Interview

Erklärt: Wie kommt das Band eigentlich in die Kassette?


Zugegeben, eine Kassetten-Manufaktur ist nicht ganz so spektakulär, wie ein Vinyl-Presswerk. Was da passiert, wissen viele trotzdem nicht. Wir haben uns die Abläufe von Franziska Kohlhase, Projektleiterin bei T.A.P.E. Muzik in Leipzig, einmal genauer erklären lassen.

2010 war der „Tod der Kassette“ in aller Munde. Der Grund dafür war die Meldung, dass das letzte deutsche Kopierwerk, ansäßig im niedersächsischen Diepholz, endgültig seine Produktion für Musikkassetten einstellen werde. Kurz darauf gab es die erste Trauer-Welle im Netz: Was sollen nur all die Hörspielfans machen – gibt es „Die drei ???“ bald etwa nicht mehr auf MC? (Stand 2017: Es werden, nach ME-Anfrage bei Europa, dem Hörspiellabel der Krimireihe, immerhin noch 10 Prozent der Produktion in limitierter Auflage als MC produziert.)

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Franziska Kohlhase kann über Meldungen die den „Tod der Kassette“ verkünden, nur lächeln. Sie ist Projektleiterin bei T.A.P.E. Muzik, die seit 2004 im Leipziger Stadtteil Gohlis in einer Manufaktur Leerkassetten herstellen, aber auch Kopier-Versionen in Auftragsarbeiten herstellen. Das kleine Unternehmen mit einer Handvoll Mitarbeitern ist über die vergangenen Jahre kontinuierlich gewachsen. Wir haben uns von Franziska Kohlhase erklären lassen, wie so ein Band eigentlich in die Hülle kommt und das Tape zum Tape macht.

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ME: 2011 gab es die Meldung: Das letzte Kassetten-Werk Deutschlands habe zugemacht – das kann ja aber nicht ganz stimmen, ihr macht Eure Arbeit doch seit 2004 kontinuierlich.

Franziska Kohlhase (T.A.P.E. Muzik): Ja, stimmt. Gut, wir sind kein Werk, sondern nur eine kleine Firma. Aber vielleicht hatte man uns damals einfach nicht auf dem Schirm, weil wir bei der Google-Suche „Kassette“ nicht ganz oben standen.

Wie habt ihr damit angefangen Kassetten herzustellen?

Uns gibt es seit 2004 offiziell als Firma, damals hießen wir aber noch Audio-Service. Seitdem produzieren wir auch Kassetten. Damit hat damals eigentlich mein Chef, Gunnar Heuschkel, angefangen. Er hat Maschinen von einer ehemaligen Firma, die insolvent gegangen ist, aufgekauft, weil er sich gedacht hat: „Das muss man doch weiterführen!“ Damals aber noch eher aus der Liebe zur Sache, nicht mit irgendeinem wirtschaftlichen Hintergrund. Er hat ja damals auch schon ein Schallplattenpresswerk (heute R.A.N.D. Muzik, Anm. d. Red.) in Leipzig geleitet. Er hatte schon immer ein Faible für solche Sachen und die Kassette passte perfekt dazu.

Wie ging es weiter?

Ob es einen konkreten Zeitpunkt gab, wo das für uns irgendwie größer geworden ist, kann ich so heute gar nicht mehr sagen – wir sind da eher reingewachsen, es hat sich nach und nach entwickelt. 2004 wurden wir offiziell eine Firma, mittlerweile sind wir fünf Angestellte, die sich nur um die Kassettenherstellung und alles, was damit einhergeht, beschäftigen.

Wie baut ihr eine Kassette zusammen?

Kassette
So wird das bespielbare Band in die Leerhülle eingeführt.

