Jefferson Airplane
Die Rockband Jefferson Airplane aus Kalifornien lieferte Ende der sechziger Jahre die Bgleitmusik für den weltweiten Aufbruch der Flower Power-Generatin, die mit Drogen, psychedelischer Kunst und dem Slogan „Love&Peace“ neue Lebensformen aufbauen wollte. Airplane-Sängerin Grace Slick bestreitet heute zwar, daß sie den Soundtrack für die Revolte in die Welt gesetzt hat. Doch ihr später Widerruf ändert nichts mehr: Drogensongs wie „White Rabbit“ und politische Manifeste wie Volunteers sind längst Geschichte, die Band Jefferson Airplane ist längst ein unantastbarer Mythos.
„Die Jefferson Airplane enteilt der Rollbahn des Verstandes, landet und startet auf dem Luftweg der Vorstellungskraft, wo ihr wollt, um surrealistische Landschaften zu entdecken …“ schrieb das amerikanische Magazin „Life“, dessen Titelblatt 1968 diese Westcoastgruppe zierte. Und der englische Melody Maker kündigte die erste Europatournee der Jefferson Airplane im selben Jahr folgendermaßen an: „Eine Gruppe, die dem Underground entflog und nun dort landet, wo sie glaubt, da müsse ein ‚Underground‘ vorhanden sein…“
Das war eine neue, bildreiche Sprache, ein direkter Hinweis auf technische und chemische Höhenflüge — Ausdruck eines euphorischen Lebensgefühls, das allerorten in Westeuropa wie eine Epidemie um sich griff. Plötzlich gerieten Topgruppen wie Rolling Stones, Who, Kinks und Beach Boys in eine Krise, hatten Ausgeflippte aus Studentenkreisen und Künstlerzirkeln das Zepter in der Hand. „Underground“ hieß die Devise; nicht ein öffentliches Verkehrsmittel, sondern ein Kommunikationsfeld am Rande der Gesellschaft und der Legalität war gemeint. Diese Subkultur baute sich ihre eigene „alternative“ Welt auf und deckte alle Bedürfnisse des neuen Lebensstils ab.
Fly Translove Airways
Kleine Plattenläden, die Flüsterkneipen glichen, importierten den neuen Sound von der Westkäste Amerikas; die ersten Alben der Mothers, Grateful Dead, Country Joe & The Fish und Jefferson Airplane wurden gehandelt wie rare Antiquitäten, die Insider hatten fast täglich einen neuen Geheimtip. In allen Städten sprossen Undergroun-Gazetten aus dem Boden, wurden die alten Rock-Clubs durch neue „Kommunikationszentren“ verdrängt, die die Szene umkrempeln wollten und Middle Earth, UFO, Blow Up, Fillmore oder Strawberry Fields hießen. Der europäische ‚Underground‘ war also bestens beackert, als ihn die Jefferson Airplane im Sptember 1968 in England zum ersten Mal betraten, um auf dem ersten Festival auf der Isle of Wight zu spielen. England hieß die Flower-Power-Piloten herzlich willkommen, von denen Englands Hippie-Guru Donovan schon 1966 singenderweise berichtete:
„Fly Translove Airways, get you there in time …“ hieß es auf seinem Song „Fat Angel“, den die Jefferson Airplane später in ihr Repertoire übernahmen. Während ihres ersten Europa-Aufenthalts standen JA bereits auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, und jenseits des Atlantiks zerbröckelte das Hippie-Paradies bereits an allen Ecken und Enden. Und obwohl ihr Besuch eine Menge ins Rollen brachte, war die eigentliche Idee schon auf der Überfahrt gestorben. Die verspätete Information, die Mißverständnisse und unterschiedlichen sozialen und kulturellen Hintergründe führten bei uns zu einer Subkultur, die sich von all diesen Fehlern bis auf den heutigen Tag nicht erholt hat.
