Ich liebe Musik
Herb Alpert ist nicht nur der weltweit erfolgreichste Trompeter. Herb Alpert ist auch das "A" der amerikanischen Plattenfirma "A&M", bei der beispielsweise Hitlieferanten wie Chris de Burgh, Sting oder Janet Jackson unter Vertrag stehen. Der 50jährige Sunnyboy ist in der glücklichen Lage, sein Hobby zum Beruf machen zu können:
Scheiß-Verkehr, verfluchter! Noch nicht mal zwei Uhr mittags, trotzdem ist der Santa Monica Boulevard schon wieder verstopft. Bei 35 Grad im Schatten quält sich die Blechlawine in Richtung downtown Los Angeles träge von Ampel zu Ampel. „Seien Sie bloß pünktlich“, hatte mir der besorgte Presse-Mensch vom A&M-Records mehrfach eingeschärft. „Eigentlich gibt Herb Alpert gar keine Interviews mehr, also lassen Sie ihn bitte nicht warten.“ Will ich ja auch gar nicht, Mann! Aber so wie’s aussieht, bleibt mir gar nichts anderes übrig.
Endlich: North La Brea Avenue 1416, mitten in Hollywood, zwei Blocks südlich des berühmten Boulevards mit den Sternen auf den Bürgersteigen. In dieser Umgebung wirkt das A&M-Gelände mit seinen relativ niedrigen, Efeu-umrankten Studiound Büro-Gebäuden richtig niedlich, fast europäisch.
„The Lot“, wie der Komplex auch genannt wird, wurde Anfang der 20er Jahre von Charlie Chaplin gebaut, der hier nicht nur gewohnt, sondern auch all seine großen Stummfilme gedreht hat. Später zog das Fernsehen ein, filmte in den Studios Serien wie „Superman“ oder „Perry Mason“, bis das Gelände vor genau 21 Jahren von A&M-Records übernommen wurde. Damals arbeiteten hier 32 Leute, heute sind es 285 — trotzdem wirkt „The Lot“ eher wie ein alter Dorfplatz als wie die Schaltzentrale einer der wichtigsten weltweiten Plattenfirmen.
„um die Gestallung des Geländes kümmert sich Herb immer noch persönlich“, erklärt der nicht mehr ganz so besorgte Presse-Mensch und zeigt auf Blumenkästen und Wandmalereien. Er führt mich über den Kopfstein-gepflasterten Innenhof zum Büro des großen Meisters in einem der ältesten Gebäude des Firmenkomplexes. Vor der Tür parkt ein schwarzer Maserati: Hier riecht’s nach Geld, nach viel Geld. Im Vorzimmer tickert ein Fernschreiber, Telefone klingeln, zwei Sekretärinnen und Alperts jüngste Tochter kümmern sich um die Geschäfte ihres Chefs.
Neben einer Vitrine mit goldenen Schallplatten, Preisen und Ehrungen aller Art öffnet sich die Tür zum Allerheiligsten. Ein braungebrannter und unverschämt gutaussehender Herb Alpert holt sich eine neue Flasche Mineralwasser und bittet in ein Büro, das nach allem aussieht, bloß nicht nach Arbeit. Die groben, niedrigen Steinwände geben dem Raum die Atmosphäre eines gemütlichen Kellergewölbes, es ist schummng, herrlich kühl und herrlich unaufgeräumt. Ganz hinten stehen ein großer, schwarzer Flügel und diverses, elektronisches Instrumentarium, davor ein vollgeräumter Schreibtisch, eine Sitzecke, jede Menge Pflanzen und Krimskrams.
Überall hängen Fotos, hunderte: Herb mit Louis Armstrong, Herb mit Supertramp, Herb mit Quincy Jones, Herb mit allen. Herb mit jedem. Daß er auch mit Farbe und Pinsel umgehen kann, beweisen die abstrakten, poppig-bunten Ölgemälde an den Wänden: Zu allem anderen ist Herb Alpert auch noch leidenschaftlicher Sonntagsmaler. Hier läßt sich’s aushalten, Mister Alpert.
„ich bin auch fast den ganzen Tag hier“, grinst der 50jährige ganz und gar nicht unzufrieden. „Ich übe, spiele Trompete und Klavier, arbeite eng mit den Aufnahmestudios und der lateinamerikanischen Abteilung zusammen, und was sonst so anfällt. Ich habe keine Routine, wie du an meinem Tisch sehen kannst: Jeder Tag ist anders. Ich lebe aus der rechten Hirn-Hälfte, ich bin Künstler, ich denke an Musik, ich lebe Musik, ich habe die ganze Zeit Musik im Kopf. Und wir haben extrem fähiges Personal, das all das tut, wozu ich keine Lust habe.“
Was Alpert auf den Tod nicht ausstehen kann, ist „in einem Raum voll Rechtsanwälten und Notaren über Geschäfte zu reden. Das ist mir echt zu langweilig“, darum überläßt er diese Arbeiten — soweit es irgend geht — dem „M“ von A&M, seinem Freund und Partner Jerry Moss, mit dem er die Firma vor einem Vierteljahrhundert gegründet hat.
