J. J. CALE


J.J. Cale ist und bleibt eine paradoxe Erscheinung: ein supercooler Hinterwäldler, der viele Gesetze des Showbiz bewußt ignoriert und dennoch im Handumdrehen Hunderttausend Alben verkauft, vor allem in Deutschland. Cale vors Mikrophon zu bekommen, ist immer ein Abenteuer. Helmut Werb wagte sich trotzdem nach Tennessee.

Man wird ja vor ihm gewarnt: er sei nicht sehr beredt, Fotos seien nur sehr schwierig zu machen, die Würmer müsse man ihm aus der Nase ziehen, das Ganze würde sowieso nicht sehr lange dauern. Also brauche ich mich um ein Hotel in Nashville, Tenn., wohl auch nicht groß zu kümmern. Ich beginne unwillkürlich zu überlegen, ob ich nicht besser den Beruf wechseln und bei der Post anfangen sollte.,.

Die Umstände scheinen den Warnungen recht zu geben. Das angekündigte Konzert, auf das ich mich doch sehr gefreut hatte, mußte wegen Hurrikanschäden in Alabama abgesagt werden. J.J. ist bei dem Sauwetter sowieso nicht aufzufinden. Er wohnt in einem Wohnwagen vor der Stadt: Telephon hat er keins. er ruft aber ab und zu bei seinem Freund, Produzenten, Publizisten Audie Ashworth an, die wird’s dann schon richten.

Das einzige, was von JJC nach einem Tag zu sehen ist. ist sein Motorrad, eine Harley, mit seinem Drummer drauf – „die leiht er mir immer, wenn er sie nicht gerade selber rumfährt.“ Und weg ist auch er.

Audie immerhin ist sehr nett. Er tröstet mich, daß es schon klappen werde und erzählt mir schon mal so einiges aus dem Leben des Einsiedlers J.J. Zum Beispiel, daß dieser vor Jahren ziemlich lange in Los Angeles, dem vermeintlichen Rock’n’Roll-Paradies, verbracht und in Snuff Garretts Amigo-Studios. den heutigen Warner Bros.-Studios, als Sound Mixer gearbeitet habe. Irgendwann hätte er dann jedoch die Nase voll gehabt von Plastic LA und sei schleunigst zurück ins heimatliche Tulsa. Oklahoma, gefahren. Das war so um 1967. Was Audie mir verschweigt, sind einige doch recht interessante Details aus dieser Zeit. JJC hungerte sich nämlich in LA durch, spielte den Sunset Strip rauf und runter, unter anderem auch im ,,Whisky A Gogo“. Dort wechselte er sich mit Herrn Johnny Rivers ab. Und außerdem kam John Cale dort auch zu seinem mittlerweise oft falsch interpretiertem Kürzel J.J. der Whisky-Boß glaubte zu wissen, daß sich im Vergleich zu Johnny ein J.J. doch um einiges interessanter ausmachen würde. Cales Reaktion darauf war typisch -I don’t care, just gimme the gig. Als ihm die Kohle in L.A. dann doch ausging, spielte er für einige Damen auf. um denen das öffentliche Ausziehen zu erleichtern. Zwischendurch war er immer in den Studios zu finden, fummelte an den teuren Maschinchen herum, vorzugsweise an denen seines Busenfreundes und Landsmannes Leon Russell. Und eines Tages nahm er dann mal kurz Urlaub (von was?), fuhr mit Carl Radle, ebenfalls Freund, ebenfalls aus Tulsa. zurück in die Heimat, Soviel über Los Angeles, In the meantime. back in Nashville -J.J. hat zugesagt zu kommen. Alles klar, der Kassettenrecorder ist bereitgelegt, ebenso die Kameras. Der Puls beginnt zu flattern.Was, wenn er wirklich so maulfaul ist?

