JAY-Z beerdigt auf „4:44“ die Männlichkeit
HipHop, das ist doch das mit dem Geld, den Drogen, den dicken Eiern und Frauenhass, oder? Doch au contraire! JAY-Z macht mit 4:44 ein Fass ohne Boden auf, geht hart mit sich und Weggefährten ins Gericht und schmiedet einen Plan zur Besserwerdung aller. Das hier ist mehr als die Geschichte um „Becky“, das ist Feminismus.
Das Leben von Heteros scheint ein ständiger Kampf und Ehe Krieg zu sein. Gegenüber stehen sich zwei Parteien, die angeblich unveränderlich so sind, wie sie eben sind, von unterschiedlichen Planeten und so: Mann und Frau. Frauen wird beigebracht, ihr höchstes Ziel möge es sein, einen richtig guten Mann zu finden, ihn gegen alles Äußere (andere Frauen) zu verteidigen und ihn sich, weil Männer eh immer wilde Jungs bleiben, noch so ein bisschen zurecht zu zupfen. Jungs wird antrainiert: Ach, komm, mach was du willst, lass dich nur nicht dabei erwischen. Körperliche Treue ist dem Heteropärchen das Wichtigste. Ist man zusammen, so gehört man einander, ist im Besitz des Anderen und nennt das dann Romantik. Die Rolle der Frau in diesem ewigen Spielchen ist im idealen Falle die der Umsorgenden, Mütterlichen, Unterstützenden, aber trotzdem Schönen, die alles selbstverständlich hinzubekommen hat, und, um auch den feministischen Anspruch an sie zu erfüllen, auch noch Karriere macht. Der Mann muss sich einfach nur zusammenreißen, ab und zu auftauchen und bei Fehlern Reue zeigen, oder: I got 99 problems, but a bitch ain’t one“.
Diese Selbstverständlichkeiten erklären vielleicht das immense Interesse am Fall Beyoncé und JAY-Z, offiziell formerly known as Jay-Z, oder Beyoncé featuring Jay-Z oder Beyoncé versus Jay-Z. Als im April des vergangenen Jahres Beyoncés LEMONADE erschien, waren alle ganz aus dem Häuschen. Wegen der vielen antirassistischen und feministischen Aussagen? Wegen des Exkurses in schwarzer Geschichte und dem Empowerment anderer Frauen? Wegen des genialen Songwritings, des großartigen Films, der geilen Songs? Ach, Quatsch, nein: Weil Jay-Z fremdgevögelt und den größten Heterofehler überhaupt begangen haben soll. Hat er/ Hat er nicht/ Oh mein Gott/ Wer war es nur/ Wer ist Becky mit dem guten Haar?
Das „Becky with the good hair“ aus dem LEMONADE-Song „Sorry“ auch auf das gesellschaftliche Ausspielen unterschiedlicher Weiblichkeiten und hier auf die Idealisierung oder Abwertung weißer Frauen (die Figur der „Becky“ erschien schon früher in Rapsongs als Projektionsfläche, beispielsweise in Sir Mix A Lots „Baby Got Back“) abzielen könnte, entging zumindest nicht allen und gehörte zu einigen Interpretationen. Viele andere sahen darin aber ausschließlich die Eifersucht Beyoncés auf die vermeintliche Affäre ihres Ehemanns Jay-Z. Frauen miteinander zu vergleichen und dadurch abzuwerten gehört zur sexistischen Ideologie. Es ist immer „die Andere“, die die Schuld trägt, wenn es schief läuft. Doch der Schmerz, dem Beyoncé mit LEMONADE Ausdruck verleiht und bekämpft, ist größer. Es ist ein Schmerz, der durch männliche und rassistische Gewalt verursacht wird. Die Eifersucht auf Becky mag ein Symptom dessen sein, aber sie ist nicht das Problem.
Doch die Empörung über den vermeintlichen Fremdgang ist groß. Ob es sich bei dieser Geschichte um einen Promo-Move oder auf den Platten des Paares tatsächlich um intime Details und Botschaften handelt, ist gar nicht mehr so wichtig. Für die Fans geht es um etwas Anderes: um sie selbst und ihre Ideale. Auch wenn die meisten Menschen körperlich untreu sind und ahnen, dass Monogamie vielleicht doch nicht funktioniert – diese beiden Ikonen der Popmusik dürfen das nicht enttarnen.
