Hurricane-CEO Stephan Thanscheidt: „Ich würde sehr gerne einmal Rage Against The Machine präsentieren“
Rückläufige Ticketverkäufe, gestiegene Produktionskosten, unbezahlbare Headliner: Haben große Festivals ein Problem? Wir haben beim Co-Geschäftsführer vom Hurricane- und Southside-Veranstalter FKP Scorpio nachgefragt.
Am Wochenende finden die Zwillingsfestival Hurricane und Southside 2018 statt. Als Headliner treten dieses Jahr die Arctic Monkeys, Arcade Fire und The Prodigy auf, außerdem stehen Shows von Marteria, Kraftklub, Billy Talent, The Offspring, Biffy Clyro, London Grammar, Chvrches und rund 70 weiteren Acts im Programm.
Beide Festivals werden – wie unter anderem auch Highfield, Deichbrand, Mera Luna, diverse internationale Festivals sowie nationale Tourneen – von FKP Scorpio veranstaltet. Neben Folkert Koopmanns ist Stephan Thanscheidt seit 2013 einer von zwei Geschäftsführern des Hamburger Unternehmens. Im Vorfeld ihrer zwei größten und wichtigsten Festivals haben wir mit Thanscheidt über rückläufige Ticketverkäufe, gestiegene Künstlergagen, Bookingentscheidungen, die Zukunft großer und kleiner Festivals und darüber gesprochen, wen er selbst gerne mal auf seinem eigenen Festival sehen möchte.Musikexpress.de: Das Hurricane Festival ist dieses Jahr nicht ausverkauft, „Rock am Ring“ war es auch nicht. Wie kommt’s?
Stephan Thanscheidt: Die nachlassende Dynamik im Ticketverkauf ist tatsächlich branchenweit zu beobachten und hat viele Gründe. Die wichtige, aber medial leider oft sehr überspitzte Diskussion zur Sicherheit hat natürlich Auswirkungen auf die Kaufentscheidung. Dazu kommt, dass wir etwa beim Hurricane in den vergangenen Jahren großes Pech mit dem Wetter gehabt haben: Wir haben das Unwetter 2016 gemeinsam mit unseren Besuchern zwar hervorragend gemeistert, aber Spuren hinterlässt so etwas natürlich trotzdem.
Und die Kosten?
Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Produktionskosten und Gagen steigen kontinuierlich, sodass Preisanpassungen unausweichlich werden, wenn das Festival weiter wirtschaftlich und auf hohem Niveau stattfinden soll. Die steigenden Kosten der Organisation und Durchführung eines Musikfestivals sind branchenweit für uns Veranstalter eine Herausforderung. Die Kosten für Sicherheit, Dienstleistungen, Material und Personal wachsen kontinuierlich, aber auch die Künstlergagen schlagen schwer zu Buche.Inwiefern?
In den vergangenen 10 Jahren haben sie sich ungefähr verdoppelt, was ein Symptom von grundlegenden Veränderungen in der Musikindustrie ist, vom Tonträgerkauf zum Streaming und der wachsenden Bedeutung des Live-Geschäfts. Wir haben durchaus Verständnis dafür, dass die Besucher die Ursache für höhere Ticketpreise zunächst beim Veranstalter suchen. Aber ab einem bestimmten Punkt sind wir eben gezwungen, gestiegene Kosten auch weiterzugeben. Wichtig ist uns daher, weiterhin alles daran zu setzen, die Preise so fair wie möglich zu kalkulieren und für jedes Portemonnaie das passende Ticket anzubieten. Das werden wir mit dem Vorverkaufsstart für 2019 übrigens auch unterstreichen.Im Interview mit dem „Hamburger Abendblatt“ hat Folkert Koopmans erklärt, dass sich die Sicherheitsauflagen nicht etwa seit der (gefühlt) gestiegenen Gefahr durch Terroranschläge erhöht haben, sondern seit dem „Love Parade“-Drama in Duisburg 2010. Ist auch deshalb weniger Geld für das eigentliche Programm da?
