Grunge Dich fit – und alle machen mit!


Der Schrecken jeder Elterngeneration ist der Kleiderschrank des Nachwuchses. Als würde es nicht reichen, aus Jugendzimmerboxen ohrenbetäubenden Lärm um die alltogsgestreßten Ohren geschlagen zu bekommen, dos dazu anempfohlene Outfit der Musikerhelden paßt in der Regel wie die Faust auf müde Augen abgeklärter Erwachsener.

Nach der kühlen Sachlichkeit der Achtziger ist es wohl wieder so weit: Die Mode schlampt. Grunge, als überall klebendes Etikett für laute Töne aus Seattle von Nirvana bis Pearl Jam rundum sorglos verwendet, ist vom Sound zum Stil avanciert. Und das auf allen Ebenen und perfekt ausgeführt in mindestens drei Lagen abgetragener Schlabberstoffschichten. Abgeschnittene Beinkleider über langen Unterhosen, Flanellhemden über T-Shirts — die Vorlagen für das eigene Spiegelbild sind nicht mehr nur auf Musikbühnen zu bewundern: H Matt Dillon demonstriert als aufstrebender Rockmusiker im (übrigens ausgezeichneten] Kinostreifen „Singles“ (Filmstart: 22.4.) die Beziehungsprobleme sinnsuchender Mittzwanziger im Schmuddellook — Spielort Seattle, natürlich. ¿ Die amerikanische „VOGUE“ schickt Models in Trampelschuh und Schürzenkleid mit Starfotograf Steven Meisel ins Kornfeld und läßt Jonathan Poneman, Label-Chef des Musikstil prägenden Seattle-Labels SubPop, unter dem Titel »Grunge & Glory“ die richtigen Worte dazu finden. ¿ Teenie-Postillen wie „BRAVO GIRL!“ liefern die Selbstbauanleitung zum Bürgerschreck: .Bei den Boys sollten die Haare so aussehen, als ob die letzte Haarwäsche Wochen zurück liegt. (Diesen Effekt erzielst Du aber besser mit Haarwachs‘.) ¿ Und die denkende Medienwelt von „SPIEGEL“ bis „FOCUS“ sucht den soziopolitischen Unterbau: Grunge, so mutmaßt man, sei möglicherweise der Kleidungskonsens zur weltweit grassierenden Wirtschaftsrezession.

Theoriefindung gut und schön, doch jungen Menschen auf Gegenkurs war ein altes Hemd immer schon näher als die Designerhose. Die Umkehrung folgt ohnehin auf den derb besohlten Fuß: Kaufhäuser läuten den Ausverkauf ein, und New Yorks führender Jungdesigner Marc Jacobs schrubbt Seidenhemden so lange mit Sand, bis sie wie Putzlumpen aussehen. Marktwert des modischen Understatements: mehrere hundert Dollar. Wer hat da was von Rezession gesagt?