Iron&Wine Hamburg, Fabrik


Sani Beam und seine Indie-Folk-Allstar-Band setzen neue Maßstäbe in Sachen Gelassenheit und Harmonie.

In einer Welt, in der Imbissbuden den Weg in der täglichen Entscheidungshölle weisen („Hier schmeckt’s!“) und man im Modekatalog für „nur 29.000 Euro!“ einen aufblasbaren Irish-Pub kaufen kann, sind Musiker wie Sam Beam eine Überlebensnotwendigkeit. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass man in jedem Text über Iron and Wine damit behelligt wird, dass er mindestens aussehe „wie Jesus“, ein „alter Hippie“ oder „der ungekrönte König der Gesichtsfrisuren“. Irre. Und in Berlin soll ja auch diese Mauer nicht mehr stehen! In Hamburg sei er noch nie gewesen, sagt Beam, als er um 21.30 Uhr die Bühne betritt und setzt nach, wie sehr er sich freue, dass trotzdem so viele Menschen gekommen seien. Dann winkt er ins Publikum wie ein schüchterner Erstklässler.

Er eröffnet den Abend mit „The Trapeze Swinger“ – diesem Massiv von einem Song, der zum Abspann des Paul-Weitz-Films „In Good Company“ (deutsch: „Reine Chefsache“) lief und sensible Menschen kurzerhand um den Verstand brachte. Es ist einer dieser typischen Iron & Wine-Songs: Fragil, leise und in seiner vermeintlichen Harmlosigkeit doch von sagenhafter Sublimität. Beam wispert die Worte sanft, als fürchte er, beim Aussprechen die Luft zu verletzen. Ihm zur Seite steht zu diesem Zeitpunkt allein seine Schwester Sarah mit Geige, die auch die zweite Stimme singt. Sie agiert zurückhaltend – wie die gesamte Tour-Band, die beim zweiten Song „Weary Memory“ vom 2002-er-Album the greek drank the cradle ihre Plätze einnimmt. Es ist eine illustre Runde: Ex-Wilco-Mitglied Leroy Bach ist für die Keyboards zuständig, Paul Niehaus, Ex-Lambchop, jetzt Calexico spielt die Pedal Steel Guitar, mit Chad Taylor (The Sea And Cake, Chicago Underground Trio) sitzt ein erfahrener Jazz-Improvisateur an den Drurns, Matt Lux von Isotope 217 spielt den Bass und Benny Massarella von Califone Percussion. Mit dabei ist darüber hinaus Beams langjähriger Weggefährte und Gitarrist Patrick McKinney.

Viel „wurde darübergeschrieben, dass sich Beam auf the sheperd’s dog, seinem aktuellen Album, aus seiner Lo-Fi-Nische getraut habe. Statt allein auf seine Stimme und eine Akustikgitarre zu setzen, glänzen Songs wie das mäandernde „Lovesong Of The Buzzard“ (mit der wunderbaren Textzeile „Springtime and the promise ofan openfist / A tattoo of a flower on a broken wrist“) in voller Montur. Liegt es daran, dass so viele junge Menschen im Publikum stehen? Vor der Bühne sieht man 18-jährige Mädchen ebenso wie sich in Fachreferaten ergehende Mittzwanziger neben den obligatorischen angegrauten Männern mit Nickelbrille. Sie alle müssen bis zum vierten Song – „Wolves (Song Of The Shepherd’s Dog)“ – warten, um zu überprüfen, ob die neuen Lieder live auch so verschwenderisch daherkommen. Wie zum Beweis fällt die Band in eine Improvisation mit Dub- und Swing(!)elementen, bevor es mit „Sodom, South Georgia“ weitergeht.

Beam hat bislang außer herzlichen „Thank You’s“ nach den Songs nichts gesagt. Geschenkt. Ein kurzer Blick in die Runde ergibt: Alles Zen-Buddhisten hier. Oder hat da gerade einer von der Theke „Hippie!“ herübergerufen?! Aus dem wunderbar harmonischen Set – nahezu alle Songs von the sheperd’s dog und ein paar von our endless numbered days kommen zum Vortrag – Höhepunkte zu nennen, fällt schwer: Das berückende „House By The Sea“? Oder doch das glitzernde „White Tooth Man“? Seit dem Wilco-Konzert letztes Jahr hat man sich nicht mehr so gut aufgehoben gefühlt. Nach über 90 Minuten verabschiedet sich die Band. Die letzten Songs gehören wieder Bruder und Schwester allein – der Kreis schließt sich. „Sehr gut, wenn auch ein wenig spannungsarm“ sei es gewesen, schnappt man erste Reaktion von einem Konzertgänger auf. Spannung? Bitteschön: Man geht ja auch nicht zum Biohazard-Konzert und erwartet Bestuhlung.

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