Happy Birthday, Marilyn!
Marilyn Monroe wäre heute 90 Jahre geworden. Redaktionsleiter Arne Willander würdigt sie mit einem Portrait.
Sie war der größte Kinostar der 50er-Jahre und wird in der Erinnerung immer größer. Dass Norma Jeane Baker sich selbst erfunden hatte, merkte man schon an dem Namen – von Marilyn Monroe sprach sie manchmal in der dritten Person. Sie war immer die Schau – und eine labile Sensibilistin, die keine Kunstfigur mehr sein wollte, umgeben von Therapeuten und Ärzten, Liebhabern, Schmarotzern und Schranzen.
Marilyn Monroe war nicht mit sich selbst identisch. Nachdem Billy Wilders geschwätzige Sex-Komödie „Das verflixte 7. Jahr“ sie 1955 zur berühmtesten Schauspielerin, wenn nicht Person Amerikas gemacht hatte, schlug sie ihrer Freundin Susan Strasberg vor: „Möchtest Du sehen, wie ich sie werde?“ Susan, Tochter der Schauspiellehrer Lee und Paula Strasberg, sah nun nicht mehr „das Mädchen, neben dem ich eben gegangen war“: „Sie schien sich innerlich darauf einzustimmen, als würde etwas in ihr eingeschaltet.“
Und es wurde etwas eingeschaltet: das Leuchten, das schon die frühen Auftritte Marilyn Monroes illuminiert hatte, die Magie, die man nur auf Fotos und auf der Leinwand sehen kann, das vollkommen Entzückende und Entwaffnende einer Kindfrau, die zugleich naiv und sich ihrer Wirkung bewusst ist. Ihr Charisma – der Begriff ist hier eine grobe Untertreibung – entzog sich der Kontrolle routinierter Regisseure wie George Cukor, John Huston und Billy Wilder. Sie rügten Launen, Unpünktlichkeit, Unpässlichkeit, was bei den rigiden Drehplänen in Hollywood problematisch, aber bei Stars nicht unüblich war (Spencer Tracy verschwand oft für mehrere Tage zum Saufen nach New York). Ein Luxusproblem freilich, wenn man Marilyn Monroe hatte. Laurence Olivier hatte bei den Dreharbeiten zu seinem Film „Der Prinz und die Tänzerin“ (1957) in London zunächst die Sorge, dass die Monroe ihn überstrahlen würde (was natürlich auch der Fall war), lobte dann aber ihre Disziplin und Professionalität.
Norma Jeane Baker wurde am 1. Juni 1926 in Los Angeles geboren, Tochter der Filmcutterin Gladys Baker, geborene Monroe, die zweimal geschieden war und sich nie zu der Vaterschaft äußerte. Norma Jeane stellte sich später vor, der Vater könnte Charles Gifford sein, ein Verehrer der Mutter, dessen Foto in einem Rahmen auf Gladys’ Nachttisch stand: Gifford ähnelte Clark Gable, mit dem Marilyn 30 Jahre später in „Misfits“ spielte. Als Mündel wurde Norma Jeane dem Ehepaar Albert und Ida Bolender überantwortet. Der Postbote und die Hausfrau gehörten einer Pfingstgemeinde an, und die Pflegemutter belehrte das Mädchen über das Satanische des Films: „Wenn die Welt untergeht, während du im Kino sitzt – weißt du, was dann passiert? Du verbrennst mit all den anderen bösen Menschen.“ Norma Jeane musste jeden Abend beten und geloben, niemals Alkohol zu trinken oder Tabak zu konsumieren, auf dass sie nicht in die Hölle komme. Ihr Begleiter war ein Hund namens Tippy, der von einem Nachbarn mit einer Schrotflinte erschossen wurde, als sie sieben Jahre alt war – das Bellen hatte ihn gestört. Danach holte Mutter Gladys ihre Tochter für eine Weile zu sich nach Hollywood, wo sie und ihre ältere Freundin Grace McKee – ebenfalls Cutterin in einem Filmstudio – sich um Norma Jeane kümmerten.
Als Gladys nach dem Tod ihrer Mutter Della 1934 in immer schwärzere Depressionen fiel, nahm sich Grace der Tochter an und verkaufte den Besitz der Freundin, die fortan in Krankenhäusern, Sanatorien und winzigen Wohnungen lebte. Die Pflegemutter bewunderte die Schauspielerin Jean Harlow, eine platinblonde Sirene, und modellierte das Mädchen nach deren Vorbild, puderte Norma Jeanes Wangen, schminkte ihre Lippen. „,Eines Tages wirst du perfekt sein – wie Jean Harlow‘, sagte sie. Aber ich wusste, dass ich nie im Leben perfekt sein würde – nicht als jemand anders, und schon gar nicht als ich selbst.“ Das sagte Marilyn Monroe als erwachsene Frau, die durch die Säurebäder der Liebe, der Filmindustrie, der Tablettensucht und Psychotherapie ging. Als Grace Ervin Goddard heiratete, wurde sie in ein Waisenhaus in Hollywood abgeschoben, und nach zwei Jahren holte Grace sie ins Haus zurück, wo der Pflegevater sie zu vergewaltigen versuchte: „Man kann nichts und niemandem trauen“, soll Grace lamentiert haben – woraufhin Norma Jeane zu einer Großtante nach Compton gebracht wurde.