Man kann bei uns Kassetten mit Bespielung oder ohne Bespielung bestellen. In jedem Fall muss das Band aber erstmal in die Kassette rein. Die Gehäuse sind am Anfang leer, nur mit einem kleinen, durchsichtigen Vorspannnband, an dem wir dann das richtige Band ansetzen. Mit einer speziellen Maschine, dem „Loader“, wird das Band dann in die Gehäuse eingelegt. Je nachdem welche Länge man sich wünscht, das geht alles ziemlich schnell. Für eine Kassette braucht diese Maschine dann etwa fünf Sekunden. Vorher gibt man noch ein, wie lang das Band denn sein soll, bei einer C20-Kassette wären das dementsprechend auf jeder Seite jeweils zehn Minuten, und wie viele Kassetten man davon haben möchte.

Und wie kommt die Musik aufs Band?

Wenn jemand eine bespielte Kassette bestellt, müssen die Daten vorher auf das Band übertragen werden. Das passiert mit einem Duplizier-Gerät. Das kann man sich so vorstellen: Man hat einen Master mit zwei CD-Platten, die mit Musik bespickt sind – der Master bekommt dann die Informationen eingespeist, wieviel er kopieren soll, ob er noch die Lautstärke anpassen soll und Ähnliches. Dann gibt es den „Slave“ mit der Tonbandrolle, die später an den „Loader“ drankommt. Der „Slave“ wird an den „Master“ angeschlossen und überträgt die Musik auf das Band hintereinander weg. Wenn eine Kassettenlänge auf dem Band fertig bespielt ist, fügt der Master einen zusätzlichen Ton aufs Band ein, damit der „Loader“ später weiß, wo das Band für eine Kassette endet. Davon hört man auf der Kassette später natürlich nichts, weil an der Stelle das Band abgetrennt wird.

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 Wie alt sind eure Maschinen im Schnitt?

Die sind aus den 80ern, seitdem wird auch nichts mehr hergestellt. Teilweise haben wir auch Maschinen aus den 70ern. Die Produktion hat sich von damals zu heute nicht geändert, das läuft noch alles haargenau so ab. Die Maschinen sind deswegen auch etwas anders, als man es vielleicht heute von modernen Geräten gewöhnt ist. Es gibt immer kleine Wehwehchen, man muss viel reparieren. Man kann eben nicht 40 Techniker um die Ecke anrufen, man muss sich auch viel selbst anlesen. Manchmal müssen wir eben auch selber einspringen und die Maschine wieder in Gang setzen.

„Es gibt immer kleine Wehwehchen.  Manchmal müssen wir eben auch selber einspringen und die Maschine wieder in Gang setzen.“

Der „Loader“

Wer kommt zu Euch: Privatpersonen, Nachwuchskünstler oder auch Labels?

Vielleicht sollte man vorher erwähnen, dass eine Hürde, die jeder bei uns vorneweg nehmen muss, die ist, dass man eine Auslieferungsgenehmigung bei der GEMA beantragen muss, sonst gibt es keine Kassette. Man kann also nicht einfach so sein Lieblingsmixtape oder die Michael-Jackson-Kompilation bei uns vervielfältigen lassen. Dementsprechend haben wir Kunden, die das ernsthaft betreiben – Künstler oder Labels, die ihre Sachen in eher kleiner Auflage veröffentlichen wollen. Da ist dann aber wirklich alles dabei, was man sich vorstellen kann. Privatpersonen ohne ein Label im Hintergrund, oder Labels die im Namen ihrer Künstler bei uns bestellen.

„Man kann also nicht einfach so sein Lieblingsmixtape oder die Michael-Jackson-Kompilation bei uns vervielfältigen lassen. “

Wir haben einige Stammkunden, die immer wieder mit uns arbeiten, aber wir könnten jetzt nicht sagen, dass die unser Tagesgeschäft sichern. Der Großteil sind doch wechselnde Kunden. Das liegt zum Teil an den Strukturen der Kassette und ihrer Produktion. Das ist nicht wie im Vinyl- oder CD-Bereich, wo die Strukturen bereits wesentlich ausgereifter und professionalisierter sind. Es ist noch nicht so eine Maschinerie, alles ist noch sehr individuell und privat.

