Immer mit der Ruhe


Nach Europa haben die Kings Of Leon nun auch die USA erobert. Doch Abheben entspricht nun wirklich nichtdem Naturell derfrisch gebackenen Farmbesitzer.

d“Any spare ticketsfor Kings Of Leon„? Schon am Ende der Rolltreppe, U-Bahn-Starion Tottenham Court Road. bekommt man einen kleinen Vorgeschmack darauf, was sich heute abend nur einige Meter weiter im Londoner Astoria abspielen wird. Gut, in Vorbereitung auf die Preisverleihung finden Ende Februar eineinhalb Wochen lang die dazugehörigen „NME Award Shows“ statt, insofern ist in der Stadt generell eine gewisse Vorfreude zu spüren. Die Konzerte von Maximo Park, Klaxons und We Are Scienrists in der rund 3.000 Menschen fassenden Arena sind bis unters Dach ausverkauft (und man fragt sich unweigerlich, was der junge Rolltreppen-Mann denn für ein Ticket bezahlt hätte). Die kostenlosen U-Bahn-Zeitungen bauschen einen Streit zwischen den Arctic Monkeys und den Kaiser Chiefs auf und spekulieren über zusätzliche Personenschutz-Maßnahmen während der Show, schließlich traut man beiden Bands zu, den abfälligen Kommentaren handgreifliche Antworten folgen zu lassen. Man sieht im Fernsehen ein einstündiges Award-Special auf Channel 4, in dem Jarvis Cocker verschmitzt zu Protokoll geben darf, wie gut er es findet, dass wenigstens irgendjemand aus Sheffield verdiente Erfolge einfährt. Und die Kings Of Leon sind, obwohl die Band immerhin für fast zwei Jahren von der (europäischen) Bildfläche verschwunden schien, Teil dieses Trubels. Eine kleine Überraschung. Schließlich hatte ihre vergleichsweise traditionelle – gerne auf ihre Herkunft aus dem Süden der USA zurückgeführte – Spielart modernen Garagen-Rocks trotz Kritiker-Lobs nie das ganz große Publikum erreicht. Aber hier, an diesem Abend, sind die Brüder Caleb, Jared, Nathan und ihr Cousin Matthew Followill tatsächlich unbestritten Superstars.

