bei der Lautstärkeregelung
Trotz einiger Probleme bei der Lautstärkeregelung trumpfen die musikalischen Gäste mit einer soliden farbenfrohen Show auf. Serious Kleins beatlastige Tracks bringen selbst die hinteren Reihen der Halle zum Springen. Rapperin Eunique wird neben einer ordentlichen Portion Autotune von einem Bass begleitet, der sämtliche Nasenspitzen erzittern lässt.
Besonders viel Applaus bekommt aber das südafrikanische Duo Mafikizolo, das nicht nur mit seinen bunten Outfits und mitreißenden Choreographien für Stimmung sorgt, sondern außerdem betont, dass man sich unbedingt mehr in Sachen Klimawandel einsetzen müsse.
Lena hat zur Abwechslung einen etwas ruhigeren Auftritt geplant. Neben Songs von ihrem neuen Album „Only Love, L“ gibt die gebürtige Hannoveranerin außerdem eine Akustikversion ihres ESC-Hits „Satellite“ zum Besten.
Rockstars der Europäischen Politik
Als die eigentlichen Rockstars des Abends erweisen sich aber überraschenderweise Kristalina Georgieva und Ban Ki-moon. Nach einer verhältnismäßig kurzen Ansprache zum Thema Klimawandel lassen sich die Vorstandsvorsitzende der Weltbank und der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen Hand in Hand von der Menge feiern.
Kurz vor Ende der Veranstaltung betritt Carolime Albrecht (Deutschland Country Managerin bei „Global Citizen“) die Bühne, um die finalen Gewinnzahlen des Abends zu verkünden. Um ein Ticket zu dem Event gewinnen zu können, hatten die Besucher im Vorfeld für den guten Zweck an drei Unterschriften- bzw. E-Mail-Petitionen teilnehmen müssen.
Als Resultat der insgesamt 126.000 durchgeführten Aktionen habe „Global Citizen“ sich 52,9 Millionen finanzielle Zusagen sichern können, die rund 4,5 Millionen Menschen zugute kämen.
Als musikalisches Highlight steht nach mehr als drei Stunden dann endlich Sido auf der Bühne. Man dürfe es den Rednern nicht übel nehmen, schließlich meinten sie es ja im Grunde alle nur gut. Trotzdem hätte man sich vielleicht ein bisschen kürzer fassen und ständig wiederholte Floskeln vermeiden können, so der Berliner, bevor es dann schließlich mit neueren („Tausend Tattoos“) und älteren Songs („Fuffies im Club“) ans Eingemachte geht.
Nur den „Arschficksong“ hätten ihm die Veranstalter verboten, erklärt Sido enttäuscht – was den ein oder anderen inzwischen gut alkoholisierten Zuschauer jedoch nicht davon abhält, die Hymne wiederholt lautstark zu fordern.
Gegen 23 Uhr verlässt das Publikum erschöpft, aber größtenteils zufrieden und mit einem minimalen Hörsturz das Tempodrom. Der ein oder andere wirft auf dem Weg hinaus noch sein Pfandgeld in die hierfür vorgesehenen Spendenboxen. Man möge hoffen, dass der wohltätige Geist auch zukünftig seinen Weg von der Konzerthalle in den Alltag findet.