In einem Jahr …


Sie stand auf der Bühne und wartete auf ihren Einsatz. Das Licht der Scheinwerfer blendete und erstaunt dachte sie: „Eigentlich müsste ich Lampenfieber haben, jede gute Sängerin hat Lampenfieber…“ Das dumpfe Summen des Zuschauerraumes drang zu ihr hinauf, aber sie war ohne Gefühl. Nichts geschah, sie hatte etwas feuchte Hände und ein Gefühl von Sinnlosigkeit, doch das Lampenfieber, auf das sie wartete, kam nicht. Josee blickte unverwandt auf einen schwarzen Schatten im Zuschauerraum und dann kam ihr Einsatz. Ihre Stimme vibrierte ein wenig, sie steigerte sich in den Song hinein und fühlte instinktiv, dass sie ihr Publikum in der Hand hatte. ^le Garderobe, in der sie es sich ¿ ¿nach ihrem Auftritt bequem machte, MW war kahl und ungemütlich. Über dem Waschbecken, das lieblos in einer Ecke des Raumes angebracht war, befand sich ein Spiegel. Sie sah ihr Gesicht und es erschien ihr fremd. „Ich sehe abgespannt aus“, dachte sie erstaunt. „Ich habe blaue Schatten unter den Augen und Schweisstropfen auf der Stirn“. Sie wusste, dass ihr Müdigkeit gut stand, sie passte zu ihrem Image, zu ihrer Erscheinung. Sie spielte die Rolle eines melancholischen, singenden Mädchens, obwohl sie nicht melancholisch war. Doch das war nicht wichtig. Man wollte Josee die Sängerin, nicht die Josee, die sie wirklich war. Sie setzte sich in einen Sessel und lehnte sich zurück. „Ich müsste mich umziehen und meinen Koffer packen“, dachte sie unwillig. Später, im Taxi stellte sie automatisch fest, dass Tony ein Mädchen bei sich hatte, das sie nicht kannte. In dem Jahr hatte sie viele Mädchen kommen und genau so viele Mädchen wieder gehen sehen und plötzlich hatte sie Mitleid. Das Hotelzimmer unterschied sich nicht wesentlich von all den anderen Zimmern, die sie im vergangenen Jahr bewohnt hatte. Bett, Schrank, Tisch und zwei Sessel waren fantasielos in dem Raum untergebracht. Sie legte sich auf das Bett und drehte das Radio an, das ihr Mick geliehen hatte. -Und während sie den Klängen eines Pianosolos lauschte, schluckte sie zwei Schlaftabletten. Seit Monaten konnte sie nur noch mit Tabletten schlafen. Morgen würden sie in der Stadt auftreten, in der sie gelebt hatte, bevor sie Sängerin wurde. Sie würde alte Bekannte treffen, Erinnerungen austauschen und vielleicht ein wenig sentimental sein. „Vielleicht kommt Jörg“, dachte sie und der Gedanke an ihn belebte sie. Sie konnte sich noch genau an seine Stimme und an sein Lachen erinnern, sein Gesicht jedoch war nur noch undeutlich in ihrem Gedächtnis. Damals war es ihr nicht leicht gefallen, sich von Jörg zu trennen, als sie mit Mick eine eigene Gruppe gründete. Anfangs hatte Jörg mitgespielt, bekam dann aber Krach mit Mick und stieg aus. Als sie dann ihren ersten Hit hatte und mit ihrer Gruppe eine Tournee nach der anderen unternahm, verloren sie sich aus den Augen. Geblieben waren nur noch Erinnerungen an eine schöne Zeit. Jetzt war sie bekannt, jeder interessierte sich für sie. Sie kannte viele Leute, ohne sie eigentlich wirklich zu kennen, besuchte Partys, obwohl sie sich dort nur langweilte und bekam «Fanpost. Doch dabei hatte sie stets das dumpfe Gefühl, dass der Erfolg nicht ihr, sondern der Sängerin Josee galt, mit der sie sich nicht indentlfizierte … Die Tabletten wirkten und sie fühlte plötzlich eine bleiernde Müdigkeit. Sie schloss die Augen, Gedanken kreisten und Schlaf übermannte sie.

