Iggy Pop


Die Welt ist reif für Iggy Pop. Der Rock hat sich verändert, sein Publikum und nicht zuletzt auch Iggy selbst. Nun paßt alles zusammen. Harald Inhülsen erlebte unseren Mann aus Kill City im Verlauf der jüngsten Deutschland-Tournee. Sein Fazit: Iggy, der vor genau einem Jahrzehnt seine erste LP mit de« Stooges herausbrachte, ist heute mehr denn je die intensivste Verkörperung des Rock’n’Roll.

Man muß sein Leben von beiden Enden verbrennen, sich dem Extrem hingeben, jeder Vorsicht und jedem Maß abschwören. “ (Klaus Kinski.) Intro. Dunkel. Die Silhouetten der Musiker. Schleichende/ bombastische Synthesizer-Wogen. Italo-Amerika-Stimmung. Spaghetti-Schwüle. Warten. Auf die staubigen/verrotteten Stiefel. Die verdreckten Nasenlöcher. Die Einsamkeit in der Sandwüste. Ein marschiger Rhythmus setzt ein.

„Kommt nicht immerfort Nacht und mehr Nacht.“ Nitzsche. Die kleinen Sand-Papier-Pickel schmirgeln sich langsam den Nacken hoch. Aus dem Dunkeln taucht er plötzlich auf. Der Mann. Eine Handvoll Dollar. Eastwood oder Osterberg? Er kommt näher, in der Hand ein Tablett mit Oblate. Über dem Unterarm ein Hand-/Servieituch. Serviert was? Er tritt an das Geländer, das ihn daran hindert, weiterzugehen/das ihn vor dem Abgrund schützt. Die Kekse wirft er nach und nach in den Abgrund. Irgendwo da unten ist das Publikum. Friedhof-Szenerie. Das schwarze Loch. Der Übergang, direkt rein in ‚Kill City‘. Vor Morricones Musik aus ‚Eine Handvoll Dollar‘ geht der Blick ins Innere kalter Staub- und Gaswolken. Italo-Western-Ästhetik trifft auf Los Angeles-Müll. In Hannover. Auf einer Plattform, die fünf Meter über dem Publikum hängt. Spärlich erhellt durch zwei kleine Lichtmasten, die das Licht von den beiden Seiten her geben. Iggy. wenn er sich am Rand des Abgrunds bewegt oder in das Geländer einwickelt, agiert so mit Kopf und Körper aus einer Dunkelzone heraus. Und aus dieser Nacht-Dämmerung schleudert er sein Inneres/seine Empfindungen, speit er seine Liebe, seinen Zorn, seine Besessenheit vom eigenen/tobenden Ich. Was dann jeden einzelnen Muskel seines Körpers stimuliert, eines Körpers, der sich wie eine Hülle/ wie ein dehnbares Netz um das brodelnde Innenleben legt und es so vor dem vollständigen Auslaufen schützt. Gerade ohne den Hemmschuh Publikum bringt Iggy am meisten raus, hat er die Kontrolle/die Disziplin. „Aus unserer Nacht kommen uns die Dinge. Unser Werk präexistiert in uns. Das Problem besteht darin, es zu entdecken. Wir sind nur seine Archäologen.“ Jean Cocteau. „Ich brauch Euch nicht, Ihr braucht mich“, brüllt Iggy, und das ist es. Die Liebe-Haß-Affäre. Die Zuschauer, die Mensehen da unten, reagieren überhaupt nicht. Stehen nur da. Und in genau dieser Situation ist Iggy am besten/der Beste überhaupt. ‚You’re a piece of shit“ nennt er das Publikum und greift sich in die Hose, läßt sie runter, dreht sich mit dem Hinterteil zu den Leuten und macht eine Beuge. ‚Honeycome-and-be- my-enemy-I-can-luv-Ya-too“. Iggy tritt mit nacktem Oberkörper auf, um besser zu fühlen. Der African Man schlechthin. Besessen von sich. Er verführt das Publikum, fleht es an und ignoriert es – doch niemand kann von ihm loskommen. Er saugt alles auf. Der Auftritt ist ein permanenter Versuch, seine Umgebung zu kontrollieren. Er lehnt sich über dieses Geländer und stochert mit dem Mikroständer über den Köpfen der Zuschauer im schwarzen Loch, in der Leere… doch diesmal fällt er nicht! Nicht mehr. Denn Iggy Pop ist auf dem Siegeszug. Mit einem neuen/brillanten Album („New Values“) und einer kontrollierten/disziplinierten Bühnenshow. Denn Iggy hat gelernt.

