Jan Böhmermann im Interview: „Die Gesellschaft braucht das: Reinigung durch Witz“
Nach #BandAid30 und #JeSuisCharlie, vor #Varoufake, Pol1z1stens0hn und #ParisAttacks: Im Winter 2015 trafen wir Jan Böhmermann zum Interview und sprachen mit ihm über sein Selbstverständnis und seine Ziele mit dem „Neo Magazin Royale“ – und erhielten Antworten, die auch im Rückblick aufs Jahr lesenswert sind.
Wir trafen den vielleicht letzten Popstar des Mediums Fernsehen im Winter 2015 in Köln, kurz bevor sein satirisches „Neo Magazin Royale“ zum ersten Mal im ZDF-Hauptprogramm zu sehen war – seit Anfang Februar läuft sie dort am späten Freitagabend. Den größten Trubel veranstaltete Böhmermann seitdem allerdings vor allem im Internet. Sein Wirkungsgrad auf YouTube, Facebook & Co. übersteigt seine Einschaltquoten um ein Vielfaches.
>>> Dieses Interview ist erstmals in der April-Ausgabe 2015 des Musikexpress erschienen
Unser Interview fand noch im alten Konferenzraum der Bildundtonfabrik, mit der Jan Böhmermann seine Sendung produziert, statt – eine Art Werkstatt-Garage in einem Gewerbegebiet-Hinterhof in Köln-Ehrenfeld.
Blende, szenischer Einstieg: … Das Tageslicht bricht sich in den Milchglasscheiben der Stahltürenfront, an der Seite hängt ein Waschbecken. Jan kommt 20 Minuten zu spät, war an diesem Morgen schon beim Dreh für einen Einspielfilm. Deshalb trägt er Anzug, ansonsten füge er sich schon auch gerne in die „Kapuzenpulloverigkeit“ der Firma ein, sagt er. Jan Böhmermann gehört zu den wenigen Menschen, die tatsächlich größer sind, als sie im Fernsehen aussehen. Wenn keine Kamera an ist, wirkt er sehr viel verbindlicher, in längeren Monologen – er redet schnell, aber nicht wie gedruckt, sondern eher forschend, nach dem überzeugenden Ausdruck suchend – verliert sich sein Blick im Licht hinter der Milchglasscheibe.
ME: Du bist gelernter Journalist. Gibt es irgendeine goldene Regel, die du heute noch anwendest, wenn du selbst ein Interview führst?
Jan Böhmermann: Ja, flache Einstiegsfragen, um nicht irgendwelche Rollläden gleich am Anfang zuzumachen. Lieber eine Frage stellen wie „Mensch, du siehst aber gut aus – warst du im Urlaub?“ als „Herr Böhmermann, sind Sie ein Arschloch?“.
Also ist es wohl keine gute Idee, dich gleich am Anfang auf das Thema Charlotte Roche anzusprechen, oder?
Mir egal. Ich hatte heute auch schon Alginat im Mund und habe einen Zahnabdruck gemacht, für einen Einspielfilm, mich kann heute nichts mehr schocken.
Eure gemeinsame Talkshow „Roche & Böhmermann“ wurde gefeiert, mit Preisen ausgezeichnet und trotzdem nach zwei Staffeln Anfang 2013 eingestellt. Stimmt es, dass es „Roche & Böhmermann“ nicht mehr gibt, weil Charlotte Roche und ihr Mann, der TV-Produzent Martin Keß, die Sendung an sich reißen wollten?
Da muss ich jetzt sehr diplomatisch sein … Wir haben uns einfach am Ende nicht mehr auf eine gemeinsame Basis begeben können – die Bildundtonfabrik als Produktionsfirma, Charlotte und ich. Und alles andere …
… bleibt hinterm Vorhang.
Ja, es wäre uncool, so etwas rauszuhauen. Das bringt keinem was und ist immer uncharmant, selbst wenn man theoretisch im Recht wäre, ohne dass ich behaupten würde, dass es so ist. Außerdem hat meine Wertschätzung für Charlotte ja nicht nachgelassen. Das ist nach wie vor eine tolle Frau, wir hatten eine tolle Zeit. Wobei man schon sagen kann, dass da zum ersten Mal in meinem Berufsleben bestimmte Kräfte aufgetreten sind, die ich vorher nicht habe kommen sehen. Das war eine wichtige Erfahrung für uns alle.
„Wir machen mit „Neo Magazin Royale“ gerade das, was Brainpool Mitte der 90er-Jahre mit Raab und Schmidt gestartet hat.“
Welchen Schluss hast du daraus gezogen: dir härtere Bandagen anzulegen oder nur noch mit Leuten zusammenzuarbeiten, denen du hundertprozentig vertraust?
Beides. Ich möchte mich nur noch auf wenige Leute außer mir selbst verlassen – gerade vor der Kamera. Aber diese Ereignisse haben uns auch als Team zusammengeschweißt. Ich glaube, ohne sie würden wir nicht einander so sehr vertrauen, dass wir diese ganzen Dinge hier stemmen können. Für unsere Verhältnisse bewegen wir mit „Neo Magazin Royale“ gerade ein großes Rad. Wir machen quasi das, was Brainpool Mitte der 90er-Jahre mit Raab und Schmidt gestartet hat und sich emanzipiert hat auf dem Fernsehmarkt.
Ihr habt jetzt nicht nur ein größeres Studio …
Aber nicht aus Größenwahn, sondern aus der Notwendigkeit heraus, dass unser altes so klein ist, dass man nichts drin machen konnte. Wenn eine Band bei uns spielte, musste dafür mein Schreibtisch abgebaut werden.
Es gibt jetzt mit Dendemann & die freien Radikalen auch eine eigene Studioband …
Weil es schöner ist, besser klingt, cooler ist – und weil es besser zum Stil der Show passt.
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