It’s the beat!


Justice, Simian Mobile Disco und der ganze Rest: So viel Electro wie 2007 war noch nie im Indie-Rock.

Elektronische Musik, die Mainstream-fähig sein, die außerhalb der eingeweihten Zirkel gehört werden will, muss den Tatbestand der Crossovertauglichkeit erfüllen. Oder ganz unwissenschaftlich ausgedrückt: Sie muss „rocken“. So war das vor exakt zehn Jahren, als sich die Big-Beat-Welle gerade auf ihrem Höhepunkt befand, um kurz danach Opfer der zyklisch hereinbrechenden Paradigmenwechsel der Postmoderne und dann wegen veränderter Coolness-Codes als absolute Un-Musik gebrandmarkt zu werden. Das, was damals von Acts wie Fatboy Slim, The Prodigy und The Chemical Brothers in die Welt gesetzt wurde, war nichts anderes als breitbeiniger Hock, der mit mehrheitlich elektronischen Mitteln hergestellt wurde und gerade deshalb dem Rock- und Indie-Hörer das erhabene Gefühl vermittelt hat, ja selber auch irgendwie elektronische Musik gut zu finden. Klassische Formen der elektronischen Musik wie House. Techno, Ambient und ihre zahlreichen Subgenres wirken in ihren puristischen Ausprägungen so verstörend auf den, der sich dem Rock-Lager zugehörig fühlt, wie die Musik der Beatles auf seine Großeltern. Da fehlt der Gesang, die Hookline, die Songstruktur. Es „rockt“ halt nicht. Was man von der Musik der neuen Electro-Rocker nicht behaupten kann. Exemplarisch für die crossoverfähige, fast schon mainstreamtaugliche 2007er Variante des Big Beat waren die Debütalben zweier Duos, die in einerArt symbiotischen Beziehung zueinander stehen. Ohne das eine gäbe es das andere nicht. Ohne das andere, das es dann doch gab, würde das eine heute nicht so klingen, wie es klingt: die Franzosen Justice aus der Posse des Pariser Ed-Banger-Labels mit † und die von der Indie-Rock-Band zum Dance-Act konvertierten Simian Mobile Disco mit attack decay sustain release (mehrzum Thema ab Seite 32).Justice und Simian Mobile Disco zogen in der popkulturellen Wahrnehmung einen ganzen Rattenschwanz an Electro-Rockern nach sich:die Hamburger Digitalism, Boys Noize aus Berlin, MSTRKRFT, das Projekt von Jesse F. Keeler von den mittlerweile aufgelösten Death From Above 1979. Dass ganz ähnliche Musik seit Jahren von Labels wie DJ Hells International Deejay Gigolo Recordings veröffentlicht wird, lag unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Genau wie die groß angekündigte New-Rave-Welle, die es nicht einmal bis zum Strand von Pop-Land geschafft hatte. Der neue Electro Rock dagegen drang ab Sommer in die traditionellen Indie-Clubs ein, in denen früher nur die Gitarren den Ton angaben, wurde bei Indie-Clubnachten gespielt und vom Publikum mit Erkennungsapplaus bedacht. Ein weiteres Indiz dafür, dass der Big Beat zehn Jahre danach wieder da ist. Er heißt jetzt nur anders.