Halt die Gitarre nicht wie ein Baby!


Was Regisseur James Mangold versucht hat, sollte man eigentlich besser bleiben lassen. Doch "Walk The Line", der Film über Johnny Cash wilde Pionierjahre, ist gelungen - und er ist vor allem ange- messen intensiv. Das waren auch die Dreharbeiten, text roland huschke

In den Monaten vor seinem Tod im September 2003 verbrachte Johnny Cash lange Nächte mit James Mangold („Copland“), der ein so großer Musikfan wie Regisseur ist, um ihn bei der Vorbereitung der Film-Biographie „Walk The Line“ (siehe auch S. 102 – Anm. d. Red.) mit Informationen zu futtern. Tabuthemen gab es nicht. Cash insistierte vielmehr, daß der Drogensucht seiner frühen Jahre gebührender Platz eingeräumt würde, und gestand erstmals ein, Jahre vor der Eheschließung mit June Carter ein einziges Mal während einer Tour in Las Vegas das Bett mit ihr geteilt zu haben.

„Man merkte“, erinnert sich Mangold, „wie sehr ihm daran gelegen war, daß wir sein Leben nicht glorifizieren. Vielleicht spürte er in den Wochen nach Junes Tod, daß er auch nicht mehr lange leben könnte, und wollte sicherstellen, daß sein Film-Vermächtnis so authentisch und kompromißlos gerät, wie er sein Leben geführt hat.“Wenn es jedoch um Besetzungskandidaten für die Hauptrolle ging, wechselte Cash rasch das Thema. Das sei die Entscheidung des Regisseurs. Nur eines wollte er haben: „Wer immer mich spielt-sorge dafür, daß er mit der Gitarre nicht umgeht wie ein Baby. Er muß sie halten, als sei er dazu geboren.“

Tatsächlich löst „Walk The Line“ dieses Versprechen mit einer Inbrunst und Aufrichtigkeit ein, die im Vergleich die im letzten Jahr gefeierte Ray-Charles-Bio „Ray“ altbacken und lendenlahm wirken läßt. In der Cash-Rolle gibt der irrlichternde „Gladiator“Star Joaquin Phoenix die Performance seines Lebens, während die als Comedy-Blondine bekannte Texanerin Reese Witherspoon als June Carter dem Film sein Herz schenkt. Im Vordergrund bleibt „Walk The Line“ ein Musikfilm eines detailversessenen Fans, der Cashs Anfänge unter der führenden Hand von Sun-Records-Mastermind Sam Phillips bis hin zum explosiven Comeback-Konzert im Folsom-Gefängnis skizziert. In Gastauftritten gibt die Nashville-Szene ihren Segen: Shooter Jennings spielt seinen eigenen Vater Waylon, und Shelby Lynne porträtiert Cashs Mutter Carrie, nachdem sie für ihr letztes Album selbst das Requiem „When Johnny Met June“ komponiert hatte.

Doch Mangolds Arbeit richtet sich nicht nur an den harten Kern der Cash-Fans, sondern erzählt vor allem die langwierige und komplizierte Beziehung der beiden Hauptfiguren. Historisch mag da im Dienste der Dramaturgie manches komprimiert sein, und die

Kinder von Cashs erster Frau Vivian ließen bereits verkünden, daß die Darstellung der Mutter als Hemmschuh für Cashs Kreativität nicht der Wahrheit entspreche. Dennoch dürfen sich die Macher von „Walk The Line“ berechtigte Hoffnungen auf eine Reihe Oscars machen. Und das haben sie nichtzuletzt der Repertoirepflege eines Plattenlabels aus Niedersachsen zu verdanken. Mangold versichert beim Interview in Los Angeles: „Ich hätte diesen Film nie gedreht, wenn ich nicht auf die Cash-Boxsets des Labels Bear Family gestoßen wäre. Ein Fan war ich zwar schon, seit ich At Folsom Prison als Kind in der Plattensammlung meines Vaters zwischen lauter merkwürdigen John-Denver-Scheiben entdeckt habe. Aber erst durch die Fotos und Begleittexte der Bear- Family-Boxen entwickelte ich ein Gespür für die Ära. Sie waren auch beim Set- und Kostümdesign eine große Hilfe.“

Zusätzliche Inspiration holte sich Mangold bei Michael Apteds „The Coalminer’s Daughter“ von 1980, in dem Sissy Spacek als Loretta Lynn vor der Kamera stand und deren Songs zur Verärgerung von Puristen selbst sang. „Ich entschied mich schnell dafür“, erzählt der Filmemacher, Johns eigene Tracks überhaupt nicht in die Story zu integrieren, weil schließlich jeder in den Laden marschieren und sich seine Platten kaufen kann. Damit aber eine organische Verbindung zwischen meinen Schauspielern und der Musik entstehen konnte, mußten sie selbst singen lernen. Das war sicherlich das schwierigste Element der Produktion.“

Vor allem für Joaquin Phoenix, der bis dahin so wenig auf seine Vokalkünste gehalten hatte, daß er „nicht mal unter der Dusche zu trällern gewagt habe“.