Damals, am 6. und 7. September, als die Jefferson Airplane zusammen mit ihren Kollegen und Rivalen Doors aus Los Angeles im New Roundhouse zu London, zu jener Zeit Middle Earth genannt, auftraten, schien die Welt mit einem Mal wieder in Ordnung, hatte das Leben eine neue Bedeutung, einen sinnvollen Inhalt. Love and peace, Flower power, Trip, Drogen, fliegen, landen — Wörter mit magischen Inhalten ersetzten eine Konversation, der ständig kreisende Joint brachte Tausende von Jugendlichen zusammen. Und selbst das naßkalte englische Wetter konnte die Amerikaner nicht davon abhalten, ein obligatorisches Free Concert im Freien zu veranstalten — Musik umsonst unter Gottes Himmel. Eine Light-Show, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte, 30 Kilo schwer, mit 45 Projektoren, die total synchron zur Musik komponierte Dias warfen, konstruiert von Glenn McKay’s Headlights, ließ die Leute ins Reich der Träume ein, zu Alice im Wunderland, deren Drogen-Trip die Jefferson Airplane-Sängerin Grace Slick auf „White Rabbit“ schildert: „One pill makes you larger, and one pill makes you small, and the one that mother gives you don’t do anything at all, go ask Alice when she’s ten feet tall …“
Schmelztiegel San Francisco
„White Rabbit“ war Jefferson Airplane’s zweiter Single-Hit neben „Somebody To Love“, stammte ebenfalls aus Grace Slicks Feder und aus dem Album „Surrealistic Pillow“, für das die Band ihre erste Goldene kassierte. Das war 1968, und die Gruppe war gerade 3 Jahre alt.
Ein Traum, den Martyn Jerel Buchwald, genannt Marty Baiin, 1965 in San Francisco zu träumen begonnen hatte, war damals in Erfüllung gegangen. Die Welt hatte ein neues Liverpool und es hieß San Francisco. Die Hafenstadt an der Westküste Kaliforniens, in deren Slums viele Lateinamerikaner hausten, Seeleute und gestrandete Goldsucher aus Nevada hängenblieben, war ein Schmelztiegel der Nationalitäten, der Sprachen und Musikstile. An jeder Ecke existierte ein Club, wo Musik gemacht wurde. So ist es nicht verwunderlich, daß Frisco-Gruppen von Blue Grass, Folk, Rhythm’n‘ Blues, Rock’n’Roll, Blues bis zu internationaler Folklore alles aufgriffen. Die Vorbedingungen waren ideal; die Musik lag sozusagen auf der Straße.
Das erkannte auch Marty Baiin, Folkmusiker, Graphiker, Schauspieler und Tänzer. Der in Cincinatti, Ohio, geborene Sohn eines Lithographen hatte sich mit allerlei Jobs im Showbusiness durchgeschlagen, als Tänzer in der „Westside Story“, als Graphiker und als Folksänger in der Gruppe „Town Criers“. Sein Freund Bill Thompson, Journalist beim „San Francisco Chronicle“ und seit 1968 Manager der JA, wohnte damals mit ihm an der 16th Avenue und Clement Street, San Francisco, als Marty ihm von seiner Idee erzählte, einen Club zu eröffnen. Es sollte ein Treffpunkt für Musiker und Künstler werden. Im Frühjahr 1965 übernahm er das ehemalige „Matrix“ an der Fillmore Street und baute es um. Dann machte er sich auf die Suche nach Musikern für seine neue Band, mit der er seinen Club eröffnen wollte. Es sollte eine Folk-Band sein, die mit elektrischen Instrumenten spielte. Marty nannte es Folk-Rock. Auf dem Cover der ersten Jefferson Airplane-LP „Takes Off“ erzählt er, wie er die Mitglieder seiner Gruppe gefunden hat.