Als die vier pünktlich um 21 Uhr die Show mit „Black Thumbnail“ vom neuen Album BEcauseofthe Times eröffnen, herrscht grenzenlose Begeisterung. Die sich in ungebremste Euphorie steigert, als Drummer Nathan mit einigen Schlägen auf seine Hi-Hat „Taper Jean Girl“ ankündigt. Ungeahnte Tumulte im Zuschauerraum, und auf der großen Tribüne wird lautstark mitgesungen. Und selbst dort, in einigermaßen sicherer Entfernung stehend, wird man von der unglaublichen Präsenz der Followills umgehauen, obwohl die Band kaum körperliche Regungen zeigt. Sänger Caleb steht ziemlich ungerührt dort, be dankt sich ein paar Mal artig beim Publikum. Nathan kaut lässig Kaugummi. Gitarrist Matthew, ständig auf den Boden starrend und das Gesicht von der langen Mähne verdeckt, sieht man so gut wie gar nicht. Einzig Bassist Jared hat erkennbar Spaß. Ist das nun im wahrsten Sinne des Wortes die Bodenständigkeit des amerikanischen Südens oder einfach die Gewissheit, das Publikum fest in der Hand zu haben? Später im Interview wird Nathan zumindest zugeben, dass sie doch ein wenig „überrascht“ waren: „Das Publikum in London war immer großartig, jede Show dort war absolut verrückt. Wir hatten so etwas schon erwartet abernachdem wir zwei Jahre lang nicht mehr dort waren, hatten wir irgendwie vergessen, wie verrückt die Zuschauer dort wirklich sein können.“ In der Tat: Trotz eines mit Liedern des neuen Albums gespickten Sets gerät der Abend zu einem siegreichen Auswärtsspiel. Beim letzten Lied vor der Zugabe, dem düsteren Bluesrocker „Trani“, regt sich sogar was: Caleb wirft in Rage sein Mikrofonstativ auf den Boden. Das aktuelle Album because 01 thf times ist bereits seit fast einem Jahr im Kasten und wurde 2006 schon ausgiebig im Vorprogramm von Pearl Jam und Bob Dylan getestet. Begonnen hatten die schier endlosen Tourneen bereits ein Jahr zuvor als Support Act von U2. Während sich die ersten gemeinsamen Auftritte noch etwas dahinschleppten, Nathan berichtet von „sieben verkauften T-Shirts“ bei zwei Shows in San Diego, wurde die Tour schließlich doch ein Erfolg. U2 nahm die Band unter ihre Fittiche und ermutigte ihre Fans, doch früh zu kommen und sich den Support-Act anzusehen. Dazu Nathan: „Das Publikum war großartig, wenn man bedenkt, wer diese Leute sind. Natürlich sind sie dort, um Uzzu sehen. Aber es gibt so viele Vz-Fans, die jede Show besuchen, dass nach der Hälfte der Tour auf einmal Leute da waren, die offensichtlich auch uns hören wollten, weil sie uns zu dem Zeitpunkt schon zehn Mal gesehen hatten und langsam begannen, uns zu mögen.“ Erfolg ist das Ergebnis harter Arbeit, dieses Credo galt für die Kings Of Leon schon immer. Die unzähligen Tour-Termine hatten genau den gewünschten Effekt: Das Sprichwort vom Propheten – hiermit sei ein letztes Mal auf die Herkunft der Followill-Brüder aus einem Wanderpriester-Haushaltangespielt-, der im eigenen Land nichts gilt, hat keine Bedeutung mehr. Auch in der Heimat bahnt sich, nach zunächst zähem Ringen mit der Presse, konservativem Formatradio und MTV, der ganz große Erfolg an. „Die Reaktionen in den USAsind immer noch nicht so verrückt wie die in Europa oder Großbritannien, aber zehn Mal so gut wiefrüher“, stellt Nathan fest. „Weißt du, wir sind froh, dass wir eine Weile gebraucht haben, um auch in Amerika groß rauszukommen. Wenn wir auf einen Schlag erfolgreich gewesen wären, hätte das Probleme mit sich bringen können. Ich meine, wir sehen das doch an den Bands, die mit uns angefangen haben, die hatten teilweise aus dem Stand Riesenerfolge, und jetzt hörst du nichts mehr von ihnen. Wir sind hier, haben gerade unser drittes Album gemacht, undalle lieben es.“ Insofern waren die Support-Slots ein weiterer Ansporn für den in Nashville beheimateten Familien-Clan. Nicht nur U2, auch die sonst nicht als übermäßig warmherzig bekannten Eddie Vedder und Bob Dylan waren mehr als angetan von der Band, Letzterer ließ sich nach einer Show sogar dazu hinreißen, das bereits erwähnte „Trani“ als „super Song“ zu bezeichnen. „Die Tatsache, dass wir so eine junge Band sind und dass Leute wie Bono, Eddie Vedder und sogar Bob Dylan unsere Arbeit anerkennen und uns als Musiker respektieren, ist unglaublich „, sagt Nathan voller Stolz. „Ich denke, wir erinnern diese Typen an früher, als sie genauso alt waren, wie wir jetzt sind. Es ist ein bisschen so, als wollten sie uns beschützen, uns helfen, bestimmte Dinge zu vermeiden, die sie gerne vermieden hätten. Aber vor allem haben sie uns eines mitgegeben: Immer den eigenen Kopf behalten. Niemals größer als die Musik werden. Und nicht vom Erfolg überwältigen lassen.“

