Ian Dury: „Bin ich der Papst…?“
It's Dury-time! Vom 15. bis zum 25. Mai tourt Ian mit seinen Blockheads durch die Bundesrepublik. Pro Stadt werden diesmal mindestens 3000 Fans Gelegenheit haben, sich vom Dury-Fieber infizieren zu lassen. Tanzt, singt und schreit, wenn Euch danach zumute ist, aber lest Euch vorher durch, was er von übertriebenem Personenkult hält!
Die Überraschung ist nicht schlecht. Das Taxi hält im vornehmen Londoner Stadtteil Westminster. Ich bin auf dem Weg zu Ian Dury. Kosmo Vinyl, sein Pressemanager, führt mich in eine Wohnung mit gehobenem englischen Mittelstandsflair. Zwischen den klassischen Sofas und eingebauten Bücherregalen, Kamin und Gemälden suche ich nach Dury’s Persönlichkeit. (Er selbst ist noch im Bad.) Ein kleines Schlagzeug, zwei riesige Boxen, ein alter Schreibtisch plus Drehstuhl. Alles andere sieht unberührt aus. „Hast du deinen Lebensstil geändert?“ frage ich mit dem Hintergedanken an die bestens verkaufende Single „Hit Me With Your Rhythm Stick“. Ist Ian als finanzielle Stütze von Stiff Records auf dem bourgeoisen Trip?
„Ich hasse die Möbel,“ sagt er. „Aber die Wohnung ist billiger als ein Hotel.“ Nach der Tournee (die bis einschließlich August dauert) will er sich etwas suchen, wo er arbeiten und Krach machen kann. Wo nicht der Nachbar die Polizei ruft, wenn er die Bandmaschine mal lauter dreht. Aus seiner alten Wohnung ist er ausgezogen, weil er sich von seiner Freundin getrennt hat. Aus den Slums ins Nobelviertel? „Ich komme nicht aus den Slums,“ erklärt er. „Meine Mutter war – falls es diese Abgrenzung überhaupt noch gibt – das, was man middleclass nennt. Mein Vater war working class. Ich hatte ein gutes Zuhause, wo es Bücher gab, die ich lesen konnte. Vor ein paar Jahren bin ich nur zufällig in die Slums geraten, weil ich dort eine Wohnung fand.“
Ian hat seine Persönlichkeit fest im Griff. Mit 37 Jahren ist er dazu auch fähig. Er lacht sich halb tot, als ich ihm erzähle, daß ein Haufen deutscher Magazine den Midem-Schnappschuß veröffentlichte, der ihn an der Seite von Eddie ßaicley’s Freundin zeigt. „Was haben sie geschrieben? Daft ich versucht habe, ihm die Freundin auszuspannen? So war es nämlich!“ krächzt er mit funkelnden Augen. Charmant wie immer hat er ihr erklärt, daß ihr Eddie ein Stück Dreck sei und höflich gefragt, warum sie überhaupt mit so einem gehe.
Ian ist nicht gut auf den französischen Plattenboß zu sprechen. „Eddie Barcley hat ohne unser Einverständnis ,Sex And Drugs And Rock And Roll‘ auf die LP ,New Boots And Panties‘ gebracht und diese Fassung der LP von Frankreich nach England verkauft. Wir wollten das nicht, weil das ein Single-Titel war, der nicht aufdas Album paßt. Ich hatte jetzt auch eine Auseinandersetzung mit Stiff, weil sie wollen, daß .Rhythm Stick‘ auf die neue LP kommt. Aber das ist ein absoluter Single-Titel, der einfach nicht dazu paßt.“ Rechtzeitig zur Tournee wird die zweite LP von Ian Dury und den Blockheads übrigens endlich fertigsein. Die drei Titel, die ich mir über die Superboxen anhören konnte, klangen vielversprechend. Wenn der Rest ebenso gestrickt ist, ergibt das eine hochinspirierte Mischung aus bodyund headmusic.