NICHTS WAR VERÄNDERT

A Des war wie früher: Der gleiche /M Saal, das gleiche Publikum. Josee JTm sass in der Garderobe und war lervös, ohne sich davon bewusst zu sein. Sie hatte nachmittags Freunde besucht, war aber nicht lange geblieben, weil ihr die vielen Fragen auf die Nerven gingen. Ihre Freunde waren nicht mehr wie früher, sie selbst nicht mehr die gleiche. Sie war nervös, wirkte gehetzt jnd überspannt. Mick kam und leistete ihr Gesellschaft. ,Der Schuppen ist ausverkauft“, sagte er anerkennend. .Übrigens, unterschreibe bitte diesen Vertrag, er ist sehr eilig. Ich hätte ihn schon längst wieder zurückschicken nüssen!“ ,Okay“ sagte sie gleichgültig. „Später!“ Fony kam herein. „Draussen ist jemand, der dich sprechen möchte“. Sie wusste, dass es Jörg war und ihr Sefühl hatte sich nicht getuscht. Er war ss. ,Hallo“, sagte er und dann, als sie lächelte, „Du bist schöner geworden“. „Du auch“, sagte sie. Er setzte sich zu ihr. Eigentlich wollte ich nicht kommen, aber ich konnte der l/ersuchung nicht wiederstehen. Er lachte nervös und legte seinen Arm um sie. Mick stand auf. „In zehn Minuten ist jnser Auftritt“, sagte er zu Josee, ohne Jörg zu beachten. Dann ging er hinaus. .Guter alter Mick“, grinste Jörg spöttisch, „ist es immer noch so wie früher?“ Als sie nicht auf seine Frage einging, fuhr er fort: „Du hast jetzt also alles erreicht, was du wolltest. Wie fühlt man sich, wenn man am Ziel seiner Wünsche angelangt ist?“ „Nicht anders als sonst“, entgegnete sie ruhig. .Ich habe auch eine Gruppe gegründet. Mierdings sind wir nicht so bekannt wie ihr. Vielleicht haben wir Glück, wer weiss…“ „Vielleicht sollte ich dir das Glück nicht wünschen“, sagte sie leise, ohne ihn anzusehen. Er sah sie aufmerksam an. „Sprichst du aus Erfahrung?“ „Vielleicht. Versteh“ mich bitte nicht verkehrt, was ich dir erklären will ist, dass Hoffnungen und Wünsche manchmal viel wichtiger sein können, als wenn man alles erreicht hat“. „Du hast jetzt also keine Wünsche mehr?“ „Doch, natürlich … das heisst, nein, ich habe keine Wünsche mehr, im Augenblick ist mir so ziemlich alles egal“. „Das wusste ich nicht“, antwortete er. Josöe nahm ihren Kamm und fuhr flüchtig über ihre Haare, dann warf sie ihn unwillig auf den Tisch. „Du weisst überhaupt nicht sehr viel“, entgegnete sie spöttisch und ging zur Bühne.

£^t ie stand auf der Bühne und wartete SB auf ihren Einsatz. Das Licht der k7 Scheinwerfer blendete und zum erstenmal seit Wochen lächelte sie wieder. Sie wusste, dass Jörg sich im Zuschauerraum befand und dieser Gedanke machte sie froh. Sie wusste ausserdem, dass sie besser sang als sonst. Nach ihrem Auftritt suchte sie irinin der Garderobe aber er war nicht dort. Später fand sie ihn in der Bar, ein Glas in der Hand. Als er sie sah, lächelte er. „Du warst gut“, sagte er. „So gut warst du noch nie.. „

