Instrumentenkunde : Gretsch White Falcon


Die Technik: „Luxus“, so steht es in Knaurs Lexikon von 1956, ist „kostspielige Lebensführung“ oder eine „erlesene, verfeinerte Lebenshaltung“. Das Fremdwörterbuch gibt sich prosaischer: von „Üppigkeit“ und „Prunksucht“ ist da die Rede. Stimmt selbstverständlich alles und ist noch dazu der Beweis, dass man schon Mitte der 5oer-Jahre wusste, was Überfluss bedeutet. Die Firma Gretsch wusste es 1954 sogar ganz genau, als sie eine an sich schnöde Ja2zgitarre mit allerlei Luxus-Zutaten aufpeppte: das Modell „White Falcon“, eine Elektrogitarre mit hohlem Korpus, zwei F-Löchern und ebenso vielen Tonabnehmern, protzte mit weißer Lackierung, Glitzer-Einfassungen, Halbedelsteinen als Positionsmarkierungen der Lautstärke-und Klangregler sowie einer 24-karätigen Vergoldung der Metallteile. Technisch unterschied sie sich nur marginal von den einfacheren Gretsch-Gitarren, die damals bei Jazzern, aber vor allem bei Country- und Rockabilly-Gitarristen sehr beliebt waren. Was vor allem an den drahtig klingenden DeArmond-Tonabnehmern lag, die wesentlich mehr „Twang“ erzeugten als die Konkurrenzmodelle von Gibson, Epiphone und Guild.

Die Geschichte: Friedrich Gretsch stammte aus der Gegend von Mann heim, wanderte 1872 in die USA aus und gründete elf Jahre später in Brooklyn die Fred Gretsch Company. Dort entstanden Banjos, akustische Gitarren und schließlich auch Schlagzeuge. Enkelsohn Fred Junior führte die Firma dann in die Moderne: Unter seine Ägide erschienen in den soer-Jahren die ersten elektrischen Gitarren. Die Nachkriegs-USA kannten keine Grenzen: Der Konsum florierte, der Wohlstand wuchs. Diesem Klima des scheinbar unaufhaltsamen Fortschritts entsprangen nicht nur spritfressende Sechsmeter-Monster mit Du senjäger-Heckflossen und V8-Motoren, sondern eben auch Luxusgüterwie die Gretsch White Falcon. Machen, was machbar ist, lautete die Devise, die Sinnfrage stellte kaum jemand. In der Preisliste von 1955 stand die Basisversion der „White Falcon“ mit astronomischen 600 Dollar, was etwa 2500 Mark entsprach. Der Durchschnittslohn in Deutschland betrug seinerzeit etwa 300 Mark. Luxus, fürwahr. Gretsch hatte als Kunden für seinen Imageträger dann auch vornehmlich etablierte Jazz- und Country-Musiker im Visier, die mit dem ständig weiterentwickelten weiß-goldenen Glitzerteil in Nashville und Las Vegas gut aussehen wollten.

Die Anwender: Die Optik zählt, weshalb die bis heute seltene und sündteure Gretsch White Falcon seit den 80er-Jahren vor allem in Videoclips auftaucht – Dave Stewart von den Eurythmics posierte damit, Chris Isaak erwählte sie zur Gespielin, und selbst der eher bodenständige Neil Young konnte sich dem Charme der Dekadenz nicht entziehen. Bei Rockabilly-Acts genießen Gretsch-Gitarren ohnehin Kultstatus, und eine „White Falcon“ ist das Statussymbol schlechthin. Originale aus den 50ern erzielen unter Sammlern heute Preise bis zu 30.000 Euro. So was hängt man sich in den klimatisierten Tresor. Rock’n’Roll wird darauf nur noch höchst selten gespielt. Allerdings war und ist die „White Falcon“ als Neuware – mit Unterbrechungen bis heute erhältlich, für vergleichsweise sozialverträgliche 2500 Euro. Das Image der „Poser-Gitarre“ wird sie aber einfach nicht los.