Wenn Superstar-Status nach diesen Kriterien bemessen werden würde, wären die Kings Of Leon wohl längst am Ziel, because of the times zeigt deutlich den eigenen, sogar eigenwilligen Kopf der Band. Anders lässt sich die Wahl von „On Call“ als Single (ein Blues, in dem Caleb mehr an den einsamen Büßer in der Wüste als den schillernden Rock’n’Roller erinnert) kaum erklären. Aber flockige Single-Hits sind ohnehin kein Thema: because ofthe Times ist schmutzig, laut und kontemplativ. Und ein „bisschen melancholischer“, wie Nathan findet. „Wir haben natürlich immer noch Rocker, die für alle Fans sofort als unsere Songs erkennbar sind, die Spaß machen und die Leute zum Tanzen bringen. Aber weißt du, wir wollten raus aus dieser Ecke, wollten über die Zweieinhalb-Minuten-Songs hinausgehen. Natürlich hätten wir ein drittes Album voll mit Songs wie ,Molly ’s Chambers‘ und Jhe Bücket‘ machen können, ich bin sicher, die Leute hätten es geliebt. Aber wir hätten es nicht gemocht, denn wir wollen immer weiter wachsen. Wir wussten dieses Mal genau, wie die Platte klingen sollte, unddas ist der entscheidende Unterschied: Es istdieerste Platte, die die Band produziert hat.“ Und zu der die gesamte Band beigetragen hat: Das rhythmisch komplexe „McFearless“ trägt den bandinternen Spitznamen „Jared“, um dessen Bass-Linie herum der Song entstanden ist. Aber auch insgesamt ist man reifer geworden, das unbekümmerte Aufzählen von Fremdeinflüssen, das die Interviews zum letzten Album noch prägte, ist passe. Einzig den Pixies-Bezug von „Charmer“ räumt Nathan widerwillig ein, und dass „jede Nacht Uz live zu sehen, uns ein bisschen beeinßusst hat. Wir wollten auch einen größeren Sound.“

Nicht größer als die MUSikzuwerden,davor schützt die Kings Of Leon schon der familiäre Zusammenhalt – in den die gesamte Verwandtschaft eingebunden scheint. Die ersten Menschen, die das fertige Album hören durften, waren die etwa 150 Followills, die sich jedes Jahr zu einem mehrtägigen Familientreffen in einem Kaff in Oklahoma versammeln. Abends am Lagerfeuer werden traditionell Gospel-, Country- und Blues-Songs gesungen, letztes Jahr jedoch stand dort ein CD -Player. „Wir waren eine Weile nicht mehr dort gewesen, hatten die Aufnahmen abgeschlossen und wollten unserer Familie ein besonderes Geschenk machen. Sie sollten die ersten sein, die das Album hören“, erklärt Nathan den ungewöhnlichen Testlauf. Und die Reaktionen? „Mann, sie liebten es. Ich meine, sie kennen auch unsere anderen beiden Alben. Wir haben sie also schon langsam an unseren Sound gewöhnt. Aber diese Platte ist auch ein bisschen melodischer, ich glaube, sie mochten sie etwas lieber, weil die Songs einfacher nachzuvollziehen sind.“ Darüber ließe sich streiten, unbestritten hingegen ist die immer wieder stattfindende Rückkehr der Band zu ihren Wurzeln. Womit wir beim letzten Superstar-Erfolgsrezept wären: Die Followills lassen sich vom Erfolg nicht überwältigen. Ihre Bodenständigkeit ist inzwischen sogar physisch greifbar geworden. Nathan und Caleb haben sich eine Farm gekauft. 45 Minuten von Nashville entfernt, werden nun Songs auf der Veranda geschrieben und in der Garage geprobt „Wir wollten einfach ein bisschen Privatsphäre, einen Platz, wo wir üben können und uns niemand stört“, erklärt Nathan. Niemand ist wohl nicht ganz richtig. Der amerikanische Rolling Stone berichtete von einem Nachbarn, der sich über den Lärm beschwerte. Ist der Streit inzwischen beigelegt? „Ja „, meint Nathan trocken, „wir haben seine Farm gekauft. Vor zwei Wochen. Keine Beschwerden mehr.“ >» www.kingsofleon.com