,lch weiss , antwortete sie und dann aus siner plötzlichen Laune heraus: „Ich war gut, weil du mir zugehört hast!“ , Ist das wirklich wahr?“ Seine Stimme war leise und eindringlich. .Natürlich“, sagte sie sanft. „Warum last du eigentlich nie wieder etwas von dir hören lassen?“ ,Wie hätte ich denn etwas von mir hören assen können“, sagte er leise. „Du — gekannt und berühmt, ich — der arme viusiker. Du hättest denken können, ich wollte dich nur deines Geldes wegen“. .Unsinn, das hätte ich nie gedacht“. Er drückte ihr ein Glas in die Hand und sie stiessen an. ,Auf Dein Wohl“, sagte er, „auf unser A/ohl“, verbesserte sie ihn und lächelte. .Warum bleiben wir eigentlich nicht zusammen“, murmelte er. .Musst du eigentlich bei Mick bleiben? ich meine, bist du vertraglich gebunden?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das heisst ch muss jetzt einen Vertrag unterschreiben. Für ein Jahr. Wir gehen nach Amerika …“ .Amerika…“ wiederholte er. „Natürlich, ch verstehe, das ist wichtig und du wirst dieses Angebot nicht ausschlagen cönnen. Trotzdem: Oberlege es dir gut. Cönnen wir nicht zusammenarbeiten? kleine Gruppe ist bestimmt nicht schlechter als deine. Jetzt, wo ich dich endlich wiedergefunden habe, gebe ich dich nicht mehr her“. .Aber“, versuchte sich schwach zu protestieren, „ich kann Mick doch nicht im Stich lassen. Er braucht mich …“ .Ich brauchte dich auch“, entgegnete er äanft. „Viel mehr als dich Mick braucht“. „Vielleicht hast du recht“, sie versuchte, hre Gedanken zu ordnen. „Im Grunde genommen hatte ich schon lange keine Lust mehr“.

ES IST NOCH NICHT ZU SPÄT

Mick sass in der Garderobe und blätterte in dem Vertrag. „Das Ganze sieht recht gut aus“, bemerkte er, als er sie sah. „Willst du hier unterschreiben?“ „Ich unterschreibe nicht“, sagte sie leise. „Ich steige aus!“ „Wie meinst du das?“ seine Stimme war fassungslos. „So, wie ich es sage“, beharrte sie trotzig. „Einmal muss es ja zu Ende sein“. „Und du meinst, dieser Zeitpunkt wäre jetzt gekommen?“ Sie nickte. „Gut. Wie du meinst. Ich kann dich nicht dazu zwingen, zu bleiben, ich hoffe, dass du weisst, was du tust“. Sie schwieg, weil sie wusste, dass Erklärungen keinen Zweck mehr hatten. Sie hatte Micks Zukunft zerstört und vielleicht auch die ihre. Alles erschien ihr aufeinmal sinnlos. Jörg sass nicht mehr auf seinen Platz und sie suchte ihn. Plötzlich sah sie ihn auf dem Gang, er bemerkte sie nicht. Auch, als sie dicht hinter ihm stand, drehte er sich nicht um. „Wir haben es geschafft!“ hörte sie ihm sagen. Der Junge, der neben ihm stand, nickte zustimmend. „Sie verlässt die Gruppe und kommt zu uns. Wie habe ich auf diesen Augenblick gewartet… endlich konnte ich Mick ens auswischen!“ Er hatte sie noch immer nicht gesehen und unfähig, etwas zu sagen, drehte sie sich um und lief zurück. Dann stand sie in der Garderobe, ohne eigentlich zu wissen, wie sie den Weg zurück gefunden hatte. Mick sass noch am Tisch.

„ich habe es mir überlegt“, sagte sie leise und sah ihn nicht an. „Ich möchte doch unterschreiben. Oder… ist es… zu spät?“ „Es ist noch nicht zu spät“, entgegnete er* Christine