„Die Ästhetik des Verlierers/ der Niederlage ist einmalig und dauerhaft. Der, der die Niederlage nicht versteht, ist verloren. Die Bedeutung des Zusammenbruchs/Versagens ist immens. Ich meine nicht das, was versagt; wenn man dieses Geheimnis nicht versteht, diese Ästhetik, diese Ethik des Scheiterns, hat man überhaupt nichts verstanden. Dann ist der Ruhm leer.“ Jean Cocteau. „Ohne Zweifel erwerben die Fürsten Ruhm, indem sie Schwierigkeiten und Widerstände überwinden.“ Niccolo Machiavelli. Iggy Pop 1979. Der Mann, der die Welt studiert, der die ‚Herald Tribüne‘ liest. Der Mann, der Machiavellis Werk „Der Fürst“ zum Fundament seiner Handlungs- und Verhaltensweisen auf dem Weg durch Mißerfolg zum Erfolg erklärt – sein Motto: Alles ist erlaubt! Das Cocteau-Zitat ist Iggys Lebensphilosophie, es stammt aus einem Buch, das Iggys ex-‚Untermieter David Bowie ihm geschenckt hat. Doch erzähl‘ Iggy nichts vom „Verlieren“, er ist der, von dem Cocteau spricht. Er hat’s durchlebt. Er durchlief den mehrfachen Tod. den der Mensch/Künstler sterben muß, um in die Geschichte einzugehen – „we’re going down, in the history“ („Death Trip /Iggy Pop 1973). Seine Einsamkeit ist so groß, seine Empfindungen sind so intensiv, er lebt so sehr in seinem Rock’n’Roll, daß seine Gefühle in jedem einzelnen Auftritt leben wie eine Wunde. Seine Rock-Shows sind nicht nur exzellente/wilde Musik – das ist mehrdimensional. Das sind Visionen, die du in seinem Gesicht, in den Augen, den Bewegungen überhaupt, ablesen kannst. Nach der Performance ist Iggy so schwer auf den stinkenden Boden der Realität zurückzuholen, daii Stu, sein Bodyguard, ihn an der Hand führen muß. wie einen Affen, am Boden kriechend.

Die Gespräche. Mit Iggy. Wir reden zehn Stunden, und das ist ein Gedankenaustausch mit einem neuen Iggy Pop, der jünger / konzentrierter / zielstrebiger/klarsichtiger ist, als jemals zuvor. Er weiß, was er will! Mit seinem neuen Management, seiner neuen Plattenfirma ( Arista) und einem neuen Wohnsitz in England: „Unter meiner Wohnung wohnt Dusty Springfield. Eine großartige Frau. Jeden Abend, wenn sie ins Bett geht, legt sie ihre Kleider so hin, daß es aussieht, als würde neben ihr jemand liegen. Morgens ist derPartnerdann immer noch da.“ Und noch eine Aussage von Ig, diesmal über Bowie und sich selbst: „Ich hab gerade eine Story über den nuklearen Endkampf in der ‚Tribüne‘ gelesen, was alles passiert, wenn die Bombe fällt. Weißt du. wenn’s wirklich feststeht, wann die Bombe fällt, dann würde Bowie sich den Globus nehmen and den Ort raussuchen, der vielleicht verschont wird. Ich werde die Stelle suchen, wo die Atombombe aufschlägt und genau da stelle ich mich hin,denn ich will’s fühlen, genau da!“ Bisher tauschen Ig und Bowie noch Bänder mit ihrer Musik aus, um zu hören, was der Andere denkt.

