Glück bei den Frau’n
The fashionable face of prog: Muse leisten sich auch auf ihrem vierten Studioalbum black hole and revelations den Hang zur Komplexität- und müssen dennoch nicht befürchten, ein Fall für Frickel-Nerds zu werden.
Frauen. Eigentlich waren es immer die Frauen, die einen auf Matthew Bellamy aufmerksam machten. Schon 1998 war das so, als seine Gruppe mit der Single „Muscle Museum“, damals ein kleiner blinkender Punkt nur, erstmals auf dem Radar einer breiteren Öffentlichkeit auftauchte – und damit auch in der Plattensammlung einer Bekannten aus München: „Was ist das denn!?““Das ist Muse!“ „Klingt wie Radiohead.“ „Na undPWenn Radiohead schon nicht mehr nach Radiohead klingen! Ist doch okay! Außerdem sottest du mal den Sänger sehen. Matt. Er ist sooo … “ „So was?“
„So charismatisch, ja, das ist es: Er hat einfach eine unglaubliche Ausstrahlung!“
Drei Jahre später war es diese wundervolle Tänzerin in Berlin, bei der gar nichts ging, wenn sich nicht im Hintergrund irgendwo die dramatischen Harmoniebögen von ORIGIN OFSYMMETRY aufspannten, dem damals aktuellen Album von… „Mmmmmmuse.“ „Ach. Ich fand immer, die klingen wie Radiohead…“ „Hörst du das denn nicht? Diese Sinnlichkeit!“
„Von Großcharismatiker MattBellamy?“ „Woher weißt du…?“
Wieder drei Jahre danach war es die Vertreterin einer Plattenfirma, die abends in Beverly Hills unbedingt noch „was losmachen “ und deshalb unbedingt dieses Konzert besuchen wollte, das Muse in der legendären Konzerthalle „The Wiltern“ gaben, die wir nach stundenlanger Fahrt über die uniformen Boulevards des nächtlichen Los Angeles dann doch noch finden konnten. „Und das alles wegen Matt Bellamy!“ „Ich geh’s zu, das ist wirklich ein ungewöhnlicher Mann, so intensiv. Allein, wie der einem die Hand gibt… „“Mir klangen die eigentlich zu sehr nach…“ „Hey! Wart’s ab, okay? Komm einfach mit und lass dich wegblasen. Live sind Muse wirklich unschlagbar. Das glaubst du erst, wenn du’s erlebt hast.“
Glücklicherweise kam ich mit, wurde weggeblasen und erlebte: Muse sind live wirklich unschlagbar. Was aber diese angeblich so unwiderstehliche Ausstrahlung von Matthew Bellamy betrifft, so konnte auch das tatsächlich unglaubliche Konzert letzte Zweifel nicht ausräumen.
Aber es nützt ja alles nichts, die Fakten sprechen für sich: Bellamy ist aus dem Französischen entlehnt und bedeutet soviel wie „schöner Freund“. 2003 und 2004 wurde er von den Leserinnen der Frauenzeitschrift „Cosmopolitan“ zum „Sexiest Rocker“ gewählt. Im folgenden Jahr ging er zwar leer aus, belegte dafür aber ersatzhalber Platz 1 in der „Kerrang!“-Rangliste der „50 Sexiest People In Rock“.
Mit seinen zerzauselten schwarzen Haaren und Original
Augenrändern als Cayal-Ersatz wirkt eT beim Interview in einem Berliner Hotelzimmer eher wie eine wandelnde Fotomontage aus Nick Zinner von den Yeah Yeah Yeahs und Billie Joe Armstrong von Green Day. In seiner Suite herrscht das sympathische Chaos, das Leute um sich verbreiten, die eigentlich schon wieder abgereist sind, noch bevor sie richtig ankamen. Aus dem Sessel vor dem Fenster zum Hof löst sich im Gegenlicht eine schlanke Silhouette und schnellt auf uns zu zum Händedruck.
