Hotlist 2014: Temples
Psychedelic, der mehr ist als nur Pose: Temples
20 Jahre sind vergangen, seit im Vereinigten Königreich der Britpop abging. Auf den CDs pappten „Cool-Britannia“-Sticker, auf den Titelbildern von „NME“ & Co. umhüllten sich die Bands mit dem Union Jack. Lang ist’s her. Wie schwierig die Lage in der großen Popnation heute ist, zeigt, dass Noel Gallagher ungeniert den Heinz Rudolf Kunze gibt. Gallig beklagte er sich darüber, dass auf BBC Radio 1 kaum noch neue britische Musik zu hören sei. Nicht einmal die exzellenten Temples!
Von Gallagher, dem Älteren, gelobt zu werden, bedeutete früher, automatisch Zehntausende Platten zu verkaufen. Auch diese Zeiten sind vorbei. Und doch kann es passieren, dass auch Radio 1 im neuen Jahr nicht an Temples vorbeikommen wird. Ganz klassisch pirschte sich die Band in den vergangenen Monaten mit Hilfe famoser Singles auf den Radar: „Shelter Song“ und „Colours To Life“ (und auch die tollen B-Seiten) zeigten, dass sich nicht die gesamte britische Jugend in der Post-Mania befindet und Genres wie Dubstep oder Electronica so lange weiterdreht, bis die Platten zwar weiterhin viele Sterne bekommen, aber kaum noch gehört werden.
Temples hingegen docken an die späten 1960er-Jahre an. Und zwar konsequent. Allein die Namen der beiden Gründer stehen für eine Zeit, als die Pints in den Pubs noch Henkel hatten: James Edward Bagshaw und Thomas Edison Warmsley. Beides junge dünne Kerle mit langen Haaren, die aus einer Kleinstadt gut 100 Kilometer nördlich von London stammen, in der man sich Popkultur noch erarbeiten muss, weil die Szenen woanders zu Hause sind. Also hörten die zwei Unmengen alter Platten und lernten zunächst einmal: die Harmonielehre der Beatles ab SGT. PEPPER’S LONELY HEARTS CLUB BAND, die Tricks auf den psychedelischen Alben der Byrds und Small Faces, Creation und Strawberry Alarm Clock. Und wenn schon Musik neueren Datums, dann die Aufnahmen anderer Nostalgiker: Julian Cope, The Coral, Tame Impala, Dungen.
Anfang Februar erscheint das erste Album der Band auf dem feinen Indie-Label Heavenly, noch immer ein Garant für Qualität. Die Singles sind drauf, aber auch eine Menge anderer sehr guter Stücke. Temples belassen es nicht bei der Pose. Sie achten akribisch auf die Qualität ihres Klangs und ihrer Songs. Nun stellt sich die Frage: Was bringt es, sich im Jahr 2014 einer Band zu widmen, die so sehr nach 1969 klingt? Weil man sofort spürt, dass es dem Ohr und der Seele gut tut, wieder einmal Musik zu hören, die nicht am Laptop entstehen kann. Junge Briten mit langen Haaren, alten Verstärkern, den richtigen Platten im Regal und dem unerschütterlichen Glauben daran, dass das Spielen in einer Band noch immer das größte Vergnügen auf der Welt ist: Noel Gallagher hat recht, Temples gehören ins Radio, in die Charts, auf die Titelseiten. Muss ja nicht gerade im Union Jack sein, denn es wäre schade, wenn die Flagge die schaurig-schönen Flohmarktklamotten verdecken würde.