Jimi Hendrix Experience
Gestorben ist er nie — auch wenn er seit nun 22 Jahren un ter der Erde liegt. Zu seinem 50. Geburtstag aber erreicht der Hendrix-Boom neue Dimen- sionen: Über drei Millionen Plat ten setzt der Tote jährlich ab — Tendenz weiter steigend. „Neue" Alben, Hendrix-Bücher und -Ausstellungen kommen so sicher wie das Amen in der Kirche. Und junge Gitarristen jeglicher Couleur demonstrieren, daß Jimis Feedback noch lange nicht verklungen ist.
Niemand, der die Szene sah, könnte sie je vergessen. 1967, Monterey Pop Festival in Kalifornien: Soeben hat das euphorisierte Publikum seinem verlorenen Sohn, der sich resigniert nach England abgesetzt hatte, eine frenetische Heimkehr bereitet. Hendrix, dem Rockolymp mit Lichtgeschwindigkeit entgegeneilend, bedankt sich, indem er einen Teil seiner selbst opfert. Mit den Worten „Ich könnte die ganze Nacht immer wieder Danke sagen. Aber, hey, das geht einfach nicht. Also werde ich jetzt etwas opfern, das ich über alles liebe… Mehr als das kann ich nicht tun“, stürzt sich Hendrix in eine apokalyptische Version von „Wild Thing“, an dessen kakophonem Ende er seine Gitarre mit Benzin übergießt und in einer Mischung aus Voodoo-Zauber und kosmischem Orgasmus in Flammen aufgehen läßt.
Flammen, die 22 Jahre nach seinem Tod höher lodern denn je und so manchen angehenden Gitarrengott schweißgebadet aus dem Schlaf hochschrecken lassen. Chuck Berry mag die Gitarre als Rock ’n‘ Roll-Instrument definiert, Pete Townshend von den Who die Effektivität des Feedback entdeckt haben. Keiner aber revolutionierte die Gitarre in so umfassendem Maße wie Jimi Hendrix. Scheu und zurückhaltend im Gespräch, flüchtete er sich zur Kommunikation in sein Instrument. Mit atemberaubender Eloquenz artikulierte sich Jimi auf den sechs Saiten durch jene universelle Sprache, mit der er auf dem Höhepunkt seiner kurzen Karriere nahezu 500.000 Menschen in Woodstock versammelte.
Hinter der bunten Aufmachung des psychedelischen Rattenfängers verbarg sich ein verstörter, gejagter Charakter. Auch wenn Hendrix als Hippie-Guru musikalische Weltraumflüge unternahm, um Steine auf der Sonne zu suchen, galt seine Liebe immer dem Blues. Inmitten des Schmerzes der Musik seiner musikalischen Urväter vermochte Jimi sich selbst zu finden und von den Strapazen des Rockbusiness zu erholen. Früh schon fühlte Hendrix sich mißverstanden und auf seine elektrisierende Show reduziert. Schon in Monterey sprach danach jeder nur von der Show — und nicht von dem musikalischen Feuerwerk, das der damals 24jährige gezündet hatte. Drei Jahre und nur drei Platten später war Jimi tot. Innerlich buchstäblich zerrissen, verheizt von Managern, verschuldet bis über beide Ohren. ¿
In diesem Jahr wäre Jimi Hendrix 50 Jahre alt geworden. Und doch könnte die Euphorie um den Musiker Hendrix nicht größer sein, wäre er noch am Leben. Keine Sparte der populären Musik, die dem Helden der E-Gitarre nicht ohnehin zu Füßen liegt. Heavy Metal ohne Hendrix erscheint undenkbar; im Gitarrenspiel jüngerer Blues-Größen wie Stevie Ray Vaughan ist sein Genie allgegenwärtig. Prince und die erst unlängst von einem breiten Publikum wiederentdeckten P-Funk-Stars Funkadelic und Parüament jagten Hendrix‘ extravagantes Posing in ungeahnte Show-Extreme. Als unverhohlene Hendrix-Aktivisten geben sich vor allem Vertreter des neuen Rock-Mainstreams zu erkennen: Seien es Living Colour, die wie Jimi aus Seattle stammenden Pearl Jam und Soundgarden oder Red Hot Chili Peppers, die ihr Idol erst kürzlich live mit einer furiosen Version von „Crosstown Traffic“ ehrten — für sie steht Jimi für Integrität und Hin¿K;, wobei die Musik stets vor der Akzeptanz durch das Publikums kommt.
Nicht nur Epigonen halten das Erbe am Leben. Mit einer Flut an neu- oder wiederentdeckten Aufnahmen werden die Kassen am Klingeln gehalten. Unter den knapp 20 posthumen Veröffentlichungen vielleicht am substanziellsten ist das Vier-CD-Set „Stages“, das vier komplette Hendrix-Konzerte von 1967 bis 1970 umfaßt. Eine rühmliche Ausnahme in einem Veröffentlichungswust, mit dem seit Jimis Tod in schöner Regelmäßigkeit Kohle eingefahren wird.