Allein, wie der einem die Hand gibt! „Druck“ ist das falsche Wort, den Bellamy übt gar keinen aus. Er hält einfach nur die Hand hin, warm trocken und irgendwie zerbrechlich. Vielleicht ist auch „Hand“ das falsche Wort, und vielleicht ist das, was wie eine Hand aussieht, in Wirklichkeit ein sensibles High-Tech-Tool, mit dem Matt Bellamy aus den physikalischen Werten, die mit einem harmlosen Händedruck einher gehen, klammheimlich ein präzises Charakterprofil des Fremden errechnet: „Sonyfür die Unordnung“, haucht er, fährt seinen Sensor wieder ein und wendet sich mit einem verbindlichen Lächeln wieder dem Bildschirm seines Powerbooks zu, der milchblau auf dem Tisch vor sich hinglimmt: „Ich mußnurschnell noch was runterladen“, schon klar.
Schmal ist nicht nur sein Lächeln, sondern fast alles an Matthew Bellamy, der treibenden Kraft beim Trio Muse, die Nase, die Arme, die Hüften. Er ist 28 Jahre alt, seine Band wird auf allen fünf Kontinenten kultisch verehrt. Ihr letztes Werk, ABSOLUTION, führte in Großbritannien wochenlang die Album-Charts an, in wenigen Tagen erscheint ihr fünftes, vielleicht sogar bestes Album BLACK HOLE AND revelations, voller Schwarzer Löcher und anderer Offenbarungen. Nein, Matt Bellamy ist kein Pin-Up mit modischem Heroin-Chic, sondern, da täuschen Frauen sich nur selten, ein echter Charismatiker. Denn „Charisma“, vermerkt das Fremdwörterlexikon, ist ein „Gnadengeschenk“ und der „Charismadker“ ein Günstling Gottes.
Genau das muß auch sein, wer sich binnen weniger Jahre den 29. Platz in der „Total Guitar“-Liste der 100 besten Gitarristen aller Zeiten erspielt hat, noch vor Giganten wie Pete Townshed von The Who, The Edge von U2 oder Chuck Berry. Vor allem das Riff zu „Plug In Baby“ hatte es der Gitarristenzunft angetan, von „Stockholm Syndrome“ ganz zu schweigen, das zumindest die Hörer der australischen Radiostation „Triple J“ mehr betörte als Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“.
Spricht man aber Matt Bellamy auf solche Weihen an, lächelt er nur sein schmales Lächeln und murmelt etwas von „Handwerk“, weil: „Ich habe halt meinen Spaß an Riffs „, führt er etwas widerwillig aus und stapelt tief: „Tom Morrelo hat mich sehr inspiriert“.
Da ist der Gitarrist von Rage Against The Machine und heute Audioslave beileibe nicht deT einzige, zumal Bellamy sich nicht reduzieren läßt. Nicht auf seine Ausstrahlung, nicht auf seine druckvolle Virtuosität an den Saiten – von diesen Eigenschaften lebt Muse ebenso sehr wie von Bellamys bisweilen gewöhnungsbedürftigem Falsettgesang oder, noch wichtiger, seinem hochklassigen Klavierspiel: „£5 war das erste Instrument, das ich gelernt habe, da war ich sechs Jahre alt“, erinnert er sich: „Erst nach der Scheidung meiner Eltern, so mit 14, habe ich zur Gitarre gegriffen.War wohl so’n Protest-Ding“, meint Bellamy. Man könnte es auch die klassisch bildungsbürgerliche Musikausbildung nennen: ->
-) Seine Kindheit gehörte den zartromantischen Klavierkompositionen eines Chopin oder Rachmaninoff, in der Pubertät trat ein Jimi Hendrix die Tür zu Bellamys Welt ein, um sich dort auf Dauer einzurichten. Keine schlechte Sozialisation, oder? Aber mußte es dann zusätzlich noch die Rolle des Sängers sein? Jetzt faltet er seine schmalen Hände, wirft die Stirn in Falten, denkt lange nach und sagt schließlich: Ja, mußte es“.
