Heaven Or Las Vegas
Lee Hazlewood ist schwer krank.Vermutlich hat er mit cake or death sein letztes Album aufgenommen. Doch noch hat er nicht aufgehört herumzustreunen. Mit seinem Geist, seiner Musik, seinem Witz. JAN WIGGER besuchte Lee in Vegas und traf auf einen Mann, der heller zu strahlen vermag als der ganze verdammte Strip.
Las Vegas ist eine tote Stadt. Gleich hinter dem Flughafen tauchen am Horizont die ersten, absurd monströsen Hotels auf, die in dieser Metropole aus Plastik in immer größerer Zahl aus dem Boden gestampft werden. Downtown, in der notorischen Freemont Street, blinken die Casino-Lichter und hören nie wieder auf damit. Unter den Dächern flimmern riesige LCD-Projektionen. Aus dem schäbigen Nightclub fliegt stante pede, wer nicht innerhalb von 30 Sekunden einen der Zwölf-Dollar-Drinks bestellt. Zwischen den Liquor Stores und den wohl geschmacklosesten Souvenirshops der Vereinigten Staaten ist die Zeit stehen geblieben. Tag und Nacht werden hier unförmige, Diet Coke schlürfende Menschen in White-Trash-Klamotten mit den Spin Doctors beschallt, mit den 4 Non Blondes, mit Nik Kershaw und REO Speedwagon. Wenn zwischendurch David Bowie läuft, allenfalls „Let’s Dance“, wundern sich die Flaneure und fragen verstört: „Von wem ist das gleich noch mal?“
Auch der Strip, stolz und scheußlich, führt durch ein Paralleluniversum: Kein Mensch kennt den Stimmband-Akrobaten Danny Gans, den Magier Lance Burton oder den Comedian „The Amazing Jonathan“ – doch in Las Vegas sind sie Stars. Erst kürzlich hat sich auch Celine Dion für wöchentlich 500 Milliarden Dollar auf Jahre an Las Vegas gebunden; Prince zog im Herbst nach. Dass sich der verbissen nach Stadionruhm, buntem Licht und Massenauflauf ringende Männertrupp The Killers in Las Vegas wohl fühlt, ist anzunehmen. Aber wieso verbringt einer wie Lee Hazlewood hier seinen Lebensabend?
Lee bleibt nie lange am selben Ort. Die meisten Flecken in Amerika kennt er von Besuchen, er hat im Korea-Krieg gekämpft, wohnte in Holland, Schweden, Spanien, Deutschland undauch sonst überall, wo man ihn nicht vermutet hätte. Nun hat sich der 77-jährige Künstler gemeinsam mit seiner Ex-Langzeit-Freundin und (etzt-Frau Jeannie (geheiratet wurde am Drive-in-Schalter) ein Haus am etwas abgelegenen Rising Star Drive in Henderson, am südöstlichen Rand von Las Vegas, gemietet. Auf dieser Terrasse, den Whirlpool immer im Blick, bleibt einem nur, reglos zu liegen und zu schwitzen – wie der Gangster Gal in Jonathan Glazers Film „Sexy Beast“. Im Wohnzimmer sitzt Lee Hazlewood vor dem größten 16:9-Fernseher der Welt und schaut ein Spiel der National Football League. Das alte Fernsehgerät, ebenfalls unglaublich groß, war Lee zu klein. Jetzt steht es ausrangiert zwischen Tür und Angel und wartet auf den Abtransport. Hazlewood, Basecap, teure Uhr, breite Ringe und breitester Akzent, bittet zur Audienz aufs Sofa und spricht mit der ihm eigenen Nonchalance auch über das, was ihn zur Zeit am meisten beschäftigt: Er ist schwer krank.
Mr. Hazlewood, ihr neues Album cake oh dea th tragt nicht ohne Grund den Tod im Titel: Schon vor längerer Zeit wurde bei ihnen Nierenkrebs diagnostiziert.