Wer meinte, daß Ian sich mit „Rhythm Stick“ einen kleinen ironischen Hieb gegen den Disco-Trend erlaubte, liegt falsch. „Ich habe das Stück geschrieben, um Kinder zum Lachen zu bringen. Das ist für kids etwas einfaches ohne Probleme. Es ist überhaupt nicht ironisch gemeint. Ich mag Discomusik. Das einzige Problem dabei sind die Texte: party down, boogie boogie…! Aber die Musik ist unglaublich. Die Leute verurteilen Discomusik. Aber diejenigen, die sich darüber lustigmachen, können sie nicht einmal spielen. Es ist keine billige Musik. Bei der deutschen Discomusik mag viel Schrott dabeisein, aber die amerikanische ist wahnsinnig! Man fühlt sie, man kann danach tanzen. Und Tanzen ist eine ehrenwerte Sache. Wenn man nach unserer Musik nicht tanzen könnte, dann hielte ich sie auch nicht für gut.“
Nun tun Ian und die Blockheads nebenbei ja auch noch einiges für den Kopf… „Der Kopf kommt an zweiter Stelle,“ erklärt Ian. „Mir ist es egal, ob die Musik für den Kopf ist. Die Leute wollen mich zu einer Art Wortführer machen. Das will ich nicht, ich bin keiner. Ich bin nur ein performer. Wenn ich mir die Worte ausdenke, die ich schreibe, so ist das mein Problem und nicht die Sache von anderen. Ich will Gefühle vermitteln. Ich lehne es ab, ein Wortführer zu sein. Ich bin kein Revolutionär, denn ich glaube nicht an Gewalt und sehe keinen Sinn darin, Leute zu verletzen. Die meisten Revolutionen scheinen doch Schmerzen zu bereiten. Möglicherweise bewirken sie am Ende etwas Gutes… ich weiß es nicht. Die einzige Revolution, die ich akzeptieren, ist die im eigenen Lebensbereich. Doch das ist eine private Revolution und keine Massenbewegung. Ich interessiere mich dafür, was die Leute fühlen und nicht dafür, was sie denken.“
Als ich Ian traf, war er dabei, die neue LP fertig abzumischen, und die mehrere Monate dauernde Tour stand unmittelbar bevor. Ian im Clinch mit dem Business. Ungeduld überall, weil seine zweite LP erst jetzt kommt. „Dabei haben wir die ganze Zeit gearbeitet. Für ,New Boots And Panties“ brauchte ich eineinhalb Jahre – und da habe ich nicht getourt. Jetzt sind wir eine Band und machen Gigs. Ich weiß immer noch nicht, ob das richtig ist. Das Richtige für mich ist Schreiben…“ Ian hat wirkliche Bedenken. „Diese Auftritte sind für mich immer so ein Trip von Dingen, die ich nicht begreife. Ich verstehe die Mystik nicht… Ich mag es zwar, wenn die Leute klatschen, und ich trete auch gern auf. Aber ich glaube nicht daran. Ich habe auch Angst davor, daß Leute an mich glauben. Sie sollen sich ansehen, was wir machen, aber sie sollen an sich selbst glauben anstatt an uns. Es beunruhigt mich, wenn ich soetwas beobachte. Sie sollen sich auf ihre eigene Persönlichkeit konzentrieren. Ich mag diesen Personenkult nicht!“
Eine neue Situation, die Ian zu schaffen macht – ohne daß er ihr erliegt. „Ich habe ein paar gute Freunde, die ich schon kannte, bevor ich populär war. Falls sie nicht mehr meine Freunde wären, würde ich versuchen, die Gründe dafür zu suchen. Ich habe das Glück, mit Leuten zu arbeiten, die ich respektiere. Sie belügen mich nicht.“ Ich erzähle Ian von dem Mädchen, das uns schrieb, sie sei, seitdem sie „Rhythm Stick“ zum erstenmal hörte, hoffnungslos von ihm besessen. „Sie hat sich nicht in mich verliebt, sondern in irgendeine Vorstellung, die sie hat. Sie kennt mich ja nicht. Gelegentlich bieten mir irgendwelche Leute ihre Dienste an, weil sie denken, ,0h, er ist wundervoll.