Interzone – Weiße Nigger aus Berlin
„Interzone? Nee, da brauchst du keine Angst zu haben. Das sind schon coole Leute.“ Was die Neonbabies, gerade auf Tournee mit Clash in Hamburg, über ihre Berliner Konkurrenz zu sagen hatten, klang zum Glück beruhigend. Denn wer in aller Welt sich hinter dem Namen Interzone versteckt, war uns allen zunächst ein Buch mit sieben Siegeln. Die Cassette mit ihrer ersten LP aber hatte aufhorchen lassen. Vor allem die Stimme von Sänger Heiner Pudelko klang so ungewöhnlich und bizarr, daß wir uns trotz aller Fragezeichen auf den Weg nach Berlin machten und spontan eine Schallfolie mit Interzone produzierten.
Ein Blick in das zufrieden lächelnde Gesicht von Jim Rakete klärte alle Fragen. Nach Nina Hagen und Spliff, beginnt der Daniel Düsentrieb der Berliner Rockszene gerade damit, in seiner Kreuzberger Raketen-Fabrik die dritte Brennstufe zu zünden. Denn obwohl Interzone über die Zonengrenze bisher kaum hinausgekommen ist stehen für die Band um Sänger Heiner Pudelko alle bundesdeutschen Ampeln auf Grün: Der Plattendeal ist – wenn auch erst nach anderthalbjährigem Hickhack unter Dach und Fach, das erste Album auf dem Markt und beim Promotion-Etat wird offensichtlich auch nicht gekleckert.
Möglich, daß da empfindsame Nasen schon Gevatter Hype schnuppern. Aber da bekanntlich der Promo-Hammer manchmal sogar die richtigen trifft, sind derartige Schlüsse sicher doch ein bißchen verfrüht Zumal Interzone keinesfalls das Retorten-Baby ist, als das es auf den ersten Bück aus Nicht-Berliner Perspektive erscheinen mag. Aus den Ruinen von Curly Curve (u.a. auch die Wiege von Alex Conti und Klaus Krüger) und der Berliner Bar-Band wurde die Gruppe vor zwei Jahren zusammengestellt und steht heute nach geringfügigen Umbesetzungen mit folgender Formation zu Buche: Heiner Pudelko (Gesang), Leo Lehr und Bibi Schulz (Gitarren), Trotter Schmidt (Baß) und Hans Wallbaum (Schlagzeug). „Wir machen“, so Heiner Pudelko, „sehr gerade Musik. Musik mit den einfachsten Mitteln, ohne Synthesizer und was weiß ich nicht. Wenn beispielsweise bei den Aufnahmen ein falscher Ton gespielt wird, dann wird da auch nicht lange rumgfackelt, sondern der Ton einfach rausgeschnitten. So geht das. Sicher ist das keine ’neue‘ Musik in dem Sinne, was heute so unter ’neuer Musik verstanden wird. Da ist ein solider Rhythmus, den du auch irgendwo in der Rock’n’Roll-Tradition einordnen kannst aber durch den Gesang, die Texte und einige andere Nuancen, bekommt das Ding doch so eine schräge Note. Insofern ist das in meinen Augen schon neu und experimentell, was wir machen.
Der Name Interzone ist auch überhaupt nicht politisch gemeint sondern halt spezifisch für diese Gruppe, insofern wir sowohl musikalisch als auch in unserem Lebensstil ein bißchen zwischen den Stühlen sitzen und sowas wie weiße Nigger sind. Wir sind beispielsweise auch sehr von Hans Albers und Marlene Dietrich geprägt. Denn es gibt in Deutschland durchaus eine Pop-Tradition, die sich in der 20er und 30er Jahren entwickelt hat und durch den Krieg verschütt gegangen ist Das ist schon wichtig für uns. Und ebenso kann mich meinetwegen auch eine Feuerwehrkapelle antörnen, oder Bach, oder die Ouvertüren von Wagner.
Wie überhaupt für mich der Rock’n’Roll gar nicht unbedingt die anglo-amerikanische Sache ist, als die er immer dargestellt wird. Es ist einfach eine Frage, welche Nervenbahnen er in deinem Hirn elektrisiert Und das ist bei der Rockmusik heute schon ziemlich verpfuscht worden. Da wird vieles unter dem Label Rock verkauft, was gar nichts damit zu tun hat Dieses Bösartig-Verklemmte, das Elvis früher hatte, und Hendrix, und all die großen Jungs … das ist eben das Ding.
Wenn Rock’n’Roll spontan entsteht, dann aus Aggression und einer gewissen Verklemmtheit. Und das versuchen wir rüberzubringen.
