Großkotziges Understatement
Als Produzent gehört Timbaland seit einer Dekade zu den Alphatierchen des Rap-Genres. Seine Solokarriere ist hingegen eine Abfolge kommerzieller Nackenschläge: Alle Alben waren solide Flops. Mit Shock Value soll sich das endlich ändern.
Wer ist nun der HipHop-König der Welt – Pharell Williams? Kanye West? Out-Kast? Oder doch Timothy Z. Mosley, vor 36 Jahren in Norfolk, Virginia, geboren, vor zwölf Jahren entdeckt vom Jodeci-Kopf DeVante Swing und heute so was wie der Phil Spector der Rapmusik? Fragt man die Betroffenen, fällt die Antwort deutlich aus: immer der Befragte selber. Denn wenn man es als Produzent im Rapgame zu etwas bringen will, braucht man drei Dinge: gutes Gespür für die dickste Bassdrum, ein geschultes Auge für die formschönsten Bräute, die synchron gruppenzuckend die Videos bevölkern, und ein vor Gesundheit strotzendes Selbstbewusstsein.
Timbaland ist ausreichend gesegnet mit diesen Qualitäten, wobei ihm die Sache mit den Tussis nach eigenen Angaben nicht so wichtig ist. Dabei liebt er das Videoclip-Drehen; so sehr, dass es nur wenige unter seiner Hand entstandene Hitsingles gibt, in deren Videos er nicht auch als Gaststar auftaucht. Das allein ist schon ein Fulltime-Job. Denn seit er -damals noch als DJ Timmy Tim – die Debüts von Ginuwine und Missy Elliott produzierte, lötete er Hunderte von Produktionen zusammen, die alle sein Markenzeichen tragen: einen stark minimalisierten, perkussiven, subtil rollenden und zugleich betont knackigen Sound.
Er lebt in, für und mit diesen Sounds, und zwar ganz wörtlich: Wohl kein Produzent der Gegenwart verbringt seine Lebenszeit so ausgiebig in den gekühlten und spärlich beleuchteten Katakomben moderner Spitzenstudios. Sitzt er an einem ganzen Album, lässt er sich sein Lieblingsspielzeug vor die Studiotür fahren: einen schwarzen Riesenbus, den er sich zu einem rollenden Luxus-Appartement umbauen ließ – und in dessen Heck, direkt neben dem gewaltigen Bett, ein kleines, sauteures Studio steckt. Dort designt er nach einem zwölfstündigen Studiotag Beats und Sounds, bis ihm die Augen zufallen.
Er ist ein Maniac im besten Sinne des Wortes; getrieben oder gar hyperaktiv wirkt er im persönlichen Gespräch hingegen nicht. Im ersten Moment hat er vielmehr etwas geradezu Minderbemitteltes: Belämmert und desinteressiert sitzt er in T-Shirt und der wohl weitesten Jogginghose in der Geschichte der Sportswear in einer Studioecke und vertilgt Junk Food. Seine kegelförmigen Entenfüße stecken in gefütterten Hausschuhen aus feinstem Nappaleder, der offenbar einzige Luxus von Bedeutung. Denn auch die in der Szene obligatorischen Blingbling-Statussymbole sucht man bei ihm vergebens: Bis auf eine diamantbesetzte Uhr ist er erstaunlich schmucklos – und zwar in jeder Bedeutung des Wortes.
