IAN HUNTER


Die Rockpalast-Nacht hat ihn neuerlich an den vorderen Bühnenrand geholt: Ian Hunter, vom Mott The Hoople-Chef zum Solisten, und — nicht zuletzt — zu einem Intellektuellen der Rockmusik mutiert. Besitzt der Mann tatsächlich besondere Talente oder schlägt er mehr Schaum als in die Gitarre? Und schuf er sich gar deshalb ein Charisma, indem er absichtlich nicht vors Publikum trat? Versuchen wir eine Personalbeschreibung dieses zumindest kontroversen Musikers… How are you, how are you…“ skandierte Ian Hunter zur Eröffnung seines Auftritts in der Rockpalast-Nacht — gleiches tat er in letzter Zeit bei vielen seiner wenigen Konzerte. Streng genommen könnte man ihm darüber böse sein: Die Frage, wie’s denn so geht, stände bei der momentanen Konstellation wohl eher dem Publikum zu. Wie geht’s Ian Hunter? Rund fünf Jahre lang hörte man von dem stets sonnenbebrillten Blondlockigen so gut wie nichts außer drei reichlich mäßigen Soloalben: IAN HUN-TER, ALL AMERICAN ALIEN BOY und OVERNIGHT AN-GELS. Gewiß, im vergangenen Jahr erzielte Hunter’s Viertling YOU’RE NEVER ALONE WITH A SCHIZOPHREN1C zu Recht beachtlich gute Kritiken. Aber reicht das, jetzt einfach daherzukommen, zu tun, als sei nichts gewesen und Wie geht’s? zu fragen? (Nebenbei bemerkt: Reicht dies, ihn als Star der Rocknacht zu präsentieren?). Ich weiß nicht, wie unser Jungtalent Michael Strzoda in seinem Rocknacht-Artikel über Ian Hunter denkt mir persönlich ist Hunter jedenfalls ziemlich langweilig, schlapp und fast ein bißchen deplaziert vorgekommen. Es genügt eben nicht, auf Charisma zu bauen, sich demonstrativ Kaugummi kauend vors Mikro zu stellen und Mick Ronson einen guten Mann sein zu lassen. Und zwischendurch teils starke, teils aber auch unterdurchschnittliche Kompositionen vom Stapel zu lassen. Ein schwacher Song kann allenfalls durch spieltechnischen Biß und geschickte Darbietung hinübergerettet werden. Das habe ich beim Fernsehauftritt vermißt. Mott The Hoople versuchten sich zunächst mit der Brechstange an allerlei Songmaterial, darunter auch ,,You Really Got Me“ von den Kinks. und litten unter mancherlei Querelen, so etwa einem steten Kampf zwischen dem härter orientierten Hunter und dem eher sotten Mick Ralphs, ursprünglich Chef der Band. Mehr noch: Die Band verkaufte zu wenig Alben, geriet in Schulden und löste sich 1972 auf. David Bowie, einer von Hunter’s Vorbildern, überredete die Motts zu erneutem Beginn. schrieb der Band mit „All The Young Dudes“ endlich einen anständigen Song und sorgte zudem für Publicity. Fortan anerkannte man Mott The Hoople als immerhin brauchbare Band, deren Alben ALL THE YOUNG DUDES, MOTT und schließlich THE HOOPLE gut hörbar waren. Bloß, in den USA kamen Mott The Hoople als LP-Band an. in England hingegen als Single-Hit-Produzenten, besonders durch „All The Way From Memphis“, ,,Roll Away The Stone“ und ,,The Golden Age Of Rock’n’Roll“. Mithin erzielte die Gruppe abermals nur zweideutigen Erfolg, obwohl sich Hunter als Songschreiber halbwegs konsolidiert hatte. Doch personelle Diffeienzen schwächten die Band erneut: Mick Ralphs wanderte zu Bad Company ab, wurde von Spooky Tooth’s Luther Grosvenor (alias Ariel Bender) ersetzt, der wiederum Mick Ronson weichen