Auf einem Foto des High-School-Jahrgangs sieht man Norma Jeane genau im Zentrum: eine entschieden nicht blonde, langhaarige, gelockte Schöne. 1942 heiratete sie eilig James Dougherty, einen 20-jährigen Burschen, der ein Auto fuhr. Als sie ihn sah, rief Norma Jeane: „Was für ein Daddy!“ Dougherty über die Ehezeremonie: „Sie klammerte sich den ganzen Nachmittag an meinen Arm, als hätte sie Angst, ich könnte verschwinden, sobald sie den Raum verließ. Sie war so empfindlich und unsicher.“ Später sagte Marilyn über ihre erste Ehe: „Sie machte mich nicht traurig, aber sie machte mich auch nicht glücklich. Mein Mann und ich redeten kaum miteinander. Ich kam um vor Langeweile.“
Während James im Pazifikkrieg kämpfte, wurde die 18-jährige Norma Jeane bei der Kontrolle von Fallschirmen eingesetzt. Dort entdeckte sie der Militärfotograf David Conover, der im Auftrag seines Vorgesetzten Ronald Reagan (sic!) Aufnahmen von reschen patriotischen Rüstungsarbeiterinnen machen sollte. Zum ersten Mal prüfte Norma Jeane die Kontaktabzüge eines Fotografen und erkundigte sich nach der Kamera, nach Beleuchtung und Filmbeschaffenheit. Norma Jeane wusste jetzt, was sie zu tun hatte. Für eine Shampoo-Werbung im Winter 1945 wurden ihre Haare blond gefärbt und geglättet. Nach einer Affäre mit dem Fotografen André de Dienes reichte Norma Jeane 1946 in Las Vegas die Scheidung vom heimgekehrten James ein. Im selben Jahr unterzeichnete sie einen Filmvertrag bei 20th Century Fox. Ihr Name musste geändert werden, und sie entschied sich für den Familiennamen ihrer Mutter – der Agent Ben Lyon ergänzte Marilyn, weil er eine Schauspielerin namens Marilyn Miller bewunderte. Norma Jeane: „Na ja, ich schätze, ich bin Marilyn Monroe.“
Als solche hatte sie 1947 einen kleinen Auftritt in der Klamotte „Scudda Hoo! Scudda Hay!“. Nach weiteren Kleinstrollen wurde ihr Vertrag nicht verlängert. Das Schauspieler-Ehepaar Lucille Ryman und John Carroll unterstützte sie aus nebulösen Gründen und ließ sie in einem Apartment wohnen, Marilyn nahm Unterricht am Actors Laboratory und verdingte sich als Callgirl: „Ich muss essen und ein Auto haben und den Unterricht bezahlen. Wahrscheinlich muss ich weiter am Boulevard anschaffen gehen.“ Die Carrolls machten sie mit dem Präsidenten von 20th Century Fox, Joe Schenck, bekannt. Sie wurde die Geliebte des viel älteren Mannes, und der vermittelte sie an Harry Cohn, den Chef von Columbia, der sie engagierte, ihren Haaransatz mittels Elektrolyse nach oben verschob und die Schauspiellehrerin Natasha Lytess beauftragte, die fortan eine analytische Schauspielerin aus Marilyn machen wollte, obwohl ihre Gabe natürlich die Intuition war. Marilyn wurde nun die Kurtisane des Managers Johnny Hyde, eines herzkranken 53-jährigen Männleins, das seine Familie verließ und bis zu seinem Tod 1950 versuchte, Marilyn zur Heirat zu überreden. „Ich glaube nicht, dass es falsch war, mich so sehr von ihm lieben zu lassen“, sagte Marilyn später. „Sexualität bedeutete ihm so viel und mir nicht.“
Sie hatte 1949 einen kleinen Auftritt in „Love Happy“ neben Groucho Marx, posierte für das Plakat einer Bierreklame und wurde daraufhin vom Fotografen Tom Kelly für einen Aktkalender fotografiert. Das Foto „Golden Dreams“ – Marilyn nackt vor rotem Samt – wurde später, als sie berühmt war, immer wieder nachgedruckt, und es war 1953 das erste Titelmotiv des „Playboy“. In Joseph L. Mankiewicz’ Film „Alles über Eva“ spielte Marilyn eine ehrgeizige, durchtriebene Blondine und in John Hustons „Asphalt-Dschungel“ eine ehrgeizige, durchtriebene Blondine. Mankiewicz: „Sie war allein. Sie war keine Einzelgängerin. Sie war schlicht und einfach ALLEIN.“ In der Zeitschrift „Photoplay“ erschien ein Bericht mit der Überschrift „How A Star Is Born“. Marilyn schrieb sich für einen Abendkurs über Weltliteratur an der University Of California ein, sie trug dort Jeans.