Bei seiner Besetzung schien von Beginn an das Schicksal seine Finger im Spiel gehabt zu haben .Sechs Monate vor seiner Verpflichtung für „Walk The Line“, noch ohne eine Ahnung von dem Projekt, war Phoenix bei Cash zum Abendessen eingeladen gewesen. Er drehte gerade „The Yards“ (deutscher Titelzusatz: „Im Hinterhof der Macht“) mit Regisseur James Gray, der parallel die Sessions zu Cashs viertem American-Recordings-Album mit der Kamera dokumentierte.

„Es war ein magischer Abend.“, erinnert sich Phoenix: „Am Ende machten Johnny und June für uns Musik. Johnny schien sich in diesen Momenten viel wohler zu fühlen als beim Smalltalk, und die Musik der beiden wirkte überhaupt nicht wie eine Performance. Es existiertekeine Grenze zwischen Künstler und Publikum.“

Trotz dieser Einblicke beschloß Phoenix, erst gar nicht zu versuchen, den Titanen zu imitieren, sondern eine eigene Interpretation zu wagen. Erst während einer Bühnenshow vor Hunderten von Statisten begriff er dabei, warum Cash beim Singen immer wieder seinen Kopf nach oben riß. „Ich hatte es immer für eine Geste gehalten, doch tatsächlich mußer so Luftgeholt haben, denn sein intensiver Sprechgesang verlangt der Lunge außergewöhnlich viel Kraft ah. „Daß Phoenix zu solchen Erkenntnissen gelangte, war auch dem Coaching des Produzenten und Songwriters T-Bone Burnett zu verdanken, der seit seiner Arbeit am Soundtrack für „O Brother Where Art Thou?“ als Hollywoods bester Mann für authentische Roots-Musikfilme gilt. Über einen Zeitraum von sechs Monaten trainierte Burnett täglich die Stimmbänder von Phoenix und Reese Witherspoon, die sich in dieser Zeit wie in einem „Rock’n’Rollboot camp“ (Phoenix) fühlten und ein blindes Verständnis zueinander entwickelten, das dem Film viel von seiner Überzeugungskraft verleiht.

Während Phoenix lernen mußte, seine Stimmlage um zwei Oktaven zu senken, instruierte Burnett Witherspoon mit den Worten: „Singe einfach, als wärst du mit deinen Kindern allein!“ Zuerst stutzt der Zuschauer, wenn Phoenix Klassiker wie „A Boy Named Sue“ bis „Ring Of Fire“ zum Besten gibt. Aber die Souveränität, die Energie und der brennende Blick, mit der er Besitz von der Figur ergreift, ersticken jegliche Irritation im Keim. Über Witherspoons Gesang urteilten nach der US-Premiere des Films nicht wenige Fachleute, sie klinge besser als die vielfach geschmähte June Carter, deren Stärken auf der Bühne ohnehin eher in ihrer einnehmenden Persönlichkeit und ihrem Howdy-Humor lagen.

Als ein Höhepunkt des Drehs erwies sich die Rekonstruktion von Cashs Auftritt im Folsom-Knast. Ehrfürchtig erzählt der Regisseur, wie bei „Ring Of Fire“ ein Verstärker durchknallte und Feuer fing. „Es mag bizarr klingen“, erkennt Mangold schon ganz richtig, „doch in diesem Moment hatte ich wirklich das Gefühl, als hätte uns Johnnys Geist einen Besuch abgestattet.“

Auch Phoenix versichert selbst ein Jahr nach Ende der Dreharbeiten noch, Johnny Cash habe ihn in der Tiefe seiner Seele berührt: „Ich werde den Film bis zum Ende meiner Tage nicht ansehen“, sagt er, „weil die Erfahrung des Drehens niemals so ergreifend sein kann wie das Endergebnis.“ Aber wer weiß, ob sich diese Erfahrung nicht doch wiederholen läßt. Die Handlung von „Walk The Line“ endet Ende der Sechziger Jahre, wenn Johnny und June zueinander finden. Wer nur das Wahnsinns-Video zu „Hurt“gesehen hat, der weiß, wie viel gewichtiger Stoff noch in einer Fortsetzung stecken könnte.

www.walkthelinethemovie.com