Oh, ja. Eine Niere wurde mir ja schon entfernt, aber der Krebs hat sich bereits auf andere Teile meines Körpers ausgebreitet. Es gibt keine Chance auf Heilung. Aber ich hab‘ da so eine Art geheime Droge namens CCI779, sie mildert das Leiden etwas. Aber das Zeug macht Pickel! Mein Leben lang hatte ich keinen einzigen Pickel – jetzt schon, und übergeben muss ich mich ungefähr eine Stunde nach der Einnahme auch meistens. Es gibt schon ’ne Menge guter Medizin da draußen. Ich könnte raus auf die Straße gehen, einen Haufen Geld machen und mich zur Ruhe setzen, wenn ich meine gesammelten Arzneimittel verticken würde. Ich habe meine Opiate, mein Morphium, ich kann legal Marihuana kaufen, ich hab‘ … (brüllt laut in Richtung Terrasse): Jeannie! Komm doch mal rein und zähl‘ dem jungen Mann mal ein paar von den Pillen auf, die ich auf der Straße teuer verkaufen und mich dann zur Ruhe setzen könnte!
(Jeannie betritt das Wohnzimmer, zählt diverse Mittel undihre Nebenwirkungen auf und tritt wieder ab). So ist das, mein Sohn. Ich hatte viele Gespräche mit meinem Arzt, aber da ist wohl nichts mehr zu machen.
Haben Sie eine Vorstellung davon, wie nach Ihrem Tod von Ihnen Abschied genommen werden soll?
Keine Beerdigung! Ich werde mich sowieso nicht in einen Sarg legen, denn ich werde verbrannt und eingeäschert. Naja, es soll einfach ein nettes Treffen meiner Freunde werden. Es gibt da diese Bar, in der wir immer rumhingen, die ist für besagten Nachmittag fest gemietet, irgendwo in der Nähe wird dann auch meine Urne stehen, die Asche wird auf der schwedischen Insel Gotland verstreut. Das ist einer meiner liebsten Orte, Niemand soll traurig sein: Ich will, dass all die lustigen Geschichten erzählt werden. Oh nein, bloß keine Trauerstimmung! Ich werde ja nicht von einem Zug überfahren. Wir wissen zwar noch nicht genau, wann er kommt, aber mein Tod wird sicher niemanden mehr überraschen. Wenn’s nach mir ginge, würde auf der Urne nur stehen: „Lee didn’t he ramble?“
Dann ist diese Platte also tatsachlich Ihre letzte?
Ja, so sieht’s wohl aus. Wahrscheinlich werden sie in der Woche nach meinem Tod ein Heilmittel entdecken, (lacht) Aber was soll’s, das Album ist ein guter Abschluss. (beugt sich weit vor und grinst schelmisch) Ich hab‘ nicht alle Stücke darauf selbst geschrieben, aber all die guten.
cake or death steht in der Tradition weiterer eigenartiger Hazlewood-Albumtitel wie poet, fool or bum oder FARMSHIT, flatulence. origami, arfü! and me … Wie kamen sie darauf?
Lustige Geschichte. Kennst du Eddie Izzard? Den musst du dir einfach ansehen! Die meisten Amerikaner verstehen seinen Humor überhaupt nicht, aber ich finde ihn unglaublich witzig. Izzard ist ein britischer Komiker, und es gibt einen ziemlich bekannten Sketch von ihm, der „Cake Or Death“ heißt und irgendetwas mit der Inquisition zu tun hat. Der geht ungefähr so: Die Church of England fragt die Menschen reihum:
„Cake or death? Wollt ihr Kuchen oder den Tod?“-„Ich hätte gern Kuchen!“ „Ok, alles klar, hier hast du Kuchen.“ -„Der Nächste bitte: Kuchen oder Tod?“-„Kuchen, bitte!“- „Wunderbar, gebt dem Mann da auch ein Stück Kuchen. Oha, unser Kuchen wird langsam knapp. Du da, was willst du?“ —“Tod! Moment, nein, Kuchen! Sorry, ich meinte Kuchen! Kuchen! „-„Oh nein, du hast zuerst Tod gesagt. Oh ja, das Wort Tod kam zuerst!“ – „Aber ich meinte doch Kuchen!“- „Hm, na gut, da hast du ja nochmal Glückgehabt, dass ich die Church of England bin -gebt ihm Kuchen! Und du da, was ist mit dir? Kuchen oderTod?“‚- „Äh, Kuchen bitte!“ – „Nun, wirhaben keinen Kuchen mehr. Wir hatten bloß drei Stiickchen und haben nicht mit einem solchen Andranggerechnet. Also was willst du?“-„Moment, meine Wahl ist also .oder Tod‘? Well, then l’ll haue the chicken please!“ Hahaha! Nachdem Sie bereits die Strecke Vegas-Berlin-Vegas zurückgelegt haben, um mit Bela B. für dessen Soloalbum zu kollaborieren, ist Bela nun auch auf ihrer Platte zu hören. Wie kam es eigentlich zu dieser ungewöhnlichen Freundschaft?