Vielleicht ist das auch das Geheimnis seines Erfolgs: Er wirkt als Mensch wie als Produzent eher wie ein trojanisches Pferd als wie die in diesem Genre sonst üblichen Egomanie-Dampframmen. Erbraucht keine markigen Sprüche, keine Dealer-Vergangenheit, kein Bitch- und Homie-Gefasel; selbst die Geländewagendichte vor seiner Villa ist vergleichsweise bescheiden. Er weiß, was er kann, aber er muss nicht ständig darüber reden. Oder, wie sein neuer Freund Justin Timberlake kürzlich feststellte: „Die Leute aus dem Süden hält man immer für ein wenig zurückgeblieben. Das ist ein Vorteil, denn man wirdständig unterschätzt.“
Freunde zu haben, ein Umfeld, das ihn respektiert, ist für ihn von zentraler Bedeutung. „Sie sind die einzigen, dieehrlichzu dir sind, wenn du Bockmistproduzierst“, sagt er. „Und wenn ich mit einem Freundzusammen arbeite, habe ich auch immer das Gefühl, die fünf Prozent besser zu sein, die notwendig sind, um echte Qualität zu erzeugen.“ So war es schon immer: Ohne die Bassment Crew, einen Verbund von Sandkastenfreunden aus Virginia, zu dem auch Missy Elliott, Ginuwine, Playa, Aaliyah und sein Soloalbum-Rappartner Magoo gehörten, wäre er nicht dort, wo er heute steht. In dieser inzwischen nur ideell existierenden, aber kontinuierlich um Figuren wie Timberlake, Bubba Sparxxx oder jüngst Nelly Furtado erweiterten Individualismusgewerkschaft geht es um Respekt und gegenseitige Hilfe zum Wohle der ganzen Gruppe. In diesem Pool von meist exaltierten Medienfiguren ist er der Strippenzieher hinterm Vorhang: Während die Stars durch die Handschrift seiner Produktionen strahlen, nutzt er wiederum deren Qualitäten, um seine Musik mit den Stimmen zu veredeln, auf die andere Produzenten keinen Zugriff haben. Damit das auch so bleibt, bindet er seine Geschäftsfreundeauf jede nur erdenkliche Weise an sich: Kurz nach Gründung seines Labels „Mosley Music Group“ wurden die ersten Vertragspartner bekannt gegeben – Timberlake und Furtado. Von dieser kreativen wie geschäftlichen Befruchtung lebt er, selbst wenn, wie im Falle Pharell Williams, die ehemaligen Mitstreiter inzwischen zu Konkurrenten wurden.
Denn in grauer Vorzeit waren die beiden Eminenzen ebenfalls ein Team. Unter dem Projektnamen Surrounded By ldiots schwurbelten sie schon Anfang der Neunziger neue Sounds aus ihren Atari-Keyboards, legten bei Jams Platten auf und promoteten unermüdlich das eigentlich Unmögliche: nämlich die Südstaaten neben New York und Kalifornien als dritte Kraft auf der Landkarte moderner schwarzer Musik zu etablieren. „Ich erinnere mich gern an die Zeit“, so Timbo, wie ihn seine Freunde rufen. „Pharell hatte damals schon dieses Wahnsinnige in seiner Arbeit. „Gibt es heute so etwas wie einen inoffiziellen Battle, wer deT erfolgreichere Produzent ist? „Unsinn. Wir haben beide mehr Erfolg, als wir uns je erträumt hätten. Viel spannender ist doch die Frage, wie oft es einem von uns gelingt, eine Hitsingle zuplatzieren, die allen Anforderungen an eine Hitsingle zuwiderläuft.“
Das IStdenn auch der dunkle Punktauf der sonst fast blütenweißen Hitmaschinen-Weste: So erfolgreich er für andere arbeitet, so absatzlahm sind die eigenen Werke. Das ist umso ärgerlicher, weil sowohl Williams als auch Mosley stets betonen, dass man gerade auf den Soloalben das wahre Genie auslebe und zu hören bekomme. Während Williams mit seinem N.E.R.D.-Projekt kommerziell immerhin mit einem blauen Auge davonkam, herrscht bei Timbaland Flaute: Platten unter seinem eigenen Namen verkaufen sich so gut wie der Trabbi nach der Wende.
Schwer zu sagen, woran es liegt; die Produktionen knallen mörderisch, verbinden Pop-Appeal mit Eigenwilligkeit. Liegt es also an seiner medial schwer vermarktbaren Boulevard-Blässe? Er scheint lernfähig, denn nicht umsonst bietet shockvalue eines der größten Gaststar-Aufgebote aller Zeiten auf: Von Elton John bis zu den Hives, von Björk bis zu Jay-Z sind es oft nur Sekunden. Es ist, wie alle Solo-Vorgänger, ein gutes HipHop-Album, das lustvoll über den Genre-Tellerrand blickt. Ob der potenzielle Kunde das ähnlich sieht, ist ihm angeblich egal. „Für mich zählt, dass das Album so ist, wie ich es mir vorgestellt habe. Wer es nicht kauft, der verpasst etwas wirklich Gutes. Das macht ihn zu keinem schlechten Menschen, nur zu einem weniger inspirierten. Es muss jeder für sich entscheiden, ob er das sein möchte.“ Ds ist es also: das Großkotz-Understatement von einem, der nichts mehr beweisen muss. »>
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