Es muss nicht immer schwarz-weiß sein: Hüllen in allen Farben

Es ist eben einfach auch billiger als Vinyl, auch wenn man die beiden Medien nicht miteinander vergleichen kann. Die Kassette wird eher zuhause genutzt und hat nicht so einen hochwertigen Klang. Der Benutzerkreis ist sehr nischig. Die meisten die bei uns bestellen, bestellen tatsächlich fast ausschließlich auf Kassette. 50 Tapes, bespielt ohne Druck auf einer C20-Kassette würden in der billigsten Variante bei uns nur rund 47 Euro kosten. Das ist deutlich günstiger als CDs, für die man in der Regel mindestens ein Papp-Case braucht oder eine Vinyl-Ausgabe.

Ein Großteil unserer Kunden ist sehr jung, das hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt. Wenn man sich die Artworks anguckt oder die Musik anhört, die da auf Kassette erscheint, dann ist alles sehr modern und eher experimentell. Wir haben noch ein paar ältere Stammkunden, aber mit der Kassette von früher hat die Kassette heute nicht mehr viel gemein. Das Medium ist frisch und lebendig, nicht verstaubt.

„Mit der Kassette von früher hat die Kassette heuet nicht mehr viel gemein.“

Merkt ihr was vom Kassetten-Trend?

Auf jeden Fall! Die Nachfrage ist immer kontinuierlich gestiegen. Gut, das kann auch daran liegen, dass wir uns etabliert haben und bekannter geworden sind. Aber man merkt auch, dass der Trend zu Kassette Einfluss auf unsere Umsatzzahlen hat. Man muss bei uns eben mindestens 50 Tapes bestellen, wenn man bespielte haben will. Das hat etwas zugenommen. Das Komplettpaket mit Schuber, Plastik-Case mit Einleger und so weiter, bestellen aber die Wenigsten. Das ist eben das Teuerste an der Kassette, der Druck und die Verpackung. Bei manchen Künstlern steht das nicht in Relation, die wollen ihre Kassette nicht für 10 Euro das Stück verkaufen. Viele bestellen nur Klebe-Etiketten bei uns und gestalten den Rest ganz individuell.

Hier werden Kassetten Versand-fertig gemacht.

 Wie kommt ihr an die Rohstoffe für die Kassette, zum Beispiel das Band?

Es gibt unterschiedliche Materialien in der Veredelung, etwa das Chromband. Viele Hersteller gibt es nicht mehr. Das ist wirklich nur noch eine Handvoll und die, die es gibt, darf ich leider nicht nennen. Aber BASF macht das zum Beispiel nicht mehr.

Gibt es für euch Konkurrenz aus dem Ausland?

Es gibt noch ein paar kleine Kassettenhersteller in Deutschland, die betreiben das aber – soweit ich weiß – nicht so spezialisiert wie wir. In Italien und Großbritannien sitzen auch noch ein paar Manufakturen, die uns bekannt sind. In den USA gibt es allerdings noch eine richtige große Fabrik, die in Massen produziert (die National Audio Company, Anm. d. Red.). In Kanada genauso. Wir merken aber auch: Sehr viele Kassetten werden anscheinend noch im Wohnzimmer oder in der Garage angefertigt. Etwa die Hälfte unserer Verkäufe sind Leer-Kassetten. Entweder, um die Auslieferungsgenehmigung zu umgehen, oder damit es einfach billiger wird. Konkurrenz ist da, aber sie ist verschwommen.

Mehr zur Historie der Compactcassette findet ihr in unserem großen Kassetten-Special! 

 

 

 

Erik Fischer
Erik Fischer
T.A.P.E. Muzik
ISO Studios T.A.P.E. Muzik
T.A.P.E. Muzik