Beyoncé und Jay-Z müssen es hinbekommen, dürfen die Kränkung nicht so stehen lassen, dürfen Eifersucht nicht gewinnen lassen, müssen beweisen, dass doch alles richtig ist, woran man schon so lange glaubt. Man will sich menschlich identifizieren können – und man belügt sich selbst doch auch so schön. Jay-Z als Traumschlossbeschmutzer musste also eine Antwort bringen, musste die Wogen glätten, musste für ein Happy End sorgen.
JAY-Z auf „4:44“: Big homie really grew up
Das tat er mit einem Album, das sich, ähnlich wie LEMONADE, eigentlich um viel größere Problematiken dreht, als einen Seitensprung. Ein Album, auf dem er sich kritisch mit seiner Sozialisierung als Mann auseinandersetzt, reflektiert, dass er sich in der Vergangenheit misogyn verhalten hat, und ein Album, das auch von Rassismus und Homophobie erzählt. 4:44, das am 30. Juni auf Tidal (auch bekannt als das Portal, das alle hassen) veröffentlicht wurde, ist persönlich, hart ehrlich und liefert den Fans die Antworten, die sie sich wünschen, inklusive unendlich vieler Entschuldigungen. Doch es ist zudem und vor allem politisch. Auch Beyoncé setzt ihre persönliche Kränkung eher als einen Mosaikstein in die Illustration eines größeren Problems, das bei ihr die Behandlung von schwarzen Frauen in der amerikanischen Gesellschaft ist. Bei Jay-Z ist es das Leben und Verhalten eines schwarzen Mannes.
In jedem Fall und auf jeder Ebene kann man Jay-Z als geläutert bezeichnen. Schon der Eingangstrack könnte radikaler nicht sein: „Kill Jay Z“ ist eine fette Abrechnung mit ihm selbst in Form eines Mordaufrufs gegen ihn. Statt Phoenix-aus-der-Asche-Gebrabbel, das man sonst von HipHop-Intros kennt, findet sich hier ein Abgesang. Verhandelt wird Jay-Zs dunkelstes Kapitel, als er, damals zwölfjährig, seinen Bruder anschoss („Fuck Jay Z, I mean, you shot your own brother“), das Nichtverhältnis zum eigenen Vater als Anlass, es selbst besser zu machen („But you gotta do better, boy, you owe it to Blue“), Drogenmist („You got people you love you sold drugs to“), die Gefährdung seiner Ehe („You almost went Eric Benét, let the baddest girl in the world get away“) und seine gesamte, alte Identität bis hin zur Absage an HipHop-Macker-Attitüden:
„But this ‚fuck everybody‘ attitude ain’t natural“.
Bühne auf für den neuen Jay-Z, der beweist, dass HipHop mitnichten schlechter wird, wenn man aufhört, ein Arschloch zu sein. Schon im zweiten Track „The Story of O.J.“ wird es substanzieller. Es geht um die afroamerikanische Community, in der auch er sozialisiert wurde. Auch hier ist sein Punkt ganz klar: Statt sich um sein Ego zu scheren, sollten Änderungen angestrebt werden, die allen zugute kommen:
„Take your drug money and buy the neighborhood“.
Mit einem Sample von Nina Simones antirassistischem Song „Four Women“ von 1966 zeigt Jay-Z außerdem, dass er, für den HipHop leider ungewöhnlich, auch Frauen sichtbar machen möchte. Auch auf anderen Albumtracks finden sich Reminiszenzen an weibliche Künstlerinnen: Hannah Williams’ „Late Nights & Heartbreak“ wird in „4:44“ gesampelt, The Clark Sisters’ „Hey Ya (Eternal Life)“ in „Family Feud“, Sister Nancys „Bam Bam“ in „Bam“ und Lauryn Hill (The Fugees) ertönt mit „Fu-Gee-La“ in „Moonlight“. Auch auf privater Ebene scheint sich Jay-Zs Verhältnis zu Frauen verändert zu haben: „Smile“ handelt von der Homosexualität seiner Mutter („Cried tears of joy when you fell in love. Don’t matter to me if it’s a him or her“), ebenfalls ein ordentlich warmes Eisen in dieser Männerdomäne des HipHops, in der „gay“ noch immer als Beleidigung gilt. Jay-Zs Mutter kommt sogar persönlich zu Wort, spricht in Gedichtform über ihr Coming-Out und findet große Worte:
„But life is short, and it’s time to be free
Love who you love, because life isn’t guaranteed“.