mußte. von weiteren Personalwechseln ganz zu schweigen. Jedenfalls, als man im früheren Bowie-Gitarristen Ronson den perfekten Neuzugang erwartete, lagen Mott The Hoople längst im Koma. 1974 verließen Ronson und Hunter die Motts, die noch zwei weitere Alben einspielten, und zogen nach Amerika um. Dort kurierte Hunter zunächst einmal einen Kreislaufkollaps aus. Schon 1973 hatte Hunter, einst ein angehender Journalist, ein autobiographisches Buch titels ,,Diary Of A Rock’n’Roll-Star“ veröffentlicht und darin bemerkenswerte Einblicke ins Rockbusiness, in Tourneestreß und Nervensägereien offenbart nun schien ihn die Theorie tatsächlich eingeholt zu haben. Glücklicherweise erholte sich der Sänger wieder und setzte seine Ambitionen fort: Eine Mischung aus Zynismus und Ehrlichkeit, aus Kritik am Showbusines und scheinbar devotem Hang am Gegenteil — dem Starkult. Und wieder schwankte Songschreiber Hunter zwischen gut (,,Once Bitten Twice Shy“) und schlecht. Derweil erging es Partner Mick Ronson ein wenig besser: Zwar zwei wenig bedeutende Alben, dafür jedoch viel Beifall in Bob Dylan’s (sie!) Rolling Thunder Revue und beispielsweise als Produzent und Mitspieler auf Roger McGuinn’s exquisiter LP CARDIFF ROSE. Wie überhaupt Produktion und gelegentliches Mitspielen auf Platten anderer Musiker stark zur Wiederbelebung des Duos Ronson/Hunter beitrug: Auf der zweiten LP von Generation X tauchte der Name Hunter’s auf, bei Ellen Foley’s Debüt waren beide hilfreich, mit Genya Ravan arbeitete man auf … AND I MEAN IT. Und beide fanden mit Hunter’s schon erwähnter Solo-LP YOU‘ RE NEVER ALONE WITH A SCHIZOPHREN1C auch selbst wieder zu mein als bloß akzeptablen Aussagen. Nicht umsonst bilden Songs dieses Albums heutzutage wesentliche Attraktionen im Live-Programm der Ian Hunter Band: etwa „Cleveland Rocks“, „Life After Death“, „Bastard“ oder „Just Another Night“. Zusätzlich bekommt der Hunter Band eine klare Rollenverteilung, in der Hunter und Ronson die Chefs und Martin Brüey (bg), Georgie Meyer (keys), Tommy Mandel (keys), Eric Parker (dr) sowie Tommy Morrongiello (g) die Assistenten darstellen, nicht schlecht. Und daß diese Band mehr bieten kann als in der Rockpalast-Nacht, beweist WELCOME TO THE CLUB, ein im Roxy Club in Los Angeles aufgenommenes Doppelalbum (siehe Longplayers). Der große Unbekannte in der momentan recht erfolgreichen Rechnung scheint jedoch Ian Hunter zu sein. Der Mann ist intelligent genug, die Widersprüche des Rocksystems zu erkennen, weiß zugleich aber auch, daß er darauf angewiesen ist und damit leben muß oder völlig auszusteigen hat. Zudem hat die Vergangenheit gezeigt, daß Kontinuität bei Hunter kaum erwartet werden darf. Bleibt zu hoffen, daß man Hunter’s (und Ronson’s) neue Aktivitäten als solche erkennt und nicht auf altem Mott The Hoople-Image herumreitet. In Hunter’s deutscher Biografie steht über Mott The Hoople „… zweifellos eine der größten und zugleich meistverkannten britischen Rockbands der 70er Jahre“ zu lesen. Eine fatale Verkennung der Verhältnisse: Nur die extrem lahmen Jahre 1972-75 haben Bands wie die Motts überhaupt hochkommen lassen — in dieser Zeit ‚groß‘ gewesen zu sein, bedeutet wenig. Ian Hunter weiß das sicherlich. Das Publikum auch?