Help, Sgt.Pepper!


Da draußen wartet eine Welt, die fast überall nach Vegas- Gesetzen funktioniert. Kein Wunder, dass Panic At The Disco sich ins Popgestern zurücksehnen.

A fever you can’t sweat out hieß das im September 2005 veröffentlichte Debüt der Band aus Summerlin, einem Vorort vom Reißbrett von Las Vegas. Der Weg von hier zum Gewinn der MTV Video Music Awards mit „I Write Sins Not Tragedies“ war ein schwindelerregend kurzer; Platin für eine Million verkaufter Alben in ihrer Heimat erreichten sie in weniger als einem Jahr. PATD waren 2006 das für die USA, was Mika 2007 für Großbritannien darstellte: instant Superstars. Mit einem ebenso großen Talent für Showspektakel, die unserem virtuellen Zeitalter Rechnung tragen.

Ganz im Gegensatz zu der selbstsicheren Bühnenpersönlichkeit, die Brendon Urie zum großen Conferencier des Konzertabends in der Münchner Muffathalle machen wird, versinkt er im Interview schweigsam im Sessel, antwortet meist nur auf direkte Ansprache. Das neue Album seiner Band klingt ganz erstaunlich. Die Sequencer klackern nicht mehr, die letzte Spur Emo steckt nur noch in Brendons tremulierender Stimme. Panic At The Disco haben eine völlig neue, betont akustische Richtung eingeschlagen, die eindeutig von den britischen Bands der 60er inspiriert ist. Und im Bandnamen hat sich eine typografische Änderung ergeben. Das Ausrufezeichen ist verschwunden, was von Brendon und Spencer Smith achselzuckend als kleine Geschmackskorrektur dargestellt wird.

Wikipedia listet als „notable people from Summerlin“ neben Gitarrist Ryan Ross, Schlagzeuger Spencer Smith und Brendon Urie den Pokerprofi Daniel Negreanu auf. Der ist allerdings ursprünglich Kanadier. Die Vorstellung, im Nirgendwo zwischen der Spielerstadt und der Wüste Nevadas aufzuwachsen, hat etwas Unwirkliches. Spencer versteht das: „Für jemanden aus München mag das wie ein verrückter Film erscheinen, wie ,Pleasantville‘. Für uns ist es normal, aufzuwachen, aus dem Fenster zu sehen, und alle Häuser sehen gleich aus.“ Sie sind sich bewusst, dass von außen nur die Glitzerfassade von Vegas zu sehen ist. Doch dahinter scheint ein normales Leben möglich… Nein, sie würden nicht tauschen wollen. Brendon wurde dort als Mormone großgezogen: „Als wir uns erstes Album vorbereiteten, sagte ich meinen Eltern, dass ich nicht an ihre Religionglaube und dass ich mein eigenes Ding machen werde. Als Mormone aufzuwachsen, ließ mich erkennen, dass ich kein Teil dieser Gemeinschaft sein will.“ Heute….. ist Musik meine Religion“.

Für Popmusiker schien Las Vegas allerdings keine gute Ausgangsbasis zu sein: „Als wir anfingen, gab es keine große Szene. Ehrlich gesagt haben wir nur vier oder fünf Shows gespielt, bevor wir den Plattenvertrag unterschrieben.“ Ähnlich ging es den Killers, die PATD nach wie vor zur zweitbekanntesten Band der Stadt degradieren. Es gibt kaum Liveclubs, klagt Spencer, und wenige gute Gruppen. „Es war eigenartig, das erste Video der Killers im Fernsehen zu sehen und zu sagen: ,Wow, die sind aus Vegas! Wir hatten sie nie zuvor getroffen.“ In Spencers Sätzen artikuliert sich die Leere, ein Fehlen von Tradition, und man beginnt zu verstehen, warum diese Band gierig fremde Einflüsse aufsaugt.