Nah, Jay Z, Hi Jay-Z
Mit dem Titelsong „4:44“ wird endgültig klar, dass das zentrale Thema dieses Albums eben nicht die Verteidigung gegenüber eines Betrugvorwurfs ist, sondern vielmehr eine Kritik der problematischen Auslebung von Männlichkeit. Dabei wird Jay-Z ganz konkret und entschuldigt sich für all die Momente, in denen er Frauen, insbesondere seine Frau, schlecht behandelt hat:
„Look, I apologize, often womanize
Took for my child to be born
See through a woman’s eyes“.
Da hat einer, der 1996 „And the only time you love them is when your dick hard“ („Cashmere Thoughts“) und 1999 „You know I thug ‚em, fuck ‚em, love ‚em, leave ‚em, ‘Cause I don’t fuckin‘ need ‚em“ („Big Pimpin’“) rappte, offenbar wirklich etwas begriffen: „Took me too long for this song“. Ein weiteres trauriges biographisches Kapitel, das von Jay-Z in dem Track angerührt wird, ist die von Beyoncé erlebte Fehlgeburt, für die er verantwortlich zeichnet: „I seen the innocence leave your eyes. I still mourn this death and I apologize for all the stillborns. Cause I wasn’t present, your body wouldn’t accept it.“ Ehrlicher kann man nicht sein.
Es gibt keinen Abgrund von sexistischen Auswüchsen, den Jay-Z auf 4:44 unangetastet lässt. Im Song „Legacy“ spricht er die Vergewaltigung seiner Tante durch den Großvater an: „You see, my father, son of a preacher man, whose daughter couldn’t escape the reach of the preacher’s hand“. Auch in diesem Kontext wird auf einen größeren politischen Zusammenhang verwiesen, es geht um Doppelmoral und erneut um Verantwortung gegenüber der eigenen Community („Take those moneys and spread ‚cross families“), um die Geschichte der Schwarzen („There was a time America wouldn’t let us ball“) und ihrer Befreiung aus einer diskriminierenden Gesellschaft („We gon‘ start a society within a society“) und seine ganz konkreten Pläne dazu („My stake in Roc Nation should go to you. Leave a piece for your siblings to give to their children too“). Seit der Bewegung „Black Lives Matter“ und der Trump-Wahl radikalisiert man sich wieder mehr, vor allem im HipHop. Jay-Z bringt das Manifest.
Dazu gibt es im Song „Moonlight“ auch noch einen Seitenhieb auf die diesjährige Oscarverleihung, bei der zunächst fälschlicherweise der Film „La La Land“ als Gewinner des Preises für den besten Film ausgerufen wurde, tatsächlich aber „Moonlight“ die Trophäe erhielt. Es war der erste Film mit komplett schwarzer Besetzung, der einen Oscar erhielt.
„We stuck in La La Land
Even when we win, we gon‘ lose“
Jay-Z spielt in „Moonlight“ zudem auf die für ihn nicht weit genug gehende Entwicklung in der schwarzen Kultur an, die sich immer wiederholenden Motive, Klischees und Aneignungen: „We got the same fuckin‘ flows, I don’t know who is who“, „Please don’t talk about guns, that you ain’t never gon‘ use“, „And my head is scratchin‘ ‚Cause that shit is backwards“. Jay-Z geht vorwärts.
Bye, Bye, „Becky“
4:44 ist das Zeugnis von einem, der ziemlich tief in sich gegangen ist und keine Angst davor hat, es sich womöglich mit einigen seiner männlichen Fans zu verscherzen. Doch Jay-Z hat ohnehin etwas Besseres gefunden: eine Familie, die Wahrheit, die Unterstützung von und durch Frauen und Formen des Engagements. Für die Gossip-Geilen distanziert er sich zwar in „Family Feud“ (featuring Beyoncé) doch noch wie erwartet („Let me alone, Becky“), aber das ist am Ende nur noch eine Randnotiz wert. LEMONADE und 4:44 sind besser als Gossip. Sie sind Gesellschaftskritik in ihrer bestklingenden Form. Während Beyoncé sich aus der Identität als vermeintlich schwache, verletzte Frau mit unfassbarer Stärke und Wut herausarbeitet und Grenzen setzt, setzt sich Jay-Z mit seiner Rolle als Verursacher weiblichen Leids auseinander und handelt seinen Handlungsspielraum als Teil einer marginalisierten Gruppe aus. Beide beweisen, dass Geschlechterrollen nichts Fixes sein müssen, und das private Beziehungen glatt poliert werden können, aber deswegen noch lange kein Stillstand der Verhältnisse, in denen sie stattfinden, herrschen muss. Chapeau!