Hirnflimmern
Schon wieder: Die Reifeprüfung
Jetzt ist schon wieder was passiert. Gut. diesen Einstiegssatz hab ich von Wolf Haas geliehen und von der Verfilmung seines Romans „Silentium“ mit Josef Hader, die man gesehen haben sollte, weil: Da fliegt dir der Vogel raus. Es ist aber trotzdem schon wieder so was komisches passiert, wie letztens mit Tanita Tikaram, nur anders. Sie sehen schon: Diese Kolumne baut auf die vom letzten Monat auf; es wäre also an der Zeit, dass sie langsam mal eine Regelmäßigkeit reinbringen in die Lektüre. Ich lag also so im Bett und dachte an nichts Schlimmes. Letzteres hauptsächlich deswegen, weil ich noch schlief; wenn ich wach bin, denke ich meistens an was Schlimmes, weil ich Fatalist bin. Wenn zum Beispiel auf einer Weleda-Fußbad-Packung draufsteht „Steigert das Wohlbefinden“, dann ist mir schon klar: Brauch ich nicht, weil: Hab ich eh keines. Gleichwie lag ich also schlafend im Bett, als ein Lied aus dem Radiowecker in mein Unterbewußtsein drang und mich sanft, aber mit fester Hand aus dem Schlaf hob. Es ist was schönes, von einem Lied nicht – etwa aufgrund schierer Lautstärke – aus dem Schlaf gerissen, sondern davon quasi wachgeküßt zu werden. Ich weiß ja nicht, wie’s Ihnen da geht: Ich für mein Teil kann schlafen wie ein Baby neben meinem plärrenden Radiowekker. Aber dieses Lied saugte mich an, mit einer ziemlich wunderbar-mysteriösen Melodieführung und einem weltmüden Touch in den Harmonien. Es sang eine Frau mitdunkterStimme. Ich warjetzt fast wach – und dachte folglich an Schlimmes: Verdammt! War das die Tante von Vaya Con Dios? Weil, wunderbarmysteriöse Melodieführung hin und wachgeküßt her: Die Tante von Vaya Con Dios geht ja nun eigentlich gar nicht. Die Jüngeren werden jetzt nicht wissen, wer Vaya Con Dios ist… – und verdammt, sie sind damit genauso beneidenswert unverbildet wie mein Unterbewußtsein! Das kann nämlich easy daliegen (oder was weiß ich, was mein Unterbewußtsein macht, während ich schlafe; vielleicht langlaufen) und einfach mal ein schönes Lied schön finden. Und ist das nicht toll? Aber kaum ist der Depp wach, geht das Geblöke los: „Mäh, mäh, die Tante von Voya Con Dios, die geht ja nun eigentlich gar nicht.“ Ein Scheiß. Ich beschließe an Ort und Stelle, daß ich mich in Zukunft noch weiter ganz bewußt dahin verändern will, Dinge nicht mehr danach zu bewerten, ob sie cool oder uncool sind. Das ist auch ein Zeichen von Reife! Schließlich bin ich keine 23 mehr, und wenn ein Lied von der Tante von Vaya Con Dios gut ist, dann sollte ich mir zugestehen, das auch einfach gut zu fin… Dann ist das Lied aus und die Radiofrau sagt, daß das eben Alison Moyet war und ich weiß erstmal auch nicht mehr weiter.
Schnitt. Zwei Wochen später. Es geht mir viel besser. Ich kann total damit umgehen, daß ich „Windmills Of Your Mind“ von Alison Moyets aktuellem Album VOICE gut finde. Und ehrlich nicht erst, seit ich aus berufenem Munde erfahren habe, daß es offenbar viel okayer ist. Alison Moyet gut zu finden als die Tante von Vaya Con Dios. Nein. Auch wenn „Windmills Of Your Mind“ von der Tante von Vaya Con Dios wäre: Ich würde zugeben, daß ich es mag. Aber hey, in die Situation komme ich ja wohl gottlob nicht mehr.