Häns’che Weiss – Tradition ist heilig
ME sprach mit dem Zigeuner-Gitarristen Häns'che Weiss.
Zum ersten Male wurde in diesem Jahr eine deutsche Formation zum Europäischen Folkfestival nach Cambridge (26./ 27.7.) eingeladen: Das Häns’che Weiss Quintett, hierzulande momentan wohl die populärsten Vertreter der „Musik deutscher Zigeuner“. Diese Splittergruppe des Schnuckenack Rheinhardt-Quintetts begeistert seit geraumer Zeit die Liebhaber des Swing-Jazz, weiterentwickelt aus den Impulsen des legendären Django Rheinhardt und natürlich eines Stephane Grapelli. Welche Konsequenzen hat es eigentlich auf das Leben eines Zigeuners, wenn man erfolgreicher Musiker ist? Verwischen sich soziale und kulturelle Gegensätze?
„Also eines ist sicher: Es besteht schon ein Unterschied zwischen uns und anderen Zigeunern. Wir haben tatsächlich weniger Schwierigkeiten“, versicherte uns Häns’che Weiss, 24jährigcr Chef der Truppe. „Vorausgesetzt natürlich, die Leute wissen, daß wir Musiker sind.“ Sonst kann es schon hin und wieder zu peinlichen Zwischenfällen kommen wie vor einiger Zeit in der Schweiz: Als Häns’che mit seiner Gruppe im Hotel die Zimmer belegen wollte, hieß es, das Haus sei ausgebucht. Das Personal stellte sich stur, bis schwarz auf weiß belegt war, daß es sich bei dem Trüppchen um Musiker handelte, und daß die Zimmer sehr wohl gebucht waren.
Auflehnung ist nicht seine Sache
Der kleine, gedrungene Gitarrist scheint dies als Schicksalsgabe hinzunehmen. Erwartet man spontane Kritik an entsprechenden Ungerechtigkeiten und Vorbehalten, denen Zigeuner ausgesetzt sind, ist man bei Häns’che Weiss offenbar an der falschen Adresse. Auflehnung ist nicht seine Sache, schon gar nicht gegen unumstößliche Stammesgesetze. Häns’che, einem Abkömmling des Clans der Biale. käme auch nicht aufgrund seiner Sonderstellung, die er im Kreise der Sintis einnimmt, die Idee, sich mit Traditionen anzulegen. Auflehnung oder ungebührliches Verhalten gegenüber einem älteren Menschen gilt bei den Zigeunern als schweres Vergehen, ebenso ist der private Umgang mit bestimmten Berufsgruppen ein Ding der Unmöglichkeit. Zu den Gemiedenen zählen zum Beispiel Ärzte und Roßschlächter. Über Unlogik macht sich niemand ernsthaft Gedanken. Über schweren Vergehen schwebt drohend der Verstoß. Der Begriff des Familienoberhauptes gilt hier noch in der vollen Tragweite des Begriffes. Das älteste (männliche!) Familienmitglied nimmt diese Rolle ein – vorausgesetzt der Mann hat sich nichts zuschulden kommen lassen.
Geborgenheit in der Großfamilie
Was für den Zigeuner viel mehr zählt als in unseren Augen irrationale und überalterte Stammesregeln, ist die Geborgenheit innerhalb der Großfamilie – was einen eventuellen Verstoß so schmerzhaft macht. Diese Gemeinschaft fängt wirtschaftliche Schwächen des einzelnen jederzeit auf. Selbst im größten Elend, so versicherte Häns’che, finde man hier noch den gepriesenen Zusammenhalt.
So ist natürlich auch kein Zigeuner gezwungen, sich unseren Gesellschaftsnormen mehr als nötig zu unterwerfen. Häns’che Weiss: „Ich sehe den größten Unterschied, zwischen Eurem Volk und uns darin: Die Deutschen sind richtige Arbeitstiere. Ich sehe nur Menschen, die total erschöpft sind, die keinen Funken Leben mehr in sich haben. Das verstehe ich einfach nicht! Warum müssen sie nur immer arbeiten, arbeiten und arbeiten …“
Brief an Willy Brandt
Der kleine Zigeuner mit dem pechschwarzen penibel gestriegelten Haar wirkt meist ruhig und zurückhaltend. Auch auf der Bühne kann es eine Weile dauern, bis er seine Reserviertheit abstreift. Er vertritt ruhig seinen Standpunkt, ist aber bestimmt keine Kämpfernatur. Hektik und Streß scheinen ihm fremd. Einmal ist er allerdings energisch geworden. Mit seinen Eltern, die Jahre im Konzentrationslager verbrachten, mußte er lange unter menschenunwürdigen Verhältnissen leben. Eines Tages hatte er es satt, die Bleibe mit Ratten zu teilen. „Damals schrieb ich an Willy Brandt“, erzählt er, und jetzt kommt erstmals ein leicht erregter Ausdruck dazu, „dann endlich bekamen wir eine neue Wohnung.“ Heute lebt Häns’che Weiss in Berlin Buckow – im sozialen Wohnungsbau.