Auftritt J.J. Cale. Auf der Straße hätte ich ihn garantiert nicht erkannt. Der Herr ist so an die Vierzig, und aenauso sieht er auch aus, mindestens. Graue Stoppelhaare, Drei-Tage-Bart, McDonalds Colabecher in der Hand. Und äußerst freundlich. Irgendwas muß passiert sein. Selbst der bei allen von Cale recht spärlich gegebenen Interviews allgegenwärtige Audie verschwindet, überläßt die Kontrolle über alles zu Sagende seinem alt aussehenden Baby.

Und das hat Spaß am Erzählen. Was denn dran sei an seiner Zurückgezogenheit, seiner Scheu gegenüber jeglicher Art von Publicity, frage ich. Vor einigen Jahren hatte er doch mal gesagt, er sei schon viel zu berühmt.

,,Yeah“, meint er in seinem Oklahoma-Snarl, der sich so schwer übersetzen läßt, ,,ich brauche meine Privatsphäre um anonym zu bleiben bis zu einem gewissen Grad. Wenn du nämlich zu erkennbar geworden bist, kannst du nirgendwo hin gehen, nicht mal Zigaretten holen; kannst nicht mehr wie alle anderen Leute sein. Und wenn du dich mit jemandem unterhältst, sagt der auf einmal ‚Mensch, bist du nicht der-und-der‘?, und somit ist das Gespräch zerstört. So versuche ich halt, mich soviel wie möglich verborgen zu halten. Auf der anderen Seite mußt du berühmt genug sein, um arbeiten zu können. Ganz schön gespalten, die Sache, aber ich versuche, alles Unnötige da abzuschneiden, wo’s nicht unbedingt nötig ist.“

Diese Angst vor öffentlicher Zurschaustellung spiegelt sich auch in Cales Verhältnis zur Profimusik wieder. Einmal hat er gesagt, er habe nicht geglaubt, für Musik jemals Geld zu bekommen. Und auch seine Live-Auftritte sind ja von ganz besonderer Art. Der Hauptakteur sitzt an der Bühnenseite und spielt unauffällig vor sich hin. und wenn ihn mal aus Versehen ein Spot erwischt, lehnt er sich beinahe in die Horizontale zurück, um der ungewohnten Exposition zu entgehen. Wenn Licht, dann bitte im Zuschauerraum! „Ich brauche Augenkontakt mit den Leuten“, meint er. „Ich hasse es, ins Pechschwarze zu starren.“Auch das hat er von Freund Leon.

Extrem wird seine Scheu, wenn er wie schon mal geschehen seinen Freund und Songwriter Don Nix für sich auf die Bühne schickt. Es darf aber auch mal die Freundin sein, die, entsprechend ausstaffiert, die Rolle des Frontmannes zu übernehmen hat. In jenem Falle pflegt Herr Cale dann die Gesangsparts hinter der Bühne zu übernehmen. Auch den Herren und Damen der Medien hat J.J. was ins Stammbuch zu schreiben: „Die kommen, müssen keinen Eintritt zahlen, trinken dein Bier und deinen Wein, gehen wieder und schreiben eine Scheißkritik. Und du gibst dann 1.50 Dollar aus, um dir eine Zeitung zu kaufen und zu lesen, was sie schreiben.“

So ist Cales Einstellung zur Öffentlichkeit. Wie diese ist seine Musik das Ergebnis einer 20jährigen Erfahrung im Musikgeschäft. Zwei Dekaden Bars und Clubs, Studios, Freunde und Erfolg, zwei Dekaden Hunger und Ablehnung.