Warum? „Nun, das ist eine lange Geschichte …“ Solang die Geschichte auch sein mag.bei Adam und Eva beginnt sie nicht. Sondern mit seinen Eltern, die sich am selben Tag kennenlernten, als Marilyn, die Mutter, frisch aus Belfast nach England emigriert war und im großen London den KurieT- und Taxifahrer George Bellamy kennenlernte. Nun kann man es Zufall oder auch Vorsehung nennen, jedenfalls war Matthews Vater George nicht immer Chauffeur – sondern, in einem früheren Leben, Musiker bei der heute weitgehend vergessen Gruppe The Tornadoes. Und wenn Bellamy heute erzählt, dass The Tornadoes in den frühen Sechzigerjahren die erste britische Band waren, die einen Nummer-i-Hit in den Vereinigten Staaten landen konnte („Noch vor den Kinks, den Beatles oder den Stones!“], dann schwingt in seiner Stimme noch immer so etwas wie Stolz auf die Familienmythologie mit – obwohl diese Familie zerbrach, als Matthew James Bellamy, geboren am 9. Juni 1978 in Cambridge, gerade mal 13 Jahre alt war. „Wir lebten damals alle drei in Teignmouth „, führt Bellamy müde aus, „ein schlimmes Koffein Urlaubs-Ghetto. Obwohl … vielleicht war es gar nicht so schlimm.“
Schauen wir es uns doch mal an, dieses Teignmouth: 15.000 Einwohner, gelegen zwischen den sanften Hügeln von Devon direkt an der britischen Kanalküste dient es nicht nur sonnenhungTigen Hauptstädtern als Ausflugsziel, sondern wird auch, zumindest von lokalhistorisch interessierten Engländern, mit drei großen Namen in Verbindüng gebracht. Da war der Lyriker und Nationalheld John Keats, der in Teignmouth mit Blick aufs Meer 1818 seine epische Dichtung „Endymion“ vollendete.
Auch aus Teignmouth stammte der 1808 geborene Musiker Elias Parish Alvars, von seinen Zeitgenossen als „König der Harmonika“ verehrt. Und Teignmouth war in den Zwanziger-und Dreißigerjahren die Heimat des Mathematikers Charles Babbage, der in Großbritannien als visionärer Computerpionier gefeiert wird. Aufseiner Homepage protzt das Städtchen sogar mit Thomas Luny, einem Marinemaler aus dem 19. Jahrhundert, und dem abschließenden Satz: „Colourfulcharacters continueto inhabit the town „. Kein Wort darüber, dass in Teignmouth auch die schillernden Hauptverantwortlichen eines der derzeit größten Exportschlager der Popnation seine ersten musikalischen Gehversuche unternommen hat – Matt und seine Schulfreunde Christopher Wolstenholme am Baß und Dominik Howard am Schlagzeug. Was war da los?
Matthew Bellamy rollt mit den Augen, als hätten wir ihn nach einer peinlichen Jugendfreundin gefragt: „In Teignmouth, so hübsch es auch im Sommer sein mag,fühlte ich mich wie lebendig begraben. Und solche Erfahrungen, die wahrscheinlich jeder in diesem Alter auf irgendeine Weise gemacht hat.flossen natürlich auch in meine Texte ein“‚.
Und in die ersten Interviews, um die Matthew Bellamy nach dem Muse-Debüt showbiz gebeten wurde. Darin präzisierte er: “ Weil es dort sofürchterlich langweilig ist, sind alle meine Freunde entweder den Drogen oder der Musik verfallen „.
Bei Bellamy war es die Musik, wobei „Showbiz‘ tatsächlich als Abrechnung mit dem verhaßten Leben in einem Ort gehört werden kann, wo Muse keinerlei Anerkennung geschenkt wurde: „You would neuer hear mesing“, klagt Bellamy etwa in „Falling Down“, und selbst „Muscle Museum“ kommt nicht ohne eine Anspielung auf die bornierte Bevölkerung aus, die sich für den aufblühenden Künstler angeblich nur aus einem schäbigen Grund interessierte, nämlich „toprove l’ve made a big mistake“.