Es fällt schwer, das zu beziffern, weil es eben keine gänzlich neue Entwicklung ist und wir seit Jahren proaktiv selbst in dieses Thema investieren – aber ja, Sicherheit kostet Geld. Das Programmbudget hingegen leidet darunter in keinem Fall.
Was wollen die Besucher großer Festivals heutzutage: Mehr Eventtourismus und Instagrammotive, wie es Coachella, Lollapalooza und Co. bieten? Oder mehr Musik – und wenn ja, welche? Die Foo Fighters können ja nicht jeden Abend Headliner sein.
Die Wahrheit liegt natürlich irgendwo dazwischen. Fest steht, dass die Musik für die überwältigende Mehrheit unserer Besucher weiterhin im Mittelpunkt steht, was beispielsweise ganz klar aus unseren Besucherumfragen hervorgeht. Gleichzeitig reicht es natürlich nicht mehr, eine Bühne auf den Acker zu stellen und Bier auszuschenken. Die Besucher erwarten schon ein Gesamterlebnis – und so lange das nicht zu Lasten der Musik geht, unterstützen wir das auch gerne. Bei gutem Essen, gemütlicher Unterkunft und einer stimmungsvollen Umgebung machen die Bands nun mal mehr Spaß, das ist völlig normal.Veranstalter großer Festivals stecken mutmaßlich in einer Zwickmühle: Ohne Mega-Headliner nicht genug Publikum, mit Mega-Headliner werden die Tickets zu teuer für genug Publikum. Wie kommt man da raus?
Eine berechtigte Frage, aber die angesprochene Zwickmühle ist tatsächlich mutmaßlich. Am Ende geht es doch darum, überall eine Balance zu finden – und das ist in der Praxis auch möglich. Wenn wir die Foo Fighters, Metallica und Eminem buchen würden, würde das Ticket 300 Euro kosten. Daher setze ich beim Booking auf eine Mischung aus etablierten Namen und vielversprechenden Newcomern aus unterschiedlichen Genres. Das ist aber kein rein finanziell bedingter Kompromiss: Wir wollen unsere Gäste nicht nur mit Erinnerungen an ihre großen Stars, sondern auch mit vielen neuen Kandidaten für ihre Playlists nach Hause schicken. Wir verstehen Festivals auch immer als Ort der Neuentdeckungen und sind uns sicher, damit auch weiterhin langfristig erfolgreich zu sein.Ihr Line-up sieht auch dieses Jahr wie eine sichere Bank aus: Mit Arctic Monkeys, The Prodigy, Biffy Clyro, Donots, NOFX, The Offspring und anderen treten überwiegend Bands auf, die vor zehn Jahre genauso im Line-up hätten stehen können. Warum?
Ich könnte genauso gut etliche Bands nennen, die neu dabei sind. Zwei von drei Headlinern im vergangenen Jahr hatten zum Beispiel noch nie auf dem Hurricane gespielt. Der Eindruck täuscht, denn es ist ja ganz natürlich, dass die großen Namen, die eher im Gedächtnis bleiben, bereits etabliert sind.
Es liegt also nicht nicht auch daran, dass die Kids heutzutage kaum noch Rock hören, sondern HipHop, Rap und R’n’B, nicht genug Taschengeld für teure Festivals haben und Sie deshalb verstärkt auf Stammbesucher setzen?
Nein. Wer das Hurricane und Southside kennt, weiß, dass wir die genannten Genres ja ebenso bedienen. Wir schätzen unsere treuen Fans sehr – aber das ist natürlich keine Strategie, um langfristig erfolgreich zu sein.
Was sind Ihre entscheidenden Kriterien beim Headliner-Booking?
