Intruders At The Palace, London, Dominion
Seit zwei Jahrzehnten ist es sein Ziel, den phantastischen Kosmos seiner Songs nicht nur musikalisch umzusetzen, sondern auch theatralisch zu illustrieren. David Bowies Rollenspiele von „Ziggy Stardust“ bis zum „Young American“ und „Thin White Duke“ sind längst Rockgeschichte, doch der „Meister der Masken“ setzt weiterhin lieber auf Innovation als auf Tradition — zumindest was die visuelle Gestaltung betrifft. Davids jüngstes Faible, die Kombination von Modern Dance und Rockmusik, gipfelte Anfang Juli in einem Kurzauftritt im Londoner Dominion. Zusammen mit der kanadischen Avantgarde-Tanzgruppe La La La Human Steps und deren Gründer und Choreografen Edouard Lock kreierte er eine siebenminütige Performance mit „Körperarbeit und Videoinstallationen“.
Der aktuelle Anlaß: „lntruders At The Palace“, ein zweitägiges Benefiz-Festival für die ICA, eine britische Künstlerorganisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, zeitgenössische Kunst von der Straße zu holen und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Der wahre Grund für die außergewöhnliche Kooperation ist allerdings komplexer: „In den letzten Jahren hat sich Modern Dance — wie einst die Rockmusik — zu einem Barometer für die kulturellen und sozialen Zeiterscheinungen entwickelt“, erklärt Bowie. „Deshalb habe ich schon ßr die ,G/ass Spider‘-Tow mit Edouard über eine Zusammenarbeit gesprochen. Ich wollte weg von den MTVstrapazierten Jazz-Tanz-Formen. Aber der Tanzstil, den Edouard mit Louise Lecavalier und Marc Beland entwickelt hat, ist so speziell und subjektiv, daß es ßr ihn schwer gewesen wäre, sich dem gesamten Spektrum meiner Show anzupassen!“
Für den Dominion-Auftritt paßte sich deshalb Bowie diesmal den Vorgaben der Human Steps an: Er rearrangierte „Look Back In Anger“, einen Titel aus dem LODGER-Album, zu einer schrillen Version mit neurotischer Computer-Percussion und hysterisch-kreischenden Gitarren. Es war der perfekte Rahmen für Lecavaliers exaltierte horizontal-Salti und die fiebrigen Staccato-Bewegungen, die Beland und Lecavalier mit demonstrativen Alltagsbewegungen paaren. Hektik, aber auch der Hedonismus der modernen Zeit sollen auf diese Weise dargestellt werden.
“ Es war ein Privileg, mit La La La Human Steps auf der Bühne zu stehen“, meinte David nach der Show. „Ich finde Louises Tanz atemberaubend und würde mir wünschen, mehr Zeit gehabt zu haben, um mit ihnen an einem längeren Stück zu arbeiten und auch eigens Musik dafür zu schreiben. Vielleicht in der Zukunft!“
Es wäre zu begrüßen, denn was Bowie und die Kanadier boten, war nur eine schüchterne Andeutung dessen, was die Liaison von Rockmusik und einer ambitionierten Tanzgruppe zu leisten vermag, wenn beide Kunstformen wirklich zu einer Einheit verschmelzen und nicht, wie im Dominion, nebeneinander serviert werden.
Zweiter Höhepunkt an diesem ersten Festival-Abend war das Kronos Quartett — eine Streichergruppe, die von Jimi Hendrix über Chopin bis Phillip Glass jeden Musikstil eigenwillig interpretiert. Dagegen waren die Auftritte von Microdisney und den Woodentops — beiden Bands hatte die 1CA zu Beginn ihrer Karriere die ersten Auftrittsmöglichkeiten verschafft — wegen Soundproblemen eine eher unterkühlte, enttäuschende Vorstellung.
Diese Schwachpunkte allerdings machte der grandiose zweite Festival-Tag wieder wett: Durutti Column, ein Duo aus Manchester, bestehend aus Drummer Bruce Mitchell und dem Gitarristen Vini Reily, der sich unlängst auf Morriseys Solo-Album VIVA HATE verewigt hat, lieferten eine genauso packende Vorstellung wie Hugo Largo aus New York, und heizten dem Publikum gut ein.
Mit Schlagzeug, zwei Bässen, einer Violine und der ätherischen Stimme von Mimi Goese schuf das Quartett eine Intensität, die mindestens doppelt soviele Musiker auf der Bühne vermuten ließ.
Höhepunkt an diesem Abend: Die 45minütige Aufführung von David Byrnes „Music For The Knee Plays“ durch Byrne und die Les Miserables Brass Band. Zum ersten Mal seit dem Entstehen der „Knee Plays“ wurden die rein akustischen Stücke (die der Talking Heads-Chef für Robert Wilsons Oper „The Civil warS“ als Zwischenspiele während der Szenenumbauten geschrieben hatte) ohne schauspielerische Unterstützung vorgetragen — der genaue Kontrapunkt zu Bowies Performance vom Vortrag.
Byrne dazu: „Als ich die ,Knee Plays‘ schrieb, wollte ich mich emotionell daraus zurückziehen. Denn das ist die An, wie Robert Wilsons Theater funktioniert. Die Idee ist: Halte den Hörer offen für einen gefühlsmäßigen Input. Aber als ich dann die Aufnahmen später hone — auf Platte und ohne dabei die Aktionen der Schauspieler zu sehen — habe ich festgestellt, daß trotzdem viele der Melodien eindeutig emotional besetzt sind. Und das hat die Les Miserables Brass Band perfekt rübergehracht.“