Hamburg, meine Perle: Reeperbahn-Festival, Tag 1
"Wie eine Mischung aus Bowie und Ian Curtis in schönst." Wer dieses Bild von einem Knaben ist, das findet man im Verlauf des Artikels heraus. Kleiner Tipp: Er spielte auf dem Reeperbahn Festival. Der Nachbericht vom ersten Tag.
Hamburg, meine Perle. Das Reeperbahn Festival ist das deutsche South by Southwest. Es findet statt in den unmöglichsten und etabliertesten Spielorten. Man rennt von Kneipe zu Bar und sucht, was man finden möchte. Vorbei an Junggesellen und Straßenarbeiterinnen: „Kommst du mal mit?“, „Ey warte mal,“ und ein streichelnder Griff am Arm.
Das Festival scheint uferlos, aber Mirel Wagner spielt in der Hasenschaukel. Auf den Papierspendern in den Toiletten liegt eine dicke Schicht Glitzer. Sie ist Nick Cave in jung und schwarz, erzeugt einen monotonen Sog aus Blues und Soul. Ihre Lyrik ist dunkel und süß, fleht in zarter Melancholie, dass all die Sterne heute sinken werden. Die kleine Bar ist brechend voll, man hört jeden Kronkorken sich von der Flasche heben. Trotzdem: weiter. Viel zu ruhig. Draußen blinkt und leuchtet es. Es riecht bestimmt fettig. Vorbei an den Nutten, sie können sich ablehnende Gesichter scheinbar gut merken. Aus der Ruhe in das übervolle Molotow: French Films.
Fünf junge Sympathen aus Finnland spielen flotten Surf wie er heute üblich ist. Surfer Blood in unruhiger, nicht so psychedelisch, als Vorband der Drums würden sie diese locker an die Wand hauen. Sind zackiger und schneller, tragen außer einem fitteren Drummer, aber auch nicht viel mehr bei. Das Publikum ist also eher reserviert und bietet der auffordernden Band Jägermeister an. Damit sie härter rocken, wahrscheinlich, die in ihrer engelsgleichen Jugend. Nach vier Liedern kann man getrost hinaus drängen. Feuerwerk und Pizza, ‚Alt Hamburg‘.
Die erste Überraschung des Abends ist wahrscheinlich Little Scream. Sie erwächst aus dem Nebel um Arcade Fire in das Imperial Theater. Nutzt spielende, ausufernde Arrangements. Nur zarter und stillere Momente. Zurück in die Drängelholle des Molotov. S.C.U.M. (siehe Radar-Teil im aktuellen Musikexpress) bieten den ersten Breitbild-Moment des Festivals. Mit Verweis auf Valerie Solanas sind es vier wunderhübsche Knaben und eine Drummerin. Der Bassist wirkt eine Mischung aus Bowie und Ian Curtis in schönst. Klingen tun sie leider ähnlich. Breites My Bloody Valentine-Geloope und drückend schwerer Bass. White Lies, Interpol, das ganze Programm. Der höchst operettenhaft gestikulierende Sänger: „This monitor sounds Iike Holocaust“. Schön.
Also Raus in die Große Halle. Ins Docks zu Friska Viljor. Richtige Band, fünf Typen, voller Laden, alle warten drauf, können im Grunde alles. Kings of Leon, Abba, vom schnellen Chor zum zarten Schmalz. Routiniert, gut, langweilig. Draußen: Es ist Donnerstagnacht, die Reeperbahn ist nicht mehr so voll, wie sie morgen sein wird. Die Currywurst kostet erschreckende 2,80.