Zurück zum Geschäft. Zum Rock’n’Roll. Iggy: „Ich habe mir jetzt den Mafia-Stil angeeignet. Die verhalten sich ja wie Gentlemen. Doch wenn mich jemand über’s Ohr hauen will, dann werde ich zum gemeinen, schmutzigen kleinen Geschäftsmann, was ich dann auch wirklich genieße!“ Dazu Machiavelli: „Denn man kann sehr wohl gefürchtet sein, ohne gehaßt zu werden.“ „Ich arbeite mit guten Leuten zusammen, wir überprüfen uns gegenseitig, yeah. ich gebrauche alles, was ich zu Verfügung habe. Deshalb bin ich jetzt auch in der Lage, mehr Aufmerksamkeit zu erlangen und die Aggressivität, zu der ich auf der Bühne fähig bin, zu gebrauchen.“ Iggy Pop informiert sich über das, was um ihn herum passiert. Das Ziel: „Meine eigene Musik zu machen. I’m straight, man! Ich scheiß auf die Anderen, man hat mich lange genug rumgestoßen, and I fuck it! Das reicht! Ich bin auch davon weg, nur mit solchen Leuten zusammenzuarbeiten, die zufällig den gleichen Geschmack haben, in der Musik. Kleidung, im Lebensstil. Statt dessen arbeite ich mit den unterschiedlichsten Leuten: Glen (Matlock) kommt daher wo er herkommt. Jackie (Clark) ist aus dem Mittel-Westen. Scott (Thurston) ist eine Los Angeles-Hure. er ist auch mein Bandleader, und Klaus (Kruger) ist Klaus. Und ich bin ich! Das ist äußerst interessant, weil’s deinen Horizont erweitert; und das führt zu einer besseren Einschätzung der problematischen Situation. Rock’n’Roll zu spielen, ohne dabei dein Leben und deine Gesundheit zu verlieren!“

Iggy über Arista: „Das ist ein kleiner Haufen ganz schön aggressiver Typen. Wie ein Rudel Wölfe! Früher war ich ein einsamer Wolf, heute gehöre ich zum Rudel! Dadurch werde ich gute Platten und Shows machen können. Ich glaube, daß meine Bühnenshows jetzt viel besser sind, doch da muß noch ein weiter Weg zurückgelegt werden; ich will Nr. 1 werden, und ich weiß, daß ich das Zeug dazu habe, denn ich habe sechs Jahre meines Lebens verschlafen – also bin ich verdammt gut ausgeruht!“ Für Iggy sind Mick Jagger und Bowie die Show-Stars, die er schätzt und mit denen er in einer Reihe tanzen will.

Gibt es Kompromisse, muß man nicht etwas von seiner Person aufgeben, wenn man Nr. 1 werden will, sich auf dem kommerziellen Markt bewegt? Iggy: „Man muß nur die Massen finden. Meinst Du damit, daß man sich ’ne Warze abschneiden sollte? Wenn ich ein Geschwür hätte, würde ich’s mir abschneiden. Nein Harald, ich glaube nicht, daß ich was aufgeben werde, um was Anderes zu erreichen! Kompromisse für den kommerziellen Markt mache ich, aber intelligente! Das ermöglicht mir aber doch, dann endlich die Musik zu machen, die ich will. Wenn ich aber alles auf einmal machen würde, wie mit den Stooges, dann gehst du kaputt. Guck dir die SexPistols an. Starke Band, aber wo sind sie heute? Denk mal nach. Du halst viel zu viel von der sogenannten New Wave; das ist ein Haufen Scheiße! Ich bin aufgewacht und hab meinen Stil geändert. Mein enges Blickfeld ist erweitert, ich glaube nicht mehr, daß Musik nur dann gut ist, wenn’s bum bum bum bum bum geht; bum bum bum ist gut, aber es gibt noch andere Möglichkeiten. Ich habe jetzt meine Maske abgelegt und meine Nadel abgegeben!“ Bekenntnis eines ex-Punks. Iggy will im Jahr 1979 „Reichtum, Ruhm, der Beste sein und die Chance haben, Musik zu machen, die so verrückt ist, wie ich es bin. Ohne Ruhm kann ich meinen obszönen Krach nicht verwirklichen!“ Iggys letztes Geständnis: „Das Wichtigste: du mußt was zustandebringen. Keiner hat Zeit für ’nen Verlierer! Dabeisein ist alles!“

Finale: Iggy Pop wird’s schaffen. Sein letztes Album „New Values“ und seine letzte Tournee beweisen es. Er ist die intensivste Verkörperung des Rock’n’Roll.

Zukunft: Mit James Williamson ein neues Album in England machen, ihn zurück auf die Bühne bringen und im Sommer in der TV-Show ‚Bio’s Bahnhof‘ auftreten.