„Bevor ich Paul Kantner traf, hatte ich ‚zig Typen ausprobiert. Als er in den Folkclub The Drinking Gourd‘ reinkam, hab‘ ich sofort gewußt — der ist es. Er hatte eine 12-String-Gitarre, ein Banjo und die Haare bis hierhin — und so einen alten Hut auf. Ich bin einfach auf ihn zugegangen und hab‘ gesagt, ‚wir sollten was zusammen machen!‘. Ich hatte ihn noch nie spielen gehört, aber es war mir klar, daß er gut sein mußte.“ Paul Kantner stammte aus San Franciscos Mittelschicht, wollte ursprünglich Lehrer werden, hatte aber die Universität vorzeitig verlassen und hing seitdem mit anderen Musikern am Strand herum. Durch Paul kam dessen früherer College-Freund Jorma Ludwik Kaukonen als Gitarrist zur Gruppe.
Ein Gitarrist trommelt
Der Sohn eines Diplomaten stammte aus Washington D.C., war aber durch den Beruf seines Vaters viel in der Welt herumgekommen. Dadurch hatte er eine Vorliebe für exotische Folklore entwickelt. 1962 war er nach San Francisco gekommen und hielt sich als Solo-Gitarrist und Gitarren-Lehrer über Wasser. Sein jüngerer Bruder Paul ist ebenfalls Gitarrist. Dann gehörte der Gruppe noch die Folksängerin Signe Toly Anderson und ein Bassist namens Bob Harvey an. Den Schlagzeuger Alex „Skip“ Spence fand Marty ebenfalls in einem Club: „Ich sah ihn eines Tages und sagte zu mir ‚das ist mein Schlagzeuger!‘ Skip hatte noch nie in seinem Leben Schlagzeug gespielt, sondern immer nur Gitarre.“
Auf ungewöhnliche Weise war eine ungewöhnliche Band entstanden, der nur noch ein ungewöhnlicher Name fehlte. Er sollte sich von den damaligen neckischen Tier- und maskottchenkürzeln wie Who, Byrds, Turtles absetzen. Dabei kam ihnen Steve Talbot, ein Freund Jormas, zur Hilfe. Der Bluesmusiker gab den Mitgliedern seiner Band immer phantastische Namen und darunter fand sich Blind Lemon Jefferson Airplane. Und das war’s dann.
Aber auch in jeder anderen Beziehung waren JA von Anfang an anders und hatten Glück. Noch bevor das „Matrix“ am
13. August 1965 durch sie eröffnet wurde, hatten Martys Freunde, besonders Bill Thompson, Mund- und Pressepropaganda betrieben. Der Club war jeden Abend gepackt voll. Und bald wurde er das Zuhause der Grateful Dead, Janis Joplin & The Big Brother And Company, Quicksilver Messenger Service, Steve Miller Band und Santana.
Zwei Monate nach dem Matrix-Gig kam der Bassist John William ‚Jack‘ Casady dazu. Er stammte wie Jorma aus Washington D.C., sein Vater war ein prominenter Zahnarzt, und er hatte als einziger wirklich musikalische Praxis. Mit 15 hatte er Gitarre, mit 20 Bass gelernt und sich ebenfalls als Gitarrenlehrer durchgeschlagen. Die JA wurden durch die neue Welle der Tanzveranstaltungen, Acid-Tests, Happenings, Benefizkonzerte, Free Concerts und Love-Ins hochgetragen, in denen sie eine ebenso wichtige Rolle wie die Grateful Dead spielten. Kaum ein Ereignis, bei dem sie fehlten. Natürlich auch nicht bei der Eröffnung von Bill Grahams legendären Fillmore West am 10.12. 65; im August 66 wurde Graham dann ihr Manager.