Nicht anders als die Independent-Labels heute, wollten die beiden „keine Platten herausbringen wie sie eh schon im Radio liefen, sondern welche wie sie noch nicht liefen“.
Das war damals allerdings noch ungleich schwieriger, obwohl Alpert und Moss 1962 beileibe keine Grünschnäbel mehr waren. „Ich habe schon vorher als Trompeter mit kleinen Bands rund um Los Angeles gespielt“, erinnert sich Herb. „Außerdem hatte ich auch schon die eine oder andere erfolgreiche Platte produziert und jede Menge Songs geschrieben.“ „What A Wonderful World“ zum Beispiel, das er 1957 gemeinsam mit Sam Cooke ausgeheckt hat und das erst letztes Jahr (Levi’s sei Dank) zum dritten Mal ein Welthit wurde.
Alpert hat sich darüber gar nicht sonderlich gefreut: „Ich mag sowas nicht. Es kommt natürlich auf den Song an, aber meist geht das ursprüngliche Gefühleines Lieds verloren, wenn es nachträglich mit Bier, Sprudel oder sonstwas verbunden wird. Mir ist das zu kommerziell. Außerdem will ich mein Geld nicht mit Sachen verdienen, an die ich nicht glaube. „
Die erste Single, mit der A&M vor 25 Jahren Geld verdiente, war „The Lonely Bull“ von Herb Alpert & The Tijuana Brass, wie seine Band damals hieß. Das nötige Startkapital hatte sich das junge Unternehmen besorgt, indem es die Vertriebsrechte eines anderen erfolgreichen Songs an eine große Firma verkaufte. „The Lonely Bull“ wurde A&Ms erster Hit, und die finanzielle Grundlage für alle weiteren Schritte war gelegt.
Firmensitz (Büro und Übungsraum in einem) war damals noch Alperts kleine Garage, doch schon drei Monate später konnte man — mit bereits sechs Angestellten — in neue Räumlichkeiten umziehen. Schwerpunkt des Repertoires waren zunächst lateinamerikanisch angehauchte Tanzkapellen wie die Tijuana Brass oder die Baja Manmba Band, sowie populäre Solo-Künstler vom Kaliber Burt Bacharach, Liza Minelli oder Chris Montez. Allein Herbs eigene Band brachte in den ersten acht Jahren A&M über 20 Instrumental-Singles in die Hitparaden.
„Damals waren wir noch für einen bestimmten Sound bekannt“, bestätigt Alpen. „Das änderte sich erst 1968. als wir auch mit englischen Künstlern anfingen: Procul Harum, Peter Frampton, Joe Cocker usw. Da wurden wir sowas wie ein Rock ‚«‘ Roll-Label. weiteten uns aus, und die Identität änderte sich deutlich. Dabeihatten wir gar keinen großen, umfassenden Plan, nach dem wir vorgingen; keinen sorgfältig überlegten ersten, zweiten, dritten Schritt. Die Dinge passierten einfach. Ich glaube da schon irgendwie an göttliche Fügung: Wenn du die richtigen Wege ebnest, läuft die Sache auch. Einige Bands haben wir angesprochen, andere meldeten sich von sich aus bei uns und wollten vorspielen. Wir haben so gut wie nie große, fertige Stars eingekauft, sondern die meisten Acts selber entwickelt.“
Dabei ging es Alpert weniger darum, ihnen zu sagen wie sie klingen sollen, sondern ihnen dabei zu helfen, so zu klingen wie sie klingen wollen. “ Von der goldenen Regel halte ich nicht viel.“
Die goldene Regel?
Ja: Wer das Gold hat, macht die Regeln!“
Eine Zusammenarbeit auf der Basis gegenseitigen Vertrauens funktioniert natürlich nur bei einer entsprechend engen Beziehung zum einzelnen Künstler. Darum bemüht man sich auch heute noch bei A&M, „auch wenn das jetzt natürlich schwieriger ist, bei der Größe und weltweit“.
Hört sich Herb noch jede neue Band an, bevor die Verträge unterschrieben werden?