Und ähnlich verhält es sich mit den Texten. Das sind schon Geschichten, die man selbst leben und erleben muß. Schau dir doch nur den Lindenberg an! Das ist sicher ein bemerkenswerter Junge, weil er viel für deutsche Rocktexte gemacht hat. Bloß: Bei ihm ist da immer dieser pubertäre Touch, diese Gymnasiasten-Schnoddrigkeit, dieser Leistungsdruck, immer mit dem Notizblock durch die angesagten Kneipen zu laufen und aufzuschreiben, was die Bengels denn da so von sich geben, wenn sie einem Mädchen an die Titten wollen. Er sitzt da in seiner Villa an der Alster (Stimmt nicht. Die Red.) und will die Sprache der Straße. Aber das haut natürlich nicht hin.“
Was im Falle von Interzone nicht hinhaute, war die bereits publizierte Zusammenarbeit mit Wolf Wondratscheck – ein Thema, über das Heiner Pudelko lieber das barmherzige Mäntelchen des Schweigens hüllen möchte. Die Texte für eine LP waren von Wondratscheck bereits geschrieben, allerdings wohl unter der stillschweigenden Annahme, daß die Platte – wie auch Wondratschecks Gedichtbände – auf einem alternativen Vertriebsweg erscheinen würde. Nachdem aber Interzone bei einer regulären Plattenfirma unterschrieben hatte, befürchtete WondratScheck offensichtlich, daß sein Name als Aushängeschild über die Maße strapaziert werden würde. Der Gruppe ihrerseits behagte die Vorstellung nicht, in Wondratschecks Windschatten nur die zweite Geige spielen zu können. Über die dubiosen Schachzüge in den Niederungen des Platten-Business verärgert, zog Wondratscheck seine Zusage zurück – und so ist es denn nur ein einziger Wondratscheck-Text, der auf dem Album verblieben ist. „Trotzdem“, sagt Heiner Pudelko, „ist er einer der wenigen in Deutschland, die wirklich noch ein Rückgrat haben.“
Die Texte wurden von Heiner Pudelko nun selbst geschrieben und erwecken keineswegs den Eindruck, nur Notlösung oder zweite Wahl zu sein, Es sind Geschichten, die man – wie er sagt wohl selbst leben und erleben muß: „Der Song ‚Karl‘ beispielsweise ist eine einfache Geschichte über ein Mädchen, das Junkie war, dann in die Provinz geht und glaubt, den Traum vom bürgerlichen Leben durchziehen zu können, dann aber doch feststellen muß, daß die Sache vorne und hinten nicht stimmt.
Das ist in diesem Falle ein ganz traurige und sentimentale Geschichte, aber es gibt auch andere Lieder, die böse und zynisch sind. Die Palette der Texte ist deshalb aber sicher nicht nur abgetörnt und nihilistisch. Die ‚Hintermänner‘ beispielsweise, das ist für mich durchaus ein optimistisches Ding. Sicher, da heißt es: ‚Und er kommt dir entgegen / Und haut dir mit vergnügtem Sinn / in die Schnauze rin‘ – und das sind ja nun Erfahrungen, die man in diesem Musikgeschäft wohl zwangsläufig macht – aber trotzdem ist das für mich ein positiver Song. Du mußt halt auch ein bißchen einstecken können. Es ist ja auch heute so, daß sich viele junge Leute in den Sessel setzen und sagen: ‚Leben, jetzt komm‘, und dann werden sie furchtbar geschüttelt von dem Leben, was so furchtbar schrecklich ist. Aber aufzustehen und irgendwas zu machen, das ist eben das andere Ding.
Hier in Berlin hat sich so eine merkwürdige New-Wave-Szene entwickelt, die sich furchtbar chic und dekadent vorkommt, aber keiner von den Leuten kann mit Messer und Gabel essen. Die wissen einfach nicht, was das Wort Dekadenz überhaupt symbolisiert. Das ist es, was uns von diesen Leuten und diesen Bands unterscheidet. Wir sind nicht bemüht, nun besonders chic zu sein.
Wir versuchen möglichst gerade Musik zu machen, wir sind die ehrlichen Jungs aus der eingezäunten Stadt!“ Mehr noch als die „gerade Musik“ und die „ehlichen“ Texte aber ist es vor allem Heiner Pudelkos Stimme, dia Interzone aus der Menge der neuen (Berliner) Bands herausragen läßt. Wahrend musikalisch bei Interzone doch offensichtlich einige hausbackene und abgedroschene Hock’n’Roll-Riffs benutzt werden, ist es seine theatralisch-manierierte Stimme, die irgendwo hängenbleibt Manchmal schrill, manchmal flüsternd, läßt sie ungefähr ahnen, was bei einem der (bisher seltenen) Auftritte an Charisma von ihm und seiner Band rüberkomrnt. „Er ist“, so Jim Rakete, „für mich so etwas wie die Marlene Dietrich des Punk. Wenn er auf der Bühne steht, dann sieht er aus wie der schöne Tod.“
„Wenn ich singe, denken alle Leute: Der geht bis an die Grenze, der schafft den Ton nicht aber dann schafft er ihn doch! Das ist eben dieses merkwürdige Karma, das ich habe: Daß es so klingt, als würde ich es nicht packen, aber ich packe es dann doch.“
Ob auch die gesamte Gruppe über solch beneidenswertes Karma verfügt, wird sich im Laufe der nächsten Monate herausstellen. Ein Blick in ihren Kreuzberger Probenraum weckt zumindest leise Zweifel, wie Interzone den Schritt ins bundesdeutsche Rampenlicht organisatorisch verkraften will: Das Uralt-Equipment ist in desperatem Zustand, PR-Material muß in letzter Sekunde eigenhändig fertiggestellt werden, alles geht drunter und drüber.
Der Wille aber, mit dieser Gruppe die Karte voll auszureizen, ist bei allen Beteiligten vorhanden. So machen die vier Instrumentalisten der Gruppe regelmäßig Gigs bei anderen Bands, um das Projekt Interzone über Wasser zu halten. Daß sie nun mit einem Plattendeal und der Hilfestellung von Jim Rakete einen großen Schritt nach vorne getan haben, dürfte bei ihren Berliner Rock-Kollegen allerdings sicher auch Neid und Unkenrufe auslösen. Trotzdem sollte die Band genügend Substanz besitzen, um die unausweichlichen Klippen und Hindernisse erfolgreich zu umschiffen. Durchaus möglich, daß Heiner Pudelko später einmal zurückblickend sagen kann: „Das ist eben dieses merkwürdige Karma, das wir haben: Daß es so aussieht, als würden wir es nicht packen, aber dann packen wir es doch.“