Verantwortlich für alle Veröffentlichungen ist zunächst einmal Alan Douglas. Der frühere Hendrix-Produzent ist Direktor der „Are You Experienced“-Stiftung und als solcher die letzte künstlerische Instanz für alles, was unter dem Namen Hendrix an die Öffentlichkeit kommt. Wohin die rund 30 bis 40 Millionen Dollar wanderten, die nach Jimis Tod eingenommen wurden, weiß aber auch er nicht so recht. Die Hendrix-Mitstreiter Redding und Mitchell ließen sich in den 70er Jahren für ein Butterbrot auszahlen; Jimis Vater AI erhält eine kleine monatliche Pension. Ex-Manager Chas Chandler sitzt zwar noch auf 64 unveröffentlichen Bändern, hat von dem Goldregen aber auch nichts gesehen. Die Rechte an allen posthumen und künftigen Veröffentlichungen liegen inzwischen bei zwei obskuren Investorengruppen, die in einem karibischen Steuerparadies hocken und das Geld zählen. Wer dahinter steckt bleibt ein Geheimnis. Angesichts des finanziellen Tohuwabohus hätte Hendrix vermutlich die Hände vor den Kopf geschlagen und den geflügelten Satz gesagt: „Erst wenn du tot bist, hast du ’s wirklich geschafft.“
Am 27. November ’42 wurde James Marshall Hendrix in Seattle geboren. Bis er mit 12 Jahren die Gitarre entdeckte, verlief sein Leben völlig ereignislos. Als die Streitereien im Elternhaus Überhand nahmen, wurde das Instrument immer mehr zur Ersatz-Geliebten. 1959 ging er zur Army. im gleichen Jahr schloß er sich als E-Gitarrist den Rocking Kings an. Als er 1962 wegen eines gebrochenen Knöchels von der Army entlassen wurde, machte er die Musik zum Beruf: Er nahm jeden Job an, den er kriegen konnte und verdiente sich als Begleitmusiker bei den Isley Brothers, Little Richard und Sam Cooke die ersten Sporen. Nach seinem Vinyl-Debüt auf der Isleys-Single „Testify“ 1964 wagte Hendrix Ende ’65 dann auch den Sprung zum Frontmann; zuvor hatte er sich für seine dünne Stimme geschämt. Das sollte sich ändern, als er bei einem Konzert Bob Dylan erlebte. „Wenn Bob mit einer so lausigen Stimme so weit kommen kann, dann kann ich das auch.“
Auch wenn Hendrix des Geldes wegen weiter für King Curtis und
Wohin die Einnahmen von 30 bis 40 Milli- onen Dollar verschwan- den, weiß heute niemand so recht.
Curtis Knight spielt, macht er sich doch langsam als Jimmy James And The Blues Flames“ in den Clubs des New Yorker Greenwich Village einen Namen. Mike Bloomfield von der Butterfield Blues Band schilderte das Konzert-Erlebnis des jungen Hendrix‘ dem „Guitar Player“-Magazin: Jch dachte, ich wäre der heißeste Gitarrist der Szene. Ich ging die Straße rüber und sah ihn mir an. Hendrix wußte, wer ich war, und er verbrannte mich an jenem Tag bei lebendigem Leibe. Ich holte danach nicht mal mehr meine Gitarre raus. Wasserstoffbomben explodierten, Raketen flogen durch die Luft — ich kann den Sound gar nicht beschreiben, den er aus seinem Instrument holte. Er fabrizierte jeden Sound, den ich je von ihm gehört habe — nur mit einer Stratocaster, einem Fender Twin-Verstärker und einem Maestro Fuzz-Gerät. Wie er es machte, ist mir immer ein Geheimnis geblieben. * Auch Animals-Bassist Chas Chandler, der seinen Job an den Nagel hängen und Manager werden wollte, fiel die Kinnlade herunter, als er Jimmy James im Cafe Wha? hörte. Er schleppte den Jungen nach England, brachte ihn mit Mitch Mitchell und Noel Redding zusammen und verpaßte ihnen ein exotisches Hippie-Outfit. Mitch und Noel waren die idealen Mitstreiter für Jimis bevorstehenden Rock-Blitzkrieg. Mitch war ein profunder Jazz- und R & B-Kenner,
der wie besessen sein Drumkit bearbeitete, während Noel, ursprünglich Gitarrist, mit dem Baß die Songs zusammenhielt, wenn Jimi und Mitch buchstäblich Amok liefen. Je nach Gusto brach das Trio live aus den Songschemata aus und ging in fließende Improvisationen über.
Auf Platte erwies sich das Power-Trio schließlich als alles niederwalzender Bulldozer. „Are You Experienced?“ fragte der Meilenstein der Rockgeschichte, der kurz nach einer mißlungenen Warm Up-Tour mit den Monkees (nur ein Verrückter konnte die Experience vor ein kreischendes Teen-Publikum schicken) und der legendären „Purple Haze“-Single in die Läden kam. Jimi spielte so souverän seine gesamte Bandbreite aus, daß der Nachfolger „Axis: Bold As Love“ und selbst das gigantische „Electric Ladyland“‚ stets im Schatten des Debüts blieben. Bei „Are You Experienced?“ aber stimmte einfach alles: Ob Jimi nun in „Manie Depression“ durch den Korkenzieher-Rhythmus des Songs torkelte, „Foxy Lady“ trotz seiner Heaviness erotische Leichtigkeit suggerierte oder „The Wind Cries Mary“ wie zerbrechliche Poesie wirkte — geradezu majestätisch thronte Jimis ehrfurchtgebietende Beherrschung der Gitarre über allem. Feedback war mit einem Mal nicht mehr nur ein unkontrollierbarer Lärm-Effekt, sondern zeigte in Jimis müheloser Beherrschung Eleganz und Schönheit. Einzig die Liebe zum Blues kam etwas kurz, aber „Are You Experienced?“ war eine Platte des „Summer Of Love“: tune in, turn on, drop out. Erst später sollte seine Musik zunehmend schwarz werden.
Bis heute zerbricht sich jeder Gitarrist den Kopf, woher Hendrix all die Sounds zauberte. Jimi selbst, der während seiner Armeezeit die Gitarre sogar mit ins Bett nahm, war nur wenig beeindruckt. Er fühlte sich durch sein Instrument sogar limitