Jeff Lynne: Karrieren Klempner


George Harrison verhalf er zum Comeback, Roy Orbison bescherte er einen zweiten Frühling, Tom Pettys Solo-Debüt produzierte er zum Kassenknüller. Als Karriere-Klempner kann sich der einstige Chef-Elektriker von ELO vor Aufträgen nicht retten. Warum es ihn mit 43 Jahren nun auch wieder ins Rampenlicht zieht, verriet er ME/Sounds-Mitarbeiter Helmut Werb in Los Angeles.

Ein Treften mit Lynne ähnelt eher einem Plausch im Pub als einem Interview im marmornen Büro seines schwergewichtigen Managements in Beverly Hills. Auch Jeffs Erscheinung will nicht so recht in die Rolls Royce-Umgebung passen: Der Sakko ist definitiv nicht von Armani, das T-Shirt gleich vom Supermarkt um die Ecke, und sein nordenglischer Singsang nimmt einem jegliche Illusion von schickem Hollywood-Highlife. Obendrein sagt er auch noch ständig danke! Stellt sich so der kleine Max den Mann vor, der Roy Orbison, Bob Dylan und Tom Petty die Zügel hielt?

„Eines Abends hatte ich Dinner mit Dave Edmunds, und beim Abschied dreht er sich nochmal um: ‚Übrigens, ich habe vergessen, dir zu sagen, daß du George Harrisons nächstes Album produzieren sollst.‘ Ich traute meinen Ohren nicht. George Harrison, mein Held, will allen Ernstes, daß ich seine Platte produziere! Für mich waren die Beatles immer überirdische Idole.“

So fing das damals also an. Nach dem Erfolg mit Harrisons CLOUD NINE produzierte Lynne nacheinander Tom Petty, Roy Orbison, Brian Wilson, Randy Newman und Del Shannon. Dazwischen noch ein Intermezzo mit den Traveling Wilburys, deren Zustandekommen wohl hauptsächlich auf Jeffs großäugiges Staunen zurückzuführen ist: Jeden Abend so um Mitternacht, wenn wir mit den Aufnahmen fertig waren, saßen George und ich herum und tranken ein Bier. Wir phantasierten uns eine Super-Band zusammen — die beste Gruppe der Welt! Wer würde Gitarre spielen, wen hätten wir gern als Sänger? Aah, Roy Orbison, sagte ich. Und George meinte, Ooh, Bob Dylan. Und Tom Petty wäre auch toll. Wir fanden sogar einen Namen: Zuerst sollten sie Trembling Wilburys heißen, frag mich nicht warum.

Und ab George noch eine Single fertigstellen mußte, bot ihm Dylan dafür sein Studio an. Auf einmal kamen Roy und Petty noch dazu – die Traveling Wilburys waren geboren. Aber gedacht war das ja nur fiir Georges Song. Der nahm die Scheibe zur Plattenfirma, und die sagten, er spinne, sowas als B-Seite verwenden zu wollen: die wollten ein ganzes Album daraus machen. „Zehn Tage später war aus dem Spleen Wirklichkeit geworden.

Fühlt sich Jeff, der ständig staunende Bewunderer, unter all seinen Idolen nicht ein wenig als Junior-Partner ohne Mitspracherecht?

„Nein, ich bin wirklich der Über-Fan, aber deswegen kann -ch trotzdem mit ihnen zusammen arbeiten. Eigentlich bin ich immer noch der Fan — nur mit dem Unterschied, daß ich die Boys nun auch produziere. „

Beiläufig erwähnt er, daß im Herbst das zweite Album der Wilburys erscheinen soll. Und wer ersetzt den verstorbenen Roy Orbison?

„Niemand. Du kannst Roy Orbison einfach nicht ersetzen. Meiner Meinung nach war er der beste Popsänger, den es je gab. Als wir die Vocals fiir die erste Wilburys-LP aufnahmen, hoffte jeder von uns, nicht nach Roy reinkommen zu müssen. Die Neue nehmen wir zu viert auf. Klar ist es nun eine andere Band, ein anderer Sound. Und diesmal wird’s länger dauern ab zehn Tage!