Ich kannte seine Band „The Doctors“ gar nicht, aber Bela fragte bei meinem Manager Wyndham nach, ob ich wohl einen Song mit ihm aufnehmen könnte. Dann schickte er ein Tape, das ich mir anhörte, als ich gerade die Kinder im Haus hatte. Die haben, genau wie ich, kein Wort verstanden – aber sie mochten es. Also sagte ich Wyndham, er solle Bela sagen, ich sei dabei, und er solle ihm gleich dazu sagen, dass ich ’ne Stange Geld dafür will. Schließlich bin ich ein sterbender Mann und müsste für das Projekt weit reisen. So komme ich normalerweise aus solchen Projekten raus: Ich hänge einfach den Preis zu hoch. Als ich Bela schließlich kennengelernt habe, sagte ich zu Wyndham: „Zur Hölle mit dem Geld!“ Bela war so ein netter Typ, er war schon ewig Lee-Hazlewood-Fan, und er ist ein großartiger Musiker. Wenn ich mit Bela in Deutschland spazieren gegangen bin, musste immer nur er Autogramme geben, und ich konnte mir in aller Ruhe noch eine Zigarette anzünden.
Stimmt es, dass ursprünglich auch Kurt Wagner von Lambchop, Evan Dando undJarvis Cocker auf cake or death dabeisein sollten?
Ach, weißt du: Ich mag Jarvis. Und ich mag die anderen beiden da auch. Aber man muss erst mit Managern reden, sich durch Papierkram kämpfen – ich habe da keine Lust drauf. Get the business done before you get the songs done – daran musst du dich halten. Junge!
Was hatten Sie eigentlich von Nancy Sinatras Comeback-Platte?
Ok, das klingt jetzt wirklich etwas seltsam, aber ich hab* Nancy ungefähr hundertmal gefragt, ob sie mir die Platte schickt – aber sie hat es nie getan. Wir telefonieren so oft und reden über alle möglichen Sachen, aber sie schafft es nicht, mir ihre Platte zu schicken. Seit zwei Jahren sagt mir jeder, dass ich die Platte hören muss. Aber ich sag’dir was: Ich werde nicht in einen verdammten Plattenladen gehen und eine Nancy-Sinatra-Platte kaufen!
Um eine alte Geschichte aufzuwärmen: Gemeinsam mit Nancy haben Sie einmal heimlich Frank Sinatras Learjet ausgeliehen, um damit zu einer Party zu fliegen…
Oh, warte mal… (denkt scharf nach). Oh, der Learjet, richtig! Nein, das war so: Wir haben das Ding damals für zwei Wochen gestohlen, um das erste Nancy and LEE-Album zu promoten. Nancy hatte ihren Freund dabei und meinte: „Lee, du kannst dir gerne auch noch eine Begleitung mitnehmen!“ Ich dachte, sie will mich verarschen. Ich hätte das nie gewagt. Ich wollte nicht mal die Kellnerin, die während der Flüge frische Sandwiches servieren sollte.
Wenn man einige Ihrer Songtexte liest, wird deutlich, dass Ihnen in Sachen Setbstironie und Sarkosmus kaum jemand etwas vormachen kann. Hilft Ihnen Humor in Ihrer jetzigen Situation auch noch weiter?
