Gedanken zum Gegenwärtig*innen

Hyperreal: Warum PinkPantheress mehr nach AI als Mensch klingt


In Folge 29 ihrer Kolumne erklärt Julia Friese, was PinkPantheress’ „Just For Me“ mit Sheena Patels British-Book-Award-Gewinner „I’m A Fan“ (2023) gemeinsam hat.

Drei Beobachtungen:

1. i wanna take a ride on your memory stick

PinkPantheress ist eine britische Produzentin und Sängerin, die im vergangenen Jahr auf Platz 1 der „BBCs Radio 1 Sound of …“-Liste landete. Ein Newcomer-Ranking, das zum Beispiel die Karrieren von 50 Cent, Adele und Haim prognostizierte. PinkPantheress’ Sound besteht aus kurzen, tiefer gestimmten, sped-up-Samples der Neunziger und 2000er-Jahre, über die sie in typisch lethargischer TikTok-Intonation singt. Ihre Songs klingen auf technische Art und Weise ätherisch. Hyperreal, als sei PinkPantheress kein Mensch, sondern AI.

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Das Video ihres Hits „Just For Me“ beginnt mit dem Geräusch einer CD, die in ein Deck geschoben wird. Es ist das verloren gegangene, malmende CD-Rom-wird-in-den-Computer-aufgenommen-Geräusch, das sofort seltsam nostalgisch macht. Infolge performt PinkPantheress vor depressiv aussehenden Teenager:innen, die ihre Köpfe über Slipknot-T-Shirts hängen lassen – ein Publikum, wie aus dem EMP-Katalog von 1995. Die Musik dazu ist dieser Folie aber fremd. Headbangen ist zum Hypereal-Sound nicht möglich. Eher möglich scheint, dass der ihn hörenden Kopf per Upload in eine Cloud entleert wird.

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Pitchfork beschreibt PinkPantheress’ TO HELL WITH IT (2021) als eine „ausgedachte Erinnerung“ an die Neunziger- und 2000er-Jahre. Ein bewusstes Fake also. Ein Bootleg, wie die gerade stark kursierenden Band-Shirts von Nirvana, die statt Curt, Kirst und Dave (und Pat) dreimal Kieran Culkin – oder auch Hanson zeigen.

2. every breathe you fake

Textlich geht es in PinkPantheress’ „Just For Me“ um Stalking. Ebenso in dem British-Book-Award-ausgezeichneten Roman „I’m A Fan“ (2023) von Sheena Patel. Die Protagonistin datet einen Mann, weil der wiederum eine berühmte Influencerin datet, von der die Protagonistin besessen ist. Sie stalkt sie, das heißt, sie aktualisiert immer wieder ihr Insta-Profil, wartet auf eine neue, ihr eigentlich nichts sagende Story, während sie im Hintergrund „Gilmore Girls“ guckt. Oder eben nicht wirklich „guckt“, sondern nur streamt.

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Der dauernde, fragmentierte Stimulans, ein erratisches Sich-Betäuben mit dem Leben anderer – das ist die Gegenwart. Für die Patel in „I’m A Fan“ auch eine wie Insta-Storys fragmentierte Erzählweise findet: Kurze Kapitel sprunghaften Inhalts in Alltagssprache, ohne dezidierte Wende- und Höhepunkte. Denn Insta-Storys bieten keinen Schluss. Alles beginnt am nächsten Tag wieder. Ob auf diesem oder einem anderen Account. Fragmentiertes Erzählen findet sich aktuell auch in Olga Ravns „Meine Arbeit“ (2023), das dreizehnmal beginnt und neunmal endet. Oder in Solvej Balles „Über die Berechnung des Rauminhalts I“ (2023), in dem ein Tag über 360-mal neu beginnt.

3. the killer in you, most definitely isn’t the killer in me

Ähnlich fragmentiert ist die Wahrnehmung männlicher Macht im Patriarchat. Erst im Missbrauch wird sie breitenwirksam sichtbar, um dann aber doch wieder in Branchen und nach prominenten Personen sortiert zu werden. Alles Übel scheint für kurze Zeit in einem Mann manifest, und durch das Richten dieses Mannes dann ebenso kurzzeitig behebbar. Weiterführende Lösungen bleiben meist auch fragmentiert: Soll man Liebesbeziehungen in Büros verbieten? Das Lyrische Ich nicht mehr von Künstler:innen trennen? Eine Schutzzone für Frauen bei Konzerten einrichten?

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Sex mit Machtgefälle, also zum Beispiel mit männlichen Rockstars, sowie mit Männern, von denen man wirtschaftlich abhängig ist, wird in Frage gestellt. Folgerichtig trendet Emilia Roigs Sachbuch „Das Ende der Ehe“. Andere Teile des Entsetzens werden eher unproduktiv auf die Fans von problematischen Stars kanalisiert: Wie konnte man jemals so ein Pädo sein und Woody-Allen-Filme mögen? Oder so low class, dass man Rammstein oder Marilyn Manson gehört hat? Bis der Kapitalismus, und somit das Patriarchat, besiegt sind, konsumiert man besser nur gewaltfreie Kunst und hat Sex auf Augenhöhe. Eine Idee so vernünftig wie gleichsam hyperreal …

Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 08/2023.