Und so singt er auch, der Herr Cale. Immer so, als sei die Bar schon geschlossen, der Wirt und ein paar Stammgäste – vorzugsweise Musiker aber noch bester Laune und die Polizei vor der Tür. Sein Stil, sein Sound sind so ausgeprägt indentifizierbar wie selten. Er scheint nie, auch nicht auf seiner jüngsten, glattesten LP „5“, die perfekte Raffinesse der Dire Straits zu erreichen, deren musikalischer Pate er ja schließlich ist. JJ sieht die Parallelen – manche nennen es deutlicher – zu Dire Straits distanziert positiv. Auf die Frage, wie er sich so fühlt, den Erfolg der Engländer vor Augen, antwortet er: „Hey, das ist echt gut. Auf der einen Seite hast du die Gewißheit, daß du die ganze Zeit recht hattest, deine Musik Erfolg hat; auf der anderen Seite kannst du du selbst bleiben. Ich glaube auch nicht, daß Dire Straits mich kopieren. Gut, sie haben sich ein paar Licks ausgeborgt, aber das Gleiche habe ich auch bei ihnen gemacht. Musikstücke sind eine vergängliche Sache, alles geht vorbei. Eine Generation hört auf die Generation davor, und so lernen wir alle. Früher mußte ich mir mal Sachen von anderen anhören, und da sagten die Leute dann auch, du hörst dich an wie so-und-so. Aber im Grunde genommen hörst du dich an wie alle, und darauf stehen die Leute. Dire Straits klingen eigentlich nicht wie ich. Es gibt da Anklänge (flavours), aber da steh ich drauf, das ist sehr gut.“

Was macht Cale denn so am liebsten? Schreiben,Platten aufnehmen, Live-Auftritte?

„Mir gefällt eigentlich alles; wenn du nur eins machst, zum Beispiel komponieren, das wird sehr schnell langweilig. Songs schreiben ist eine Sache, das Studio eine andere, und auf Tour zu gehen ist wieder etwas ganz anderes. Ich meine, das gehört zusammen, aber es sind drei ganz verschiedene Dinge. Es ist. als ob du drei verschiedene Hüte aufsetzt. Ich spiele anders live, und wenn ich einen Song schreibe, klingt er anders als im Studio. Das Zeug kommt immer wieder ganz verschieden heraus. Wenn du eine Menge Platten machst, mußt du an dir selbst interessiert bleiben. Und das ist eine der schwersten Sachen, wenn du mal deine erste Scheibe veröffentlicht hast. Du darfst dir nicht selber auf den Nerv fallen, du mußt deine Sache immer wieder neu machen.

Was machst du mit deinen Songs, wenn sie geschrieben sind, frage ich J.J. Gehst du gleich damit ins Studio, oder machst du es wie mit dem Song „The Sensitive Kind“ von der neuen LP?

„Ich habe dieses Lied schon zweieinhalb Jahre lang live gespielt, bevor ich es aufgenommen habe. Aber das ist keine Grundregel; ich mach das immer wieder verschieden. Manchmal ist ein Demo, das wir aufgenommen haben, auch die Platte; ein anderes Mal spielen wir ein Lied zuerst in einem Club und gehen dann ins Studio. Gelegentlich klappt die Aufnahme auch nicht so ganz, dann lassen wir sie liegen und nehmen sie ein anderes Mal verschieden auf.“

Inzwischen hat Audie nochmal reingeschaut und gibt gleich einen Kommentar dazu: „Manchmal kommt J.J. einfach ins Crazy Mama (Ashwort’s Studio) reinmarschiert, schaltet die Maschine ein und nimmt den Song in einem Stück auf. Reine Spontaneität. Sowas kannst du nicht wiederholen. Manchmal geben wir auch 2.000 Dollar für 4 oder 5 Overdubs aus, Hörner und Chor und all das, und wenn wir uns dann hinsetzen, um es abzumixen, sagt er, weißt du, das ganze hört sich viel besser ohne diese verdammten Overdubs an. Und dann sind wir wieder da, wo wir angefangen haben.“