Martys graphisches Talent brachte die ersten psychedelischen Jugendstilposter hervor — die später eine internationale Erkennungsmarke der Frisco-Künstler wurde — und die ersten Stickers und Buttons mit der Aufschrift „Jefferson Airplane Loves You“. Denn es ging um Liebe und um nichts Anderes sonst. Aber nicht um sentimentale, verlogene Sonnenscheinund Mondscheinliebe, sondern um die reale Liebe in jeder Beziehung und ohne Tabus, von der brüderlichen Hippie-Liebe bis zur sexuellen, mit und ohne-Drogengenuß, im Auto, Flugzeug oder unter Wasser. Marty Baiin: „Unser ganzes Material handelt von der Liebe, über Liebesaffären oder liebende Leute. Lieder über Liebe.“
Zugleich forderten Jefferson Airplane: „Sei frei und verwirkliche dein Denken!“. Marty, der die Dichter Baudelaire* Rimbaud, Joyce und Dylan Thomas, sowie die Musiker Bob Dylan, Kinks und Beatles verehrte, schrieb anfangs den größten Teil des JA-Materials. Und wieder kam der Band das Glück zur Hilfe. Bei RCA unterschrieben sie als erse SF-Band einen Plattenvertrag, der mit 25 000 Dollar damals ungewöhnlich hoch dotiert war. Innerhalb einer Woche wurde „Takes Off“ eingespielt und im Sommer ’66 veröffentlicht. JA wurden auch als erste Rockband auf Jazz-Festivals in Berkeley zugelassen. Noch war ihre Musik auf der ersten LP sehr folkorientiert, aber mit den Standards wie ,,It’s No Secret“ und „Don’l Slip Away“ wurde bereits die Basis für den späteren Sound der JA geschaffen: eine lyrische und zugleich metallene- Mischung aus Elementen von Folk, Jazz und Elektronik, mit einer Vorliebe für ausladende, experimentelle Improvisationen.
Ein Fotomodell singt
Nach der LP „Takes Off“ gab es eine Umbesetzung. Signe erwartete ein Kind und wollte nicht mehr mit auf Tournee. Als Ersatz bot sich Grace Slick an, die damals mit der Gruppe ihres Mannes, Great Society, meist bei den selben Veranstaltungen wie Jefferson Airplane auftrat. Mit ihr bekam die Gruppe nicht nur eine sehr eigenwillige Sängerin, sondern auch eine selbstbewußte Komponistin. Als Grace Ward in Chicago geboren, hatte sie als Fotomodell, dann mit ihrem Mann Jerry, einem Filmemacher, zusammengearbeitet und war vor allem an spanischer – Musik interessiert.
Schlagzeuger ‚Skip‘ Spence wanderte zu Moby Grape als Gitarrist ab, für ihn kam Spencer Dryden. In N«w York geboren, in Los Angeles aufgewachsen, aus einer Künstlerfamilie stammend, wollte er ursprünglich Psychiater werden, verließ aber die Schule und begann sich mit ‚Elektronik und Filmen zu beschäftigen und wurde bald in der Jazz-Szene von LA ein gefragter Schlagzeuger. Mit dieser Besetzung hielt JA bis 1971. Und in dieser Zeit waren sie am kreativsten und erfolgreichsten: Heute scheint es sich zu beweisen, daß sie.nie eine Band mit einer zentralen Figur waren, sondern eine Synthese aus sechs voneinander abhängigen Persönlichkeiten.
Aus dem Tief, das sich nach dem Weggang von Marty Baiin und Spencer Dryden anbahnte, ist die Band nie mehr ganz herausgekommen. Trotzdem gehörte sie zu den beliebtesten Festivalgruppen und fehlte weder in Monterey, Woodstock, Newport oder Altamont. Im Gegensatz zu den meisten englischen und auch amerikanischen Bands hatten die JA ein sehr gemischtes, aber im Durchschnitt älteres Publikum. Das beruhte zum Teil auf den Songtexten, die der Musik gleichgestellt waren. Obwohl es hierbei um vielfach verschlüsselte Botschaften über Drogen, Trips und Träume handelte, die mit literarischen Zitaten und surrealistischen Symbolen versehen waren, spielte auch die aktuelle Berichterstattung über die Szene eine große Rolle: Alles, was die Jugendlichen damals bewegte, fand seinen Weg in das musikalische Labyrinth der JA. So schrieben sie zum Beispiel über „Gathering Of The Trips“, ein Open Air Festival in Friscos Golden Gate Park am 14.1.67 den Song „Saturday Afternoon“.