Am interessantesten ist die Geschichte, die es im jeweiligen Fall zu erzählen gibt. Gibt es ein neues Album, eine Reunion, eine gute Story oder ausverkaufte Clubs oder Hallen bei der zurückliegenden Tour? Passt der Act ins Programm und bringt er uns die notwendige Mischung des Line-ups, um viele Menschen zu erreichen? Wie sind die Vorstellungen bezüglich Slot oder Gage? Ergibt der entsprechende Termin zeitlich und routingtechnisch Sinn? Am Ende ist es ein Mix aus diversen Parametern.
Warum funktionieren in Deutschland Line-ups wie zum Beispiel das vom Primavera Festival nicht, mit auch künstlerisch sehr wertvollen Fan- und Kritikerlieblingen wie Nick Cave, Björk, The National und Co.? Haben die Deutschen etwa keinen Musikgeschmack?
Das ist doch sehr polemisch formuliert. Natürlich haben „die Deutschen“, falls es sie denn überhaupt gibt, Musikgeschmack. Der ist nur eben genauso divers wie die Menschen, die hier leben. Und wer entscheidet denn, was künstlerisch wertvoll ist? Letztendlich ist ein Festival ein vielschichtiges Gesamtprodukt – und genauso vielschichtig sind die Gründe für seinen Erfolg oder Misserfolg.
Was offenbar besser funktioniert, ist die Bedienung von Nischen. Mit „A Summer’s Tale“ zum Beispiel etablieren Sie gerade ein Familienfestival, bei denen nicht nur Bands auftreten, sondern auch Lesungen, Performances und Workshops stattfinden, Yoga-, Kletter- und Paddelkurse, gutes Essen und vor allem jede Menge Zeug für Kinder angeboten werden. Liegt in dieser Spezialisierung, die innerhalb ihrer Nische ja auch eine ganz schöne Breite anbietet, eine mögliche Zukunft für Festivalveranstalter?
Das „A Summer’s Tale“ liegt uns tatsächlich sehr am Herzen, weil wir merken, wie gut das Konzept bei seinen Besuchern ankommt und wie besonders die Atmosphäre vor Ort ist. Die Ansprache von auch anscheinend „untypischen“ Zielgruppen kann sicherlich ein Weg für Veranstalter sein. In diesem Jahr bieten wir mit Mando Diao, Fury in the Slaughterhouse, Editors und Madness gepaart mit einem Rahmenprogramm, das so reichhaltig wie noch nie ist, sicherlich ein besonderes Pfund für unsere Gäste. Das bedeutet aber auch viel Zeit und viele Kosten, die in die Vorbereitung und Durchführung fließen. Ein aufwendig inszeniertes Festival wie das „A Summer’s Tale“ ist trotz des überaus positiven Besucherfeedbacks kein Selbstläufer.
Was wollen und was müssen Sie 2019 beim Hurricane und Southside anders machen?
Wir machen von Jahr zu Jahr etliche Dinge anders, weil wir das Festival, das Booking und das Marketing ständig weiterentwickeln. Ich habe ja bereits erwähnt, dass der Absatz von vielen Faktoren abhängig ist, von denen wir viele nicht beeinflussen können. Wir haben uns aber vorgenommen, den Vorverkauf etwas anders und noch transparenter zu strukturieren.„Rock am Ring“ und „Rock im Park“ haben noch während der Festivals 2018 Die Ärzte als Headliner angekündigt, 2019 scheint dort also bereits gesichert. Haben Sie einen ähnlichen Trumpf in der Hinterhand?
Das werden unsere Fans schon bald erfahren – wir blicken aber sehr optimistisch in die Zukunft.
Apropos: Wen würden Sie persönlich gerne auf dem Hurricane spielen sehen?
Ich würde sehr gerne einmal Rage Against The Machine präsentieren, was gerade aber nicht möglich scheint. Über eine Oasis-Reunion würde ich mich auch freuen!
Das Hurricane Festival 2018 sowie das Southside Festival 2018 finden vom 22. bis 24. Juni statt. Unsere Fragen wurden per E-Mail beantwortet.