J.J.: „Manchmal spiele ich auch direkt in meinen Taperecorder. Und dann nehme ich das Ding nicht mit ins Studio, und das Band bleibt jahrelang liegen. Oder ich konstruiere Songs daheim, steig aus meinem Bett, geh runter in mein eigenes Studio und spiel das Ding direkt in den 16-Spur-Recorder mit Electric Drums; ich habe ein paar Pianos dort, spiele selber ein bißchen Baß. Ich bin eigentlich ständig am Schreiben, hebe die Sachen auf oder schreibe richtiggehend für ein bestimmtes Album, oder ich nehme einen alten Song aus meinem Recorder, der dort fünf Jahre vor sich hin moderte.Hab ich alles schon gemacht.“

Du benützt auch viele Studios, werfe ich ein, aber immer die gleichen Musiker. Hat das einen bestimmten Grund?

„Yeah, das sind Sachen, die mich bei Laune halten. Neue Sachen auszuprobieren. Es ist wie ein neues Hemd jeden Tag. Ich meine, du kannst immer das gleiche tragen; wenn’s drekkig ist, wäscht du es und ziehst es gleich wieder an. Aber mir gefällt’s so besser. Und ich bin glücklich, all das machen zu können. Mit verschiedenen Leuten zu spielen, Technik auszuprobieren. Ich war früher mal Soundingenieur – ziemlich harter Job – aber das ist sowas wie ein Hobby für mich. Würd ich was anderes machen, wär’s mir langweilig. Ich bin für jede neue Technik zu haben. Meine Musik mag vielleicht nicht danach klingen, aber diese Dinge sind wirklich da.“

Du hast auch schon auf deiner Terasse aufgenommen?

„Ja. Ich habe ein altes ‚funky‘ Haus in Oklahoma, und damals nahm ich einige Tracks mit einem Sony-4-Spur auf. Ein paar Sachen sind auf dem Okie-Album.“

Zur Legende des J.J. Cale gehört auch eine Gitarre. Eine alte Harmony, die er sich mal für 50 Bucks gebraucht gekauft und sie langsam zu einem kleinen Wunderwerk umgebaut hat. So ungefähr mit 15 Schaltern und Knöpfen, 4 Ausgängen und einer ganzen Batterie Pickups. Das Ding hat keinen Klangboden mehr. J.J. kommt sonst nicht an die Elektronik ran. Nach seinen Aussagen ist das Ding eigentlich eher ein Modellflugzeug als ein Instrument: „Tja, meine Harmony. Ich spiel sie eigentlich nicht mehr so oft, das Ding ist ziemlich ausgeleiert nach den vielen Reisen. Ich kann sie leider nicht mehr auf Tour nehmen, sie verträgt das Reisen nicht mehr. Ich bin Gitarrensammler. Und z.Zt. spiele ich auf ein paar Gibsons und Fenders.“

Früher spielte J.J. mit einigen Bands, speziell die LA-Zeit ist bemerkenswert, mit Gruppen wie ,Gene Groce & The Rockets‘ oder ,J.J.Cale & The Valentines.‘ Was ist denn aus den Leuten, aus seinen Freunden aus Tulsa so geworden?

„Mit den meisten spiele ich heute noch. Carl Radle, Marc Benno, Jimmy Karstein, Karl Himmel, David Briggs (früher Elvis-Pianist), das sind alles alte Freunde von mir. Die meisten kenne ich noch aus Tulsa. Und dann ziemlich viele Sessionmusiker aus Nashville. Ich versuche, mir die Besten zu holen. Außerdem machts mehr Spaß, mit Freunden zu spielen.

Was steht weiter für J.J. auf dem Programm? „Ich mache weiter wie bisher“ erzählt er. „Werde ein bißchen touren, ins Studio gehen, neue Techniken ausprobieren, faul sein; du mußt nämlich wissen, ich bin sehr faul. Wie meine Musik. Wenn ich einen Akkord anstelle von zwei Akkorden spielen kann, mache ich das. Man hört das auch, glaube ich. Weißt du, ich spiele Rock’n’Roll seit über zehn Jahren, aber wenn du meine Platten anhörst, errätst du’s nie.“