Kinder braver Bürger
Trotz allem waren die JA niemals vernebelte Trip-Schlukker oder ausgeflippte Spinner. Sie verursachten keine Skandale, selbst ihre bizarre Hippie-Kostümierung verriet Geschmack und Kultur. Sie hatten schlicht gesagt Format. Damit läßt sich wohl auch die Sympathie der Erwachsenen-Generation, der Intellektuellen und Künstler für die Band erklären. Die JA stammten aus dem Bürgertum, sprachen und sangen von Dingen, die andere nur träumten und waren dadurch doppelt bizarr. Ein Grund auch für die Life-Titelgeschichte und die euphorische Presse in den führenden konservativen Kulturseiten. „Im Fillmore Auditorium in San Francisco fand der Angriff des neuen Musikstils auf die Welt statt. Viele Gruppen machten die Musik modisch — doch die heißeste neue Rock-Beat-Gruppe war Jefferson Airplane, die von nun an der erste Lieferant des San Francisco-Sounds werden sollte,“ schrieb das Time Magazine. Und der französische Filmemacher Jean-Luc Godard besuchte die Band nach ihrem Europa-Trip in San Francisco und begann mit ihr sein „American Movie“, ein Film, der jedoch unvollendet blieb.
Merkwürdigerweise haben es die JA geschafft, ihr Underground-Image bis auf den heutigen Tag zu behalten. Und das, obwohl Grace Slick schon 1968 in einem Interview meinte: „Was auch immer ‚Underground‘ sein mag, wir sind es nicht.“ Ihr Kollege Marty Baiin indes sah das ganz anders: „Amerikas Jugend besitzt keine Realität mehr. So versucht sie sich anhand von Drogen und Musik eine eigene zu schaffen. Und man kann mit Hilfe der Musik die Welt verändern. Ich glaube an die Macht der Musik.“
Nun, die Welt haben Jefferson Airplane, wie alle übrigen Musiker auch, nur kurzfristig und hauptsächlich äußerlich umgekrempelt. Aber wer glaubt, ist glücklich, und ein bißchen Glück haben sie ihren Fans schon geschenkt. Liest man heute Interviews mit Grace Slick, die sich von einem Musiker zu einer öffentlichen Person Amerikas entwickelt hat, die mehr Interviews als Konzerte gibt, dann packt einen der große Zweifel, ob denn jemals an eine Revolution geglaubt wurde, ob man nicht 10 Jahre lang einem weltweiten Mythos erlegen war.
„Niemand in der Airplane glaubte jemals, daß er wirklich für die Jugend sprach. Das war nie unsere Rolle. Wir haben’s nie so ernst genommen. Wir sind Musiker, nicht Politiker. Im Moment sprechen und singen wir über die Liebe. Das ist die einzige Sache, die immer läuft. Wir sind an Politik interessiert, aber bevor wir nicht ein Statement abgeben können, das eine Lösung anbietet, gibt’s wenig Grund, darüber zu singen“, so Grace Slick 1977 im „Melody Maker“. Und Paul Kantner sagte schon vor Jahren: „Ich habe mich nie als Revolutionär gesehen.“
Das sind ernüchternde Bekenntnisse von Leitfiguren der‘ Head-Musik-Bewegung, die die Frage aufwerfen, ob denn ganze Nationen Jugendlicher zum Beispiel das sechste Airplane-Album ,,Volunteers“(1969) mißverstanden haben. „Wir sind Außenseiter in den Augen Amerikas. Wir stehlen, betrügen, lügen, fälschen,, verstecken und handeln mit Rauschgift, um zu überleben. Wir sind obszön, ungerecht, scheußlich, gefährlich, dreckig, gewaltätig und jung. Wir sind die Vollstrecker von Chaos und Anarchie. Alles, was man über uns sagt, sind wir wirklich“, hieß es da im Text von „We Can Be Together“.