Ich glaube, die Wilburys fühlten wirklich eine Lücke. Wir alle konnten keine Drum-Maschinen und Synthesizer mehr hören. Ich hatte vor ein paar Jahren eine Phase mit all diesem High-Tech-Zeug, aber ich fühlte mich bald wie an einer Schreibmaschine: Du tippst deine Musik, drückst auf einen Knopf, das Ding spielt zurück, und es hört sich immer beschissen an. Bin ich Tippse, Laborant – oder spiele ich Gitarre?

Vielleicht bin ich ja Nostalgiker, aber ich glaube, es geht tiefer. Nachdem ich diese neuen Technologien selber ausprobiert habe, weiß ich, daß nichts an richtige Musik heranreicht. Alles andere ist Secondhand Sound. „

Für sein erstes Solo-Album ARMCHAIR THEATRE schickte er seine Frau und die beiden Töchter nach Los Angeles, wo er gut die Hälfte seiner Zeit verbringt, und baute sein Haus in England in ein riesiges Studio um. Aufgenommen wurde im Eßzimmer, in der Küche, in der Stiefelkammer, selbst im Klo. „Überall hingen Mikros mm. Es machte mir viel Spaß, nicht in einem perfektionierten Studio zu arbeiten. Du weißt nie im voraus, wie sich der Song anhört, du experimentierst ¿

mit den verrücktesten Ideen. Ich wollte einen natürlichen Sound, alles mit Mikrofonen aufnehmen, keine digitalen Synths – richtige Musik eben.“

Jeff Lynne, der Superfan, wollte sein Glück auch mal ganz alleine versuchen. War er frustriert, anderer Leute Musik zu produzieren? Oder wollte er seinen „Kunden'“ mal zeigen, wie man’s richtig macht?

„Ganz im Gegenteil, mir macht mein neuer Trip als Produzent unheimlich Spaß. Der Grund für ARMCHAIR THEATRE war meine Plattenfirma Warner Brothers. Die hatten die Cuts von Georges CLOUD NINE gehör! und fragten mich, ob ich ein Solo-Album machen würde. Von alleine wäre ich, ehrlich gesagt, gar nicht drauf gekommen. „

Sollte mit dem Solo-Debüt nun Lynnes Produzententätigkeit in den Hintergrund rücken? Liegt einem die eigene Musik letztlich nicht doch mehr am Herzen als Fremdprodukte, die immer wieder Kompromisse fordern?

„Das sah ich nie so. Wenn man mit diesen Leuten arbeitet, gibt’s keine faulen Kompromisse, sondern wirklich kreative Kooperation. Hinzu kommt natürlich, daß ich der Über-Fan bin und diese Leute bewundere. ‚Wow! George Harrison will, daß ICH seine Platte produziere!‘ Das sind Herausforderungen, die mir auch weiterhin einen Kick geben werden.“

Eine „Armchair Theatre“-Tournee wird es nicht geben. Lynne haßt Konzerte. „Nein, Tourneen haben mir nie Spaß gemacht. Ich war früher ständig unterwegs, und selbst damals hatte ich die Nase voll davon. Es war zwar toll, wenn Leute kamen, um dich zu sehen, aber …es wurde zur Last. Du wiederholst dich jeden Abend, und – für mich besonders frustrierend – du kriegst nie den Sound hin, den du willst. Ich gehe unheimlich gern in Clubs, da hört sich alles richtig trocken an, aber bei diesen riesigen Hallen schwimmt der Sound wie Brei. Jeden Abend dachte ich: Uugghhh, it sounds like shit! Und morgen wieder das Gleiche. Da bleibe ich doch lieber im Studio und bastle zufrieden vor mich hin.“