„Die meisten schon, aber natürlich gibt’s da immer einige, mit denen ich mich nicht so gut auskenne. „
Und natürlich gibt es auch genügend, die nicht unbedingt sein persönlicher Geschmack sind: “ Wenn ich allein entscheiden würde, hätten wir wahrscheinlich nur 15 bis 20 Gruppen unter Vertrag, statt mittlerweile 65. „
So wie sich das A&M-Programm im Laufe der Jahre immer weiter von Latino-Klängen zu Rock und Pop verschoben hat, wurde auch Alperts persönlicher Stil zusehends breiter, internationaler und moderner. Natürlich würde man seine Trompete auch heute noch unter tausenden heraushören, natürlich ist er seinen lateinamerikanischen Wurzeln nie ganz untreu geworden, aber die Tage der Tijuana Brass sind lange vorbei. Das war damals richtig nette Blasmusik, die sich sogar meine Mutter gekauft hat: eine Art James Last mit einer Messerspitze Chili-Aroma. Die Musik, die er heute macht, gefällt meiner Mama bestimmt nicht mehr — sie würde mir wahrscheinlich nichtmal glauben, daß das immer noch derselbe Herb Alpert ist.
„Das ist auch gut so“, lacht er. „Ich höre mir meine allen Sachen gar nicht mehr an. “ Bloß nicht auf der Stelle treten! Für sein letztes Album holte sich Alpert sogar zum ersten Mal in seiner Karriere den Rat fremder Produzenten, um auf jeden Fall vorndran zu bleiben: Keep Your Eye On Me wurde zur Hälfte von Jimmy Jam und Terry Lewis betreut, die unter anderem Janet Jackson zum Weltstar machten „Die Idee kam mir, als ich ihnen die Platin-LP für Janets Control-Album überreicht habe. Wir standen hier so vorm Büro rum, und ich fragte sie: ,Hey, habt ihr eigentlich schonmal ein Instrumental-Album aufgenommen, habt ihr schonmal mit einem Trompeter rumgemacht?‘ Sie sagten nein, aber daß das bestimmt Spaß machen würde… Die beiden haben so einen speziellen, einzigartigen Sound, daß ich einfach wissen wollte, wie sie das machen und ob sie das auch mit mir machen können. „
Sie konnten. Auf der Innenhülle des Albums bedankt sich Herb „für eine Zeit in meinem Leben, die erfillt war von Wärme, Kreativität und Musik, wie ich sie mir nicht hätte träumen lassen „. Jetzt weiß er auch, wie sie das machen: „Die hören ganz anders zu als andere Produzenten. Sie hören viel mehr auf die Bewegung in der Musik, das muß alles tanzen. Einmal war ich im Studio, habe nur so vor mich hingespielt, ziemlich jazzig, und Jimmy meinte:, Nein, Mann, das ist viel zu hektisch, viel zu viele Noten. Wenn du nicht mit dem Kopf dazu wackeln kannst, vergiß es!‘ Außerdem sollst du Spaß beim Zuhören haben: Bei den beiden passieren immer so Kleinigkeiten im Hintergrund: explodierende Sterne, Echos, Tricks und solche Sachen, die den Song nicht unterbrechen, aber eine Note hinzufügen, die unverwechselbar Jim und Lewis ist. „
Wie viele seiner Altersgenossen hört Herb Alpert privat am liebsten Jazz: „Das ist die ultimative Kunstform. Ich glaube, die ganze Musik entwickelt sich immer mehr zum Jazz, denn wonach wir heute suchen, ist mehr Ehrlichkeit: die eigene, persönliche Ehrlichkeit, die Ehrlichkeit der Politiker, die Ehrlichkeit in der Musik …“
Alpert ist strikt dagegen, Dinge nur deshalb zu tun, um anderen damit zu gefallen — eine Arbeitsweise, die nirgendwo so verbreitet ist wie im Hit-verliebten Geschäft mit der Popmusik. „Trotzdem glaube ich, daß beides möglich ist: daß man durchaus einen Mittelweg gehen kann, auf dem man seiner eigenen Seele treu bleibt und trotzdem auch Außenstehenden gefällt.“
Grundvoraussetzung ist natürlich, daß man sich offen hält für alles und jeden. Ob Musik oder Malerei, „ich gehe da auf dieselbe Art und Weise ran: Du fängst mit nichts an, machst einfach irgendeine Bewegung, und eins kommt zum anderen. Ich glaube, es ist nicht so sehr ein bestimmter Song, ein Groove oder ein Rhythmus, auf den die Leute ansprechen, sondern es ist das Gesamt-GefüM, das eine gute Platte ausmacht.
Danach suche ich — und mit Perfektion hat das nichts zu tun. Ich höre auf meinen Bauch und meine Schultern: Manchmal, wenn irgendwas nicht so ganz stimmt, verspannen sich einfach deine Schultern, und wenn du dann ehrlich zu dir bist, mußt du zugeben, daß dir gar nicht gefällt, was du da machst.“
Herb lächelt versonnen in seine inzwischen leere Wasserflasche: „Ich bin heute in der glücklichen Lage, machen zu können, was ich will und wann ich’s will.“