Sollten wir alle ins falsche Flugzeug gestiegen sein? Wenn Marty Baiin heute behauptet, „Volunteers bedeutet für uns heute nichts mehr!“, ist das verständlich; schließlich haben sich die Zeiten geändert. Aber das der Titel trotzdem noch immer im Live-Repertoire der inzwischen in „Jefferson Starship“ umgetauften Band auftaucht, ist schon eine andere Sache. Was Grace Slick mit ihrem berüchtigtem Sarkasmus abklärt: „Nur weil du ein Lied singst, heißt das noch lange nicht, daß du meinst, was du singst. Mit dem Publikum ist das wie in einer alten Ehe. Manchmal ziehst du ein Kleid an, daß dir längst nicht mehr gefällt, nur um den anderen anzutörnen.“ Liedertexte als Kleider, und das Publikum als Anziehpuppe, der man überstülpt, was gerade gefällt. Eine ganze Generation Großstadtkinder wurde von den JA immerhin nachhaltig beeinflußt.
Schon von Beginn an hatten die JA mit ihrer Plattenfirma RCA Schwierigkeiten. Man lag sich ständig in den Haaren wegen Mißachtung von Sprachtabus, zu denen in Amerika die Wörter trip, shit, fuck etc. zählen. Zensur der Platten und Gerichtsverhandlungen waren an der Tagesordnung. So wurden einige Singles oder deren Rückseiten wie „Runnin‘ Round This World“ und ,.Mexico“ erst auf dem Sampler „Early Flights“ 1974 veröffentlicht. Deshalb rief die Gruppe 1970 ihr eigenes Label „Grünt“ ins Leben. Der letzte Auslöser war „The Worst Of Jefferson Airplane“, ein Sampler, gegen den sich die Gruppe erfolglos gewehrt hatte. Wie viele Gruppen zu jener Zeit träumte sie von einer totalen Unabhängigkeit von der Plattenindustrie, aber der Haken war, daß der Vertrieb weiterhin über dieselben Kanäle lief.
Innerhalb der Gruppe machten sich seinerzeit große Veränderungen bemerkbar. Grace und Paul Kantner wollten bis zur Geburt ihres Kindes (Tochter China) nicht mehr auftreten, und dann baute Grace auch noch einen schweren Autounfall, den sie auf der LP „Bark“ in dem Song ,,Never Argue With A German If You’re Tired“ besingt. Der Rest der Gruppe aber wollte auf Live-Konzerte nicht verzichten. So kam es zu den eigentlich als Nebenbeschäftigung geplanten Ablegern Jefferson Starship und Hot Tuna.
Raumschiff-Rock
Jefferson Starship war Pauls und Grace‘ Solo-Projekt, nur für Studioalben mit Sessionmusikern gedacht. Hot Tuna wurde von Jorma Kaukonen und Jack Casady mit weiteren Westcoastmusikern gegründet. Gleichzeitig verließ Spencer Dryden JA und schloß sich seiner Hobbyband The New Riders Of The Purple Sage fest an. Und auch Marty Baiin hatte das Weite gesucht. Er gründete die kurzlebige Band Grotna.
„Bark“, die erste LP auf Grünt, erschien 1971 in der verbliebenen Besetzung und unter Beistand zweier Hot Tuna-Musiker, von Schlagzeuger Joey Covington und Geiger Papa John Creach. Es war eine sehr gute Platte, in der noch einmal die ganze Intensität ihrer Musik durchschlägt und die Klassiker wie „Pretty As You Feel“ beinhaltet. Grace hatte wieder einmal ihr sicheres Gespür für Komik und Kritik zugleich bestätigt.
