„Isle of Dogs“-Kritik: Wes Andersons Helden der Müllhalde
Die Liebe zum Hund wird Wes Andersons neuesten Film wahrscheinlich schnell zum Kult machen. Es geht aber noch um viel mehr, zum Beispiel um Hasspropaganda.
Wes Andersons Hymne an Japan, traditionelle Stop-Motion-Technik, Hunde und eigentlich alles Lebens- und Liebeswerte ist als einer von über 20 Filmen im Wettbewerb der 68. Berlinale vertreten. Den Vergleich zum Vorjahres-Opener – immerhin der prestigeträchtigste Slot beim Festival – hat der Puppenfilm jetzt schon gewonnen: „Django“ hieß der Festival-Auftakt 2017, ein Fehlgriff für eine Gala-Eröffnung, denn er er war schlicht zu langweilig. „Isle of Dogs“ ist nun ein Glücksfall für das Festival und alle Zuschauer – egal ob Branche oder Privat. Weil man vorab schon weiß, dass Wes Anderson niemals enttäuscht. Was sich bereits nach wenigen Minuten bestätigt.
Nach einem kurzen Prolog, in dem ein jahrhundertealter Kampf zwischen Hunden und dem Clan der Kobayashi (fiese Katzenfans!!!) erklärt wird, werden Sprecher und Titel des Films eingeblendet. Auf die Bill Murrays, Jeff Goldblums und Greta Gerwigs, die da stehen, achtet man aber kaum, weil die Titelmusik von drei beleibten japanischen Perkussionisten aus den Trommeln geprügelt wird. Die Trommler sind Puppen, so wie alle Figuren in „Isle of Dogs“, und ihre Bewegungen sind abwechselnd lebensecht und bewusst stümperhaft – immerhin sollen Andersons Zuschauer niemals vergessen, dass sie einen Film sehen. Egal, ob er mit Puppen oder wie in „Grand Budapest Hotel“ mit echten Schauspielern arbeitet, die er dann bewusst auch wie Puppen oder Comic-Figuren darstellt. Die Trommler jedenfalls signalisieren schnell: Seit Indie- und Hipsterdarling Wes Anderson 2009 seinen ersten Puppenfilm „Der fantastische Mr. Fox“ gedreht hat, hat er noch viel im Umgang mit den Mini-Sets, den Bewegungsabläufen und dem World-Building dazugelernt.
Kinderkrams und Blut
Das retro-futuristische Japan, in dem der Bürgermeister einer Großstadt alle Hunde auf eine Müllinsel verbannt, sieht zwar herrlich kindisch aus. Die Insel, auf der Andersons Held Atari landet, strahlt aber eine greifbare Gefahr aus. Atari ist zwölf Jahre alt und sucht seinen Hund Spots, der als allererster vom Bürgermeister deportiert wurde. Der Junge kommt also mit einem geklauten Flugzeug auf die Insel, bei der Bruchlandung bohrt sich ein Metallteil in seinen Schädel. Doch Atari bekommt Hilfe von einem Rudel Hunde, das gerade den Kampf um essbare Müllreste gewonnen hat, wobei einem Rivalen sogar ein Ohr abgerissen wurde.Mit diesen leicht brutalen Szenen wendet Anderson einen Trick an, der ähnlich auch in „Moonrise Kingdom“ funktioniert hat. Er stellt klar, dass es in seiner oft kindisch gestalteten Welt auch immer Konsequenzen gibt. In „Isle of Dogs“ ist Tod und Schmerz ein ständiger Begleiter, was wichtig ist, weil die von Hollywoods A-Liga gesprochenen Hunde und Atari sich hier mit Problemen beschäftigen, die sich auch in der realen Welt finden lassen. So konnten die Hunde nur von Bürgermeister Kobayashi verbannt werden, weil eine aufwändige Propaganda-Maschine angeworfen wurde, die der Bevölkerung Angst vor den Tieren macht. Opposition, Presse und Wissenschaft werden derweil unterdrückt, weggesperrt und diskreditiert.
Simpel und anziehend
„Isle of Dogs“ ist war bei weitem nicht die tiefgründigste Metapher für Ängste und Ressentiments der Welt, brillant wird diese aber durch die zahlreichen Figuren und Nebenschauplätze, die Anderson etabliert und kombiniert. Zu einem ergreifenden Film wird die Dramedy durch die vielen kleinen Momente, in denen sich die Hunde und Menschen mit brutaler Ehrlichkeit ihrer Fehler und Vorurteile bewusst werden, sie revidieren und aus ihnen lernen, sich weiterentwickeln und zu besseren Persönlichkeiten werden – das klingt natürlich alles wahnsinnig kitschig, aber wenn Bryan Cranston diese Heldenreise als Straßenköter durchlebt, dann ist das eben doch ganz weit weg von allen bisher bekannten Varianten dieser klassischen Kinoformel.
Bevor Andersons Helden an ihr Ziel gelangen, an dem Kobayashi besiegt und Tier und Mensch wieder versöhnt werden soll, wird viel geweint, geblutet und – natürlich – gelacht. Weil „Isle of Dog“ nur mit halb erhobenem Zeigefinger über ernste Themen spricht und seine Zuschauer zeitgleich mit putzigem Dialog und irren Designs zuschüttet, die dem Film einen ungeheuren Zweitsichtungswert geben.Bei der Berlinale wird man dazu leider keine Möglichkeit mehr haben: Alle Vorstellungen für den Indie-Blockbuster sind bereits restlos ausverkauft, erst im Mai startet er in den deutschen Kinos. Dann mit dem Titel-Zusatz „Ataris Reise“. Klüger wäre allerdings „Ataris Laterne“, denn so heißt ein Haiku, zu dem der japanische Junge im Film ansetzt. Und wenn der Bengel diese drei Zeilen aufsagt, dann bringt Anderson für kurze Zeit alles zusammen. Die Liebe zu Japan, das Unverständnis, das üblicherweise gegenüber der Kultur des Landes besteht. Dazu die Macht, die auch wenige Worte haben können und die Bildgewalt, die das Kino manchmal entfesseln kann. Achso: Und dass Hunde schlichtweg fetzen.