Dumm nur, daß diese Anspielungen in Teignmouth sehr wohl zur Kenntnis genommen wurden, mehr noch: „In Sachen Drogen hat unser Ort die gleichen Probleme wie alle anderen Städte auch, es ist nicht schlimmer oder besser als anderswo „, entrüstete sich der Bürgermeister, ein gewisser Mr. Fusco, in der Zeitung „The Herald Sun“: „Es wäre eine Untertreibung, zu behaupten, daß ich verärgert oder enttäuscht wäre.“
Das kann man wohl sagen: Kaum war SHOWBIZ veröffentlicht, ließ sich Fusco für die örtliche Presse dabei fotografieren, wie er das Album demonstrativ in den Mülleimer beförderte. Ein kleinliches Theater, gewiß. „Aber es hatte auch seine guten Seiten“, resümiert Bellamy, „weites uns mit etwas bekannt gemacht hat, das für die Entwicklung der Band immer extrem wichtig war: Widerstand. „Von einer Schlüsselszene in seiner Biografie als Künstler erzählt daher Bellamy, der von „Rock am Ring“ bis „Glastonbury“ inzwischen schon auf weltweit allen größeren Open-Air-Events vor Zehntausenden gespielt hat, noch immer mit einem eigentümlichen Leuchten in den Augen: „Ich war 16 Jahre alt, als es in unserer Schule einen .Battle OfThe Bands‘-Wettbewerb gab. Obwohlunsklar war, daß unsere Konkurrenten musikalisch einfach besser waren, nahmen wir trotzdem daran Teil – die anderen klangen alle irgendwie nach Jamiroquai, wir dagegen … naja, wir verlegten uns auf das extreme Gegenteil“, kurzum: Die Gruppe, vor dem Konzert noch als „Rocket Baby Dolls“ angekündigt, rockte mit ungestümem Gitarrenlärm und unbekümmert schrillem Falsettgesang das Haus, und am Ende zerlegte sie das komplette Set.
„Wir dachten „, erinnert sich Bellamy, „daß wir ohnehin nichts zu verlieren hatten, also drehten wir volIauf.Es war, als wäre irgendetwas über uns gekommen, das stärker war als wir alle zusammen, als wären wir dort auf der Bühne der Schule von einer Musegeküßt worden .
Diese Ansicht teilten wohl auch die [uroren: Die Rocket Baby Dolls gewannen den Wettbewerb – und nannten sich fortan, schwer beeindruckt von ihrer eigenen Performance: Muse.
Ein Name übrigens, der Matthew Bellamys esoterischer Natur sehr entgegenkam, auch wenn eT heute abwinkt: „Ach, das wird oft übertrieben „. Mit „das“ meint er den Spleen seiner Eltern, mithilfe von Seancen in Kontakt zu Verstorbenen zu treten: „Am Anfangfand ich dieseSessions total unheimlich. Ich meine, mitToten zu kommunizieren… hallo?“
Als „Schriftführer‘ dieser meditativen Sitzungen habe
er aber alsbald erkannt, daß sie vor allem dazu nützlich waren, mit verschütteten Ahnungen oder Gewißheiten der eigenen Seele in Kontakt zu treten. „Andere Leute legen sich halt bei einem Psychoanalytiker auf die Couch „, sagt Bellamy wegwerfend. Sein Interesse an der Metaphysik, an allem Übersinnlichen und Jenseitigen jedenfalls, war geweckt und durchzieht sein lyrisches Werk wie ein roter Faden, von SHO wbiz bis ZU BLACK HOLE AND REVELATIONS.
