I AM MUSIC: Playboi Cartis Manifest der Rebellion?

Hat er mit seinem fünften Studioalbum die Kultur wieder weiter nach vorne gebracht und wenn ja, wie?
Genie oder gerade so dem Hype entkommen?
Fünf Jahre: So lange mussten Fans auf ein neue Platte von Playboi Carti warten. In dieser Zeit entwickelten Cartis Anhänger:innen eine wahre Leak-Kultur um seine Musik. Seine Songs wurden illegal erlangt, man profitierte davon. Viele Leute reposteten seine Leaks dann als alleinstehende Tracks auf Spotify und Co. und schadeten langfristig so auch dem Wert von Cartis Werken. Teils aus purer Ungeduld, teils weil Cartis unveröffentlichte Stücke oft so stark sind, dass sie fast schon wie offizielle Releases wirken. Es ist halt nicht Schwarzweiß. Mit WHOLE LOTTA RED hat Carti einst eine neue Ära des HipHop mitgeprägt. Das Album teilte die Massen, aber veränderte nachhaltig den Sound des Genres. Weil er mit WHOLE LOTTA RED eine radikale Sound-Ästhetik etabliert hat – rohe, verzerrte Beats, aggressive Delivery und ein punk-inspirierter Vibe. Sein Einfluss zeigt sich in der heutigen Rage- und Hypertrap-Szene – viele Künstler:innen haben seinen Stil adaptiert oder weiterentwickelt.
Cartis Evolution – oder mehr vom Alten?
I AM MUSIC setzt hier an: Noch aggressiver, noch experimenteller, aber mit einer klaren Struktur, die es zugänglicher macht. Besonders Tracks wie „Wake up F1lthy“ oder auch „Evil J0rdan“ liefern das, was Fans erwarten – dystopische und düstere Energie in Perfektion, getrieben von rohen, krachenden Produktionen.Die Produzenten-Wahl unterstreicht diesen Ansatz. Mit Filthy, Evilgiane und Art Dealer setzt Carti auf die klangliche DNA, die ihn groß gemacht hat: Verzerrte Synths, abgehackte Drums und ein Soundbild, das sich zwischen Hyperpunk und Industrial-Rap bewegt.
Filthys düstere, metallische Produktion trifft auf Evilgianes experimentelle Drum-Patterns, während Art Dealer mit minimalistischen, hypnotischen Loops die surrealen Elemente verstärkt. Das Ergebnis ist ein Klangbild, das rohe Energie und futuristische Anarchie vereint – eine Ästhetik, die Carti konsequent weiterentwickelt.

Die Leak-Kultur als Fluch und Segen
Playboi Carti hat sich über die Jahre eine extrem loyale, fast kultartige Fanbase aufgebaut, die sich durch seine lange Wartezeiten, kryptische Ankündigungen und den experimentellen Sound seiner Projekte noch weiter radikalisiert hat und nun seinem Produktionsteam zum Verhängnis wird.
Die lange Wartezeit hat dazu geführt, dass Anhänger:innen sich ihre eigenen Wege gesucht haben, um an neue Musik zu kommen. Cartis unveröffentlichte Tracks wie „Pissy Pamper“ oder auch „Cancun“ genießen Kultstatus, und viele fragen sich: Hätte ein alternatives Tracklisting mit Leaks vielleicht ein noch besseres Album ergeben?
Doch: Ein geleakter Song verliert für Carti oft die Exklusivität, wodurch er ihn möglicherweise nicht mehr auf offiziellen Releases nutzen möchte. Zudem kann es den kreativen Prozess stören, wenn unfertige Versionen im Umlauf sind und falsche Erwartungen wecken. Fans können sich an bestimmte Leaks gewöhnen, wodurch ein späterer, überarbeiteter offizieller Release weniger begeistert aufgenommen wird.
Gleichzeitig ist die Leak-Kultur ein Beweis für Cartis enormen Einfluss. Seine Musik wird so sehnsüchtig erwartet, dass Fans aktiv nach inoffiziellem Material suchen, was den Hype aufrecht erhält. Manche Leaks entwickeln sich sogar zu Fan-Favoriten, die live gefeiert werden oder auch den Mythos um Carti verstärken. Diese Art von Exklusivität und Insider-Kultur bindet die Fanbase noch enger an ihn – selbst wenn es bedeutet, dass Carti seine eigene Musik manchmal nicht mehr monetarisieren kann oder die Laptops seiner Produzenten gehackt werden.
Das zeigt, wie sehr die Erwartungen inzwischen ins Unermessliche gestiegen sind – und damit auch der Druck auf Carti, jedes Mal aufs Neue einen bahnbrechenden Sound zu liefern.
Features: Ein Highlight – mit einem fragwürdigen Moment
Ein klarer Pluspunkt des Albums sind die Feature-Gäste. Travis Scott bestätigt mit seiner Zeile, dass HipHop die neue Rock’n’Roll-Revolution sei, und bringt genau die Energie, die das Album braucht. Weitere Artists wie The Weeknd, Young Thug, Lil Uzi Vert und Future überzeugen ebenfalls mit ihren Parts.Zwischen Perfektion und Chaos
I AM MUSIC ist ein starkes Album, das Playboi Cartis Status als einer der innovativsten Künstler der Szene weiter zementiert.
Vier Travis-, Drei Kendrick-Lamar-, Zwei Lil-Uzi-Vert- und ein Future-Feature sowie Cartis komplette Stimmenpalette auf 30 Songs erweitern sein Fundament als HipHops nonchalanter Vampirkönig. Doch ist es kein völliger Gamechanger – eher eine Perfektionierung seines bisherigen Soundbilds. Evolution statt Revolution. Die große Frage bleibt: Wie lange kann Carti dieses Konzept noch fahren, bevor er sich neu erfinden muss?
Bis dahin bleibt eines sicher: Carti ist immer noch einer der spannendsten Künstler seiner Generation – auch wenn er sich zum Schutz seiner Kunst in der Zukunft noch mehr um die Datensicherheit seiner Produktion kümmern sollte.