Indianer Weisheiten


Posen sind ihm fremd, Pop ein Spielzeug für Kinder. Robbie Robertson hat sich auf die Suche nach dem Sinn gemacht.

Eine Rock-Legende hängt in den Seilen. Halsschmerzen, Schnupfen, Kopfschmerzen. Der herbeizitierte Doc wirft einen Bück auf den Leidenden und stellt die klassische Musiker-Diagnose: „Klarer Fall, zu wenig Schlaf und zu viel Streß!“ Und rät Robbie, sich mit heißen Tüchern ins Bett zu legen und ein paar Tage lang nicht zu reden.

„Der Typ hat mir genau das erzählt, was ich nicht hören wollte!“ lacht der ungehorsame Patient später in einem Hamburger Restaurant, wo er mit einer klaren Brühe seine geplagte Kehle zu beruhigen versucht, während er gleichzeitig mit großem Eifer die Texte seiner zweiten Solo-LP STORY-VILLE interpretiert. „Diese Platte ist für mich die Erfüllung eines langgehegten Wunsches.“ Im Mittelpunkt steht nämlich New Orleans — die Stadt, die für ihn eine Art spiritueller Heimat ist: „Jeder sollte irgendwann mal New Orleans besuchen, weil es Medizin für die Seele ist. Der Geist, der dort herrscht, ist einzigartig. Es ist der musikalischste Ort der Welt. Von überall schallt Musik — hier ein Piano, dort eine Brass-Band, und aus weiter Entfernung schmettert eine Trompete…“

STORYVILLE ist Robertsons Tribut an ein einstiges Vergnügungsviertel von New Orleans, in dem auf einem Areal von 20 Blocks 20 Jahre lang — bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs — eine Non-Stop-Party ablief. „Für mich ist Storyville der Geburtsort heißer Musik. Durch das Ambiente eines Distrikts, der nur aus Saloons, Bordellen, Cabarets und Spielhallen bestand, gab es dort auch musikalisch keine Grenzen. „

Robertsons stimmungsschwangere Musik, die er mit New-Orleans-Veteranen wie den Meters, Aaron Neville und der Rebirth Brass Band, aber auch mit Freunden wie Neil Young und Garth Hudson aufgenommen hat. liefert den Soundtrack für eine Liebesgeschichte, die dem LP-Titel noch eine zweite Bedeutung gibt (Story-ViUe). Robertson erzählt von einem Pärchen, „das sich an dem Ort trifft, der früher Storyville war, und sich vorstellt, wie es dort mal gewesen sein muß.

Die Platte handelt von Themen, die mir in der Vergangenheit noch peinlich waren“, fährt der 48jährige fort. „Als Twen hätte ich so etwas nicht verfassen können — ich hätte mir gesagt:, Harte Kerle schreiben nicht romantischen Kram!‘ Heute halte ich die Street-Kid-Fassade für Unsinn, sie war eben nur eine Maske. Es ist ein schönes Geßhl, sich endlich müden beiden wichtigsten Dingen im Leben auseinandersetzen zu können: Romantik und Spiritualität. „

Womit Robertson bei dem Thema ist, das ihn noch stärker als seine Liebe zu New Orleans umtreibt: seine Suche nach „Wahrhaftigkeit“; ein Wort, das er so oft wie kein anderes ins Gespräch einflicht. Er hebt zu einem zehnminütigen Monolog über seine „spirituelle Selbstfindung“ an; beginnend in seiner Kindheit, als ihn seine indianische Mutter zu Verwandtenbesuchen ins Six-Nations-Reservat mitnahm. Ihn faszinierte die Naturverbundenheit der Indianer, die er dort traf — „ihnen fehlte die religiöse Verwirrung unserer Kultur. Sie sagten: ,Am allerwitzigsten ist für uns das Konzept des Teufeb, der rote Typ mit dem roten Schwanz. Das ist bescheuert! Auf unserem Land gab es keinen Teufel — der Teufel kam auf dem Schiff mit Kolumbus zu uns!'“

Gebete an einem mythischen Ort der Hopi-Indianer macht Robertson für den Kurs mitverantwortlich, den seine STORYVTLLE-Texte nahmen.

„Mir war es plötzlich nicht mehr so wichtig, in meinen Songs clever oder trickreich zu sein — mir lag mehr das Geßhl am Herzen, das sich einstellt, wenn man in sein Inneres greift!“

Eine „innere Stimme „hatte Robbie Robertson einst auch den Impuls gegeben, ,The Band‘ aufzulösen. Bei der Reunion der Rumpf gruppe im Jahr ’83 verspürte er keinerlei Versuchung, wieder einzusteigen. “ Ich habe über das Ende der Band mit, The Last Waltz‘ schließlich einen Film gedreht und ein Set mit drei LPs — das ist ein zu bedeutendes Statement, um hinterher zu sagen: ,ApriI, April!‘ Ich habe kein Problem damit, daß die anderen weitergemacht haben. Aber es ist eben nicht meine Berufimg. „

Neben seiner ersten Solo-LP hielt er sich in den 80er Jahren vor allem mit Filmmusiken beschäftigt, wobei er durch regelmäßige Zusammenarbeit mit dem Regisseur Martin Scorsese fast zu dessen musikalischem Robert De Niro wurde. „Musik für Filme zu machen, bereitet mir eigentlich keinen Spaß. Was jedoch die Zusammenarbeit mit Scorsese so interessant macht, ist die Tatsache, daß ich mit ihm experimentieren kann. Dadurch wurde es zu einer unbezahlbaren Erfahrung, die dazu beitrug, daß ich die Songs für meine eigenen LPs wie einen Soundtrack instrumentiere, anstatt nette Ohrwürmer zu schreiben. So etwas interessiert mich nicht mehr. Ich suche nach emotioneilen Soundfluten, die dieselbe Sprache sprechen wie die Story, die ich in den Texten erzähle. „