„Ich bin kein religiöser Mensch, aber mich fasziniert einfach der Gedanke“, sagt er und zitiert mal eben die berühmte Passage aus Shakespeares „Hamlet“, „daß es mehr gibt zwischen Himmel undErde, als unserer Schulweisheit sich träumen läßt“. Dann grinst er und fragt: „Das klang jetzt blöd, oder?“
Um dieses „mehr“ aufzustöbern, um sich darin vielleicht sogar zu verlieren, greifen viele Menschen auf die Hilfe von Drogen zurück. Ein Thema, für das der Sänger nur ein abwehrendes Schulterzucken übrig hat. Sobald er konnte, mit 18, hielt ihn nichts mehr in Teignmouth. Er zog in die von einer beeindruckenden Kathedrale dominierte südenglische Universitätsstadt Exeter, wo er sich auf dem Bau als Maler und Dekorateur durchschlug.
Damals wohnte er direkt übeT einem Pornoladen – in einer Zweier -WG zusammen mit einem Drogendealer: „Am Anfang war das sehr lustig“, erinnert er sich, „aberje professioneller mein Mitbewohner wurde, je mehr Spiegel, Briefchen und Rasierklingen in unserer Wohnung herum lagen, desto schlimmer wurde es.“
Als der Kumpel eines Tages erwischt und zu einer Haftstrafe veruTteilt wurde, hatte Bellamy seine Entscheidung schon gefällt‘ „Ich sah täglich, was Drogen aus Menschen machen können, vor allem Kokain. Nichts fiir mich, nein danke“. Vielleicht sei er nur deshalb nicht in die Drogenfalle getappt, die für angehende Rockstars an jeder Ecke aufgestellt ist. „Was ich mir gönne, sind psyloglobine Pilze, Magic Mushrooms, aber nur zwei Mal im Jahr, höchstens. Die bringen einen auf andere Gedanken.“
Wer sich black hole and revelations anhört, der könnte hinzuzufügen versucht sein: sehr andere Gedanken. „Wir sind wesentlich progressiver diesmal. Allein das erste Stück auf dem Album zeigt schon, wohin die Reise geht“, bringt es Bassist Christopher Wolstenholme auf den Punkt. Seine durchaus diebische Freude am Bruch mit den Erwartungen der Fans ist ihm deutlich anzusehen: „Losgeht’s mit Streichern und Piano, dann baut es sich zu einem tanzbaren Fast-Techno-Inferno auf, um bald darauf in das zu münden, was man sich vielleicht unter einer infernalischen Rock-Apokalypse vorstellt.“
Zusammen mit dem dem Schlagzeuger Dominic Howard bildet Wolstenholme das unschlagbar „tighte“ Rhythmus-Grundgerüst, ohne das sich ihr Frontmann wohl kaum in seine charakteristischen Kapriolen versteigen könnte. Entsprechend bodenständig geben sie sich denn auch: „Wir sind nicht Queen oder Yes“, pflichter Howard seinem Bassisten bei, „aber am Ende dieses Songs gehen wir schon ziemlich weit, vielleicht sogar zu weit. Warum? Warum nicht? Im Studio sagten wir uns immer: Das geht zu weit, das geht viel zu weit-aber verdammt, es klingt immer noch gut“. Was womöglich auch am entschieden elektronischen Equipment liegt, dessen Muse sich für die neue Platte bedient haben: „Es dauert zwar eine Weile, bis man’s halbwegs drauf hat, aber dann gibt es in diesem Bereich außerordentliche Möglichkeiten der Komposition. Die wollen ausgelotet sein, ohne sich darin zu verlieren“, sinniert Wolstenholme: „Aber ein ,KidA‘ ist es nicht geworden. Schätze, wir werden dem Rockimmertreu bleiben-auch wenn wir uns malvon Paul Simon undseinem Umgang mit afrikanischer Percussion beeinflussen lassen“.
Oder von Ennio Morricone respektive Calexico, was den geschickten Einsatz epischer Westerngitarren anbelangt- obwohl man sich in klanglicher Hinsicht nicht vom Offensichtlichen täuschen lassen sollte. Muse, das sind passionierte Bastler vor dem Herrn.
