James Chance/ Contortions – Hamburg, Markthalle
Ein Ereignis, das sich niemand entgehen lassen durfte. James Chance alias James White, die lebende Kult-Legende endlich in unseren Landen! Man konnte es kaum glauben, denn der wenig umgängliche James hatte es trotz dreier Jahre Szene-Daseins geschafft, weitgehend unsichtbar zu bleiben. Sein heutiger Status erinnert an Iggy Pop 1976: Zurückgezogen und wahnsinnig, hundertprozentig Ego. Keine Plattenfirma ist für ihn zuständig, nur gelegentlich künden obskure Veröffentlichungen von seinem Genie. Die wenig verbreitete Cassette LIVE IN NEW YORK hatte die Stimmung noch um einiges angeheizt, zeigte es doch James und seine (angeheuerte) Band frisch in fesselnden Tiefen einer brodelnden Hölle…
Das, was in Hamburg auf der Bühne stand, als Contortions anzukündigen, war nun allerdings selbst dann hart an der Grenze des Zulässigen, wenn man James‘ Verhältnis zu seinen Begleitmusikern schon einkalkuliert hatte. Bei den Contortions wechselten die Mitwirkenden ständig, aber meist waren es viele, und dementsprechend viel war auch auf der Bühne los: Energie reinsten Wassers, wie es die Cassette ja bestens belegt.
In Hamburg standen im Höchstfall jedoch fünf Leute auf der Bühne. Außer James nur drei Männer, allesamt „Blacks“, an Gitarre, Baß und Drums, dazu gelegentlich noch eine Sängerin. Der Meister selbst befand sich ständig im fliegenden Wechsel zwischen Orgel, Sax und Mikro. Er ist der Star, er allein kann die Aufmerksamkeit schon durch seine Erscheinung fesseln. Grünschimmerndes Sakko, wild gestylte Haartolle, bleiches Gesicht, ein Mund wie ein Karpfen. Die Band spielt ihren Funk, James bearbeitet die Orgel. James singt, bläst sein Sax, singt und variiert diesen Ablauf. Die Band klingt müde, feuert niemanden an. Das zweite Stück wie das erste, alles hängt an James. Eine Sängerin betritt die Bühne und macht kaum etwas richtig. Stocksteif steht sie da und singt lustlos ein paar Phrasen. Die Dramaturgie der offenen Karten geht weiter — und nach zwanzig Minuten begann man sich zu fragen, was denn wohl noch kommen sollte. Soweit das Musikalische.
Die Kult-Gemeinde war trotzdem begeistert (wenn auch vielleicht etwas gedämpft), immer auf der Seite des kleinen, wilden Mannes, sei es voller Verständnis oder voller Verehrung. Und er hat es auch verdient, denn Figuren mit einer solchen Ausstrahlung gibt es noch immer selten. So sollte man auch in Zukunft seine Konzerte besuchen, und hoffen, daß er nicht zum James Brown/Eric Burdon-Imitat abgleitet, daß er mal wieder eine gute Band einkauft und nicht zu sehr an Personal spart.
So gesehen war das Hamburger Konzert eine Enttäuschung. Aber eine angenehme Abwechslung – denn wann kriegt man hier schon mal jemanden wie ihn zu sehen?!