Ich mag es, wenn man sich über sich selbst lustig macht. Manche halten das für eingebildet, aber es tut keinem weh und ist in vielen Situationen sehr hilfreich. Ich weiß zum Beispiel, dass George Michael Ärger in Herrentoiletten hat. Nun, ich auch! Ich war viel auf Tour und ich sag‘ dir: Diese älteren Herren, die reden mit sich selbst, während sie pinkeln. „Oh yeah.go ahead, Charlie! Beagoodboyt“ Es ist lächerlich. Alte Leute und Toiletten sind ein großer Spaß. Aber auch außerhalb von Toiletten: Wenn auch nur ein einziger Verrückter in einem Raum mit Dutzenden von Leuten ist: Ich erkenne ihn sofort.
Auf Ihrem neuen Album sind mit “ Baghdad Knights‘, „White People Thing und „Anthem“ gleich drei Stücke enthalten, die man durchaus als Kritik an
der amerikanischen Regierung deuten kann. Wie lebt es sich denn momentan mit George Bush als Präsident?
Es ist beschämend. Ich sag‘ dir was: Wahrscheinlich ist George Bush gar kein schlechter Junge. Ich kenne nämlich bestimmt tausend gute, ehrliche Burschen aus Texas, die über sich selbst lachen können und sich am liebsten über ihre größten fuck-ups unterhalten – aber die haben eben keine Macht. George Bush aber ist ein gefährlicher Mann: Er hat Macht. Wenn ich nach Europa komme, fragen die Leute mich: „Bist du Brite?“ Und ich sage: „Ich bin Amerikaner.“ Und dann bekommt man meistens nur noch ein „Oh“ zu hören.
Zurück zu einem Ihrer Weggefährten: Wie haben Sie auf den Tod von Johnny Cash reagiert?
Oh boy! Ich habe Johnny sehr gut gekanntund war sehr betroffen,als er gestorben ist. Ich wusste, dass es schlecht um ihn stand und er sehr krank war. Hab‘ ’ne Menge Johnny-Cash-Geschichten auf Lager. Irgendwann in den Siebzigern gab es mal dieses Restaurant in Hollywood, das zum Treffpunkt für Studiobesitzer, Promoter und A&R-Leute wurde. Künstler traf man dort eher selten, aber Johnny und ich gingen manchmal dorthin und redeten über dies und das. Und einmal sagte ich zu Johnny: „Du singst mit June, „Und Johnny sagte: „Richtig.“ „Undich singe mit Nancy, stimmt’s?“ Und Johnny sagte: „Stimmtgenau.“ „Johnny, was hieltest du davon, wenn ich mal eine Platte mit June und du eine mit Nancy machen würdest? Da könnte man doch eine Menge Geld mit verdienen!“ Johnny war platt: „Coddanm yes! Aber ich müsste zuerst June um Erlaubnisfragen, warte mal, sie ist sicher gleich hier.“ Kurze Zeit später betrat June das Restaurant, setzte sich und ließ sich von Johnny unseren Plan erklären. Daraufhin schaute sie mich an und sagte: „Lee, ich werde mit dir singen, wann immer du willst. Aber Johnny wird niemals mit dieser wunderschönen Nancy Sinatra Platten aufnehmen!“ So lief das damals. Ach ja, und natürlich habe ich mir „Walk The Line“ angesehen. Dieser Typ, wie heißt er? Joaquin Phoenix? Der hat mir gefallen. Und das Mädchen, das June gespielt hat? Reese Witherspoon? Man sollte sie in Geschenkpapier einpacken und verkaufen, so’n gottverdammt süßes Mädchen ist das.
Und dann steht Lee Hazlewood auf, geht nach draußen, setzt sich zu Jeannie auf seinen Stuhl auf der Terrasse und erzählt. Dinge, für die wir das Diktiergerät im Wohnzimmer lassen. Als wir eine Stunde später das Haus verlassen, haben wir Lees neuen Song „T.O.M. (The Old Man)“, der cake or death abschließt, im Ohr. Da singt er: „In thisplace they callforever /Will there be any songs to sing?“ Good night, and good luck. www.leehazlewood.net