So war beispielsweise schon der interessante Klangeffekt in „Sing For Absolution“ dadurch entstanden, dass das Piano durch ein Wah-Wah-Pedal gejagt und so gemixt wurde, dass es klanglich von der halbakustischen Gitarre gar nicht mehr zu unterscheiden ist. Manchmal, nur manchmal, da wird auch ein wenig gemogelt, wie seinerzeit im Eröffnungsriff von „Stockholm Syndrome“, was Oberfrickler Bellamy – der sich seine E-Gitarren maßgeschneidert und nach eigenen Plänen herstellen läßt-gerne zugibt: „Dazu benutzten wir ein Computerprogramm“, erinnert er sich, „das quasi mehrere Synthesizer beinhaltet. Dort kannst du dann beispielsweise erst den Sound eines aufheulenden Automotors und dann ein Gitarrenriff einspeisen – und das Programm kreiert daraus eine bizarre Mischung, wiedusienoch nicht gehört hast.“
Woraus mittelfristig durchaus ein Problem erwachsen könnte, wie Bellamy einräumt: „Bisher sind wir immer damit durchgekommen, nur zu drin auf der Bühne zu stehen“. Und nachdem man bei ABSOLUTION gerade noch die Kurve bekommen hatte (Bellamy: „Wir arbeiteten zeitweise mit einem 98-köpfigen Chor, bis wir merkten… das wird nix“), läßt BLACK HOLE AND revelations endgültig alle Schwerkraft und andere kreative Beschränkungen weit hinter sich: „Wir denken gerade wirklich über einen vierten Musiker nach, der uns auf Tour begleiten und unterstützen kann. Es geht nicht anders, unser Sound ist diesmal einfach zu vielschichtig und komplex“.
Befürchtungen, ein vierter Mann könne das immerhin seit Kindheitstagen funktionierende Dreier-Team ins Schwimmen bringen, hält Bellamy für unbegründet: „Es ist einfach nur ein Widerstand. Und wir haben gelernt.Widerstände zu überwinden“. Was Matthew Bellamy wirklich zu schaffen macht? Da muss er nicht lange nachdenken: „Stalker. Kürzlich mußteich allemeineDaten, vom Telefon biszurlnternet-Adresse, ändern, weil es einfach zu herb wurde. Irgendwelche Mädels drohten mir, sie würden sich umbringen, wenn ich nicht mit ihnen Sex haben würde. Das ist krank“, sagt er, denkt lange nach und fügt hinzu: „Bizarr.“
Wie übrigens auch ein Skandal, der auf einem Flug nach New York im April seinen Anfang nahm. Da saß nämlich Matthew Bellamy neben einer Dame, man amüsierte sich köstlich, flirtete womöglich auch ein wenig, und nach der Landung verabschiedete sich Bellamy mit einem Kompliment, das er später im britischen Musikmagazin NME wiederholte: „Sie sah überraschend jung aus! Das Problem: Bei der Dame handelte es sich um die Mutter von Andy Nicholson, der das gar nicht lustig fand – der 19jährige war bis Ende Mai Bassist der Arctic Monkeys. Und die haben nun öffentlich und mit aufrichtiger Empörung erklärt, sie würden sowohl die Tour als auch Platte von diesem „creep“ und seiner Band Muse boykottieren. Einziger Grund für den Zwist, so Nicholson: „My mumfuckin‘ likedit!“
Matt Bellamy, auf diese Geschichte angesprochen, fahrt sich durch die Haare, rollt kurz mit den Augen, ringt sich dann doch zu einem schmalen Lächeln durch und sagt, wie zur Entschuldigung, nur ein einziges Wort, das für ein paar Augenblicke unschlüssig im Raum steht und sich dann verflüchtigt, vielleicht, um sich mal eben frisch zu machen. „Frauen.“
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