‘ Ich weiß genau, daß ich es nicht bin, den sie meinen. Es ist eine Art Traum, den sie haben. Vor zehn Jahren, als ich ziemlich einsam war, habe ich manchmal fantasiert, daß ich in die Strassenbahn steige und die Leute um mich herum bewundernd hinter vorgehaltener Hand tuscheln. Aber heute erschrickt mich so etwas, ich will nichts damit zu tun haben. Ich will lieber arm sein und fleißig im Verborgenen arbeiten. Aber fleißig sein bedeutet für mich zur Zeit genau das Gegenteil von arm und verborgen sein. Also muß ich das, was ich tue, in Frage stellen. Wenn nicht, würde es mich umwerfen.“
Ian wird sarkastisch. „Da kommt einer und sagt: ,Faß mich an!‘. Eh, bin ich der Papst? Hau ab! Wenn das so weitergeht… wir sollten eine LP ‚rausbringen: ,Live at Lourdes’…
Betrug am Publikum sei es, wenn man nur das tue, was die Leute im Moment verlangen. „Ich will meine Sachen immer bringen können,“ meint Ian, ,nicht nur zwei Jahre lang. Ich würde den Prozeß gern wieder etwas abbauen.“
Ian geht telefonieren, ich höre mir in der Zwischenzeit noch einen LP-Titel an: „An Easy Sunny Day Hotsy Totsy“. Ian schrieb diesen Song aufgrund der Inspirationen, die ihm die Clash und Tom Robinson vermittelten. Für beide würde er durch’s Feuer gehen. „Viele erklären die Clash und Tom Robinson für naiv und dumm. Ich finde, daß dieser Geist noch immer sehr erfrischend ist. Und sie haben recht mit dem, was sie sagen.“ Toms zweite LP hatte er allerdings noch nicht gehört. Auch nicht, daß Tod’d Rundgren sie produziert hat. „Das war keine gute Idee“, meint er. „Rudgren erinnert zu sehr an Kokain. Ich würde ihn nicht mal meine…hm… Hose produzieren lassen.“
Die Nachricht, daß die Ariola in Deutschland im März „Handsome“ von Kilburn & The Highroads wiederveröffentlichte, ließ ihn dagegen kalt. „Ich glaube, davon haben wir damals sechs Stück verkauft,“ grinst er. Als er dieses geigen- und chorverzierte Machwerk hörte, habe er die Gruppe sofort aufgelöst. „Ich habe keine Ahnung, warum die das Album wieder herausgebracht haben. Geld können die mit einer sc schlechten Platte jedenfalls nicht verdienen.“ Schon im vergangenen Jahr hatte die WEA „Kilburn & The Highroads“ neu veröffentlicht. (Dasselbe Material, nur anders produziert.) „Wir haben der WEA in England vorgeschlagen, die Songs mit den Blockheads neu einzuspielen. Umsonst! Die Firma sollte nur die Studiokosten tragen. Aber sie entschieden sich für den billigeren Weg. Die Platte verkaufte sich in England 25 000 mal.“
Ian Dury zwischen den Firmen. Kosmo brachte aus Amerika Angebote von CBS, Capitol und Warner Bros. mit. Doch Ian gibt sich noch recht unbeteiligt. Bei seiner US-Tournee von Küste zu Küste empfand er die Amis als rückständig und provinziell in ihrer Einstellung zur Musik, zum Leben und im Denken allgemein. „Letztes Jahr waren wir bei Arista. Wir haben hart gearbeitet, aber sie haben uns nicht unterstützt. Nun müssen sie uns erst einmal helfen, ehe wir wieder ‚rübergehen. Mir würde es allerdings nichts ausmachen, wenn ich das Land nie wiedersehen würde.“ Er weiß sehr gut, daß sie zur Zeit alle nur auf rhythm sticks scharf sind…