Die Sehnsucht nach Beständigkeit und künstlerischem Mut bekommt bei Sänger Brendon gerne auch nostalgische Züge: „Ich wünschte, es gäbe Bands, die die Musik von damals heute machen würden. Es ist so viel kreativer und interessanter als das, was ich heute höre.“ Brendon und Spencer sind nicht nur im Interview weit davon entfernt, sich der einfachen Starpose zu ergeben, auch auf der Bühne zeigt sich die Band unaufgeregt als Musiker, die sich nicht über Selbstdarstellung produzieren, sondern auf ihr Kunsthandwerk konzentrieren.

Was PATD anzuziehen scheint, ist die Ahnung eines Lebens jenseits der Marktgesetze des Pop. Eine Utopie. Sie selbst verdanken ihren Aufstieg wesentlich der modernen Kommunikationsgesellschaft, wie Spencer zugibt: „Als wir 25 und 16 waren und mit der Band anfingen, ging gerade diese Internet- und Download-Sache los, und wir wurden ein Teil davon.“ Sozialisiert mit den vielfältigen Möglichkeiten der Informationstechnologie, sind Panic At The Disco hin und her gerissen zwischen Überangebot und Überforderung. Brendon: „Es wird interessant sein, welche Art von Musik sich in zehn bis 20 Jahren entwickelt, wenn Leute immer nur die ersten 30 Sekunden eines Songs anhören.“

Über sich selbst muss sich das Quartett da wohl noch keine Gedanken machen: Die Kids lieben sie als Ganzes. Und die Band ist fest entschlossen, ihre neue musikalische Richtung gegen vorgefertigte Images zu verteidigen. Auf der aktuellen Tour präsentiert die Band das ungehörte Material sehr direkt, ohne Zirkus und zusätzliche Performer. Der Horizont der Band, bestätigt Spencer, hat sich eindeutig erweitert: „Während der letzten Jahre sind wir als Musiker besser geworden, haben über 250 Shows gespielt. Wir haben uns für verschiedene Bands und alternative Aufnahmemöglichkeiten interessiert.“

Eine Gemeinsamkeit stellt Spencer bei all den neuen Einflüssen doch fest: ,Alle unsere Lieblingsbands hatten keine Angst, Neues auszuprobieren.“ Nicht zuletzt bei Arrangement und Instrumentierung. Beim Anhören des neuen Albums schiebt sich aber doch eine Assoziation mit Macht in den Vordergrund: The Beatles. Angesprochen darauf, wird Spencer fast fahrlässig euphorisch, nennt sie die „beste Band der Rock- und Popmusik“. Gemeint sind sicherlich vor allem jene Beatles, die George Martin über den Merseybeat hin zu Experimenten trieb.

„Auf der ersten Platte hatten wir ein Akkordeon, ein Cello, eine Trompete, und wir wollten das ausweiten. Aber wir wussten nicht, wie man eine Flötenstimme für einen Song schreibt. Deshalb haben wir mit Rob Mathes gearbeitet.“ Mathes, nicht nur Produzent, sondern auch Komponist und vor allem als Arrangeur gefragt, war schon für so unterschiedliche Künstler wie Lenny Kravitz, Luciano Pavarotti und Avril Lavigne tätig. Er hat pretty. odd. produziert und arrangiert. Und das lief so:

Die Band spielte die Songs mit akustischer Gitarre, machte sich grundlegende Gedanken über die Ausgestaltung, dann „kam Mathes herein, hörte sich den Song an,hob bestimmte Dinge hervor, die schon angelegt waren, statt die Sache an sich zu reißen“, lobt Spencer – und betont damit sogleich: Wir haben das meiste davon allein gekonnt!

Da öffnet ein grimmiger Typ mit durchdringendem Blick die Tür und signalisiert das Ende der Audienz. Gerade hat man noch Zeit, den beiden die Hand zu geben, da sind sie mitten im Satz aufgesprungen und weg. Es gibt Augenblicke, da ahnt man, dass diese Band um ihren eigenen Weg wird kämpfen müssen. Musikalisch haben sie dabei schon einen Riesenschritt getan. >»www.panicatthedisco.com