Dann folgte eine reichlich chaotische, richtungslose Zeit, die in die heutige totale Durchschnittlichkeit mündete. Paul Kantner verrannte sich immer mehr in seine Science-Fiction-Geschichten und war aus dem Düsenjet längst ins Raumschiff übergestiegen, zelebrierte mit der gesamten Westcoastprominenz ein Mammutwerk nach dem anderen. Immerhin befand die französische Science-Fiction-Gesellschaft das Album „Blows Against The Empire“ für würdig, es für den begehrten Preis „Hugo“ (eine Art Oscar) vorzuschlagen.
Grace demonstrierte ihre Emanzipation mit ihrem ersten Solo-Album „Manhole“ (1974). Hot Tuna dagegen verfolgte weiterhin den bodenständigen, simplen und klaren Country-Rock, was zeigte, daß die Differenzen innerhalb der Gruppe auch musikalischer Art waren. Der Gruppengeist war raus, er ist nie mehr zurückgekommen. Die JA gehörten den späten 60er Jahren an, in den 70er wurden sie zu einem Geschäftsunternehmen mit verschiedenen Direktoren. Zwischen 1971 und 1972 spielten wahlweise bis zu drei Schlagzeuger mit, wurden noch zwei Alben unter ihrem alten Namen veröffentlicht: „Long John Silver“ und die Live-LP „Thirty Seconds Over Winterland“, die alte Stücke, und einen neuen Sänger vorwies, den ehemaligen Quicksilver Messenger Service -Mann David Freiberg. Bis 1974 wurden klare Entscheidungen hinausgezögert und Solo-Alben verschiedener Musikerkombination eingespielt. Vor allen Dingen schien die geschäftliche Aktivität mit Grund die Band zu lähmen. So wurde der Name Jefferson Airplane schließlich gestrichen und Jefferson Starship eine feste Einrichtung auch für Live-Konzerte. Strenggenommen hört die Band—Geschichte nach neun Jahren auf. Deshalb erschien wohl auch zu dieser Zeit der Sampler „Early Flights“ mit verschiedenen unveröffentlichen Stücken.
Der Erfolg blieb der alten Airplane— Stammbesetzung jedoch treu. Für die 1975 erschienene Jefferson Starship-LP „Red Octopus“ und für die Platte „Spitfire“ (1976) bekam sie zweimal Platin, ihre Tourneen waren ausverkauft, und die Auskoppelung “ Miracles “ brachte sie sogar wieder in die Single—Charts zurück. Gleichzeitig hatte Marty Baiin an den häuslichen Herd zurückgefunden. Allerdings nur der Kohle wegen, wie er behauptet.
Zur festen Starship-Besetzung gehört heute neben Baiin, Slick, Kantner, Freiberg der Schlagzeuger Craig Chaquico und der Bassist und Keyboard-Mann Pete Sears. Dem Düsenjet wurden so allmählich die Flügel gestutzt, bis der Vogel ganz lahm dahinsegelte. Heute ist Jefferson Starship eine durchschnittliche Band, die über Liebe singt, aber untrennbar verbunden ist mit einer buntschillernden Epoche, der sie selbst eine Menge Farbe und Glanz verliehen hat. Der Mythos ist geblieben, obwohl keiner mehr mit ihm etwas zu tun habep möchte.
„Look In The Mirror, You’re Looking Guilty/ Did The Devil Just Give You The Nod/ You May Be Thinking You‘ re Funny Looking/ Well You’re Right That’s Right You’re Plenty Odd/ But Think About It Think About It/ If You Were Funny Enough/ You Could Play Great God“, heißt es im Song „Bailad of The Chrome Nun“, erschienen 1973. Heute behauptet Grace Slick, daß Jefferson Airplane nur eine neue Form des Showbusiness gewesen sei und nicht mehr. „Damals waren wir naiv. Wir wollten den Leuten aufs Hirn klopfen, um sie zu schocken, damit sie sehen, was vorgeht. Heute ist das nicht mehr nötig. Die Leute wissen, wie beschissen die Lage ist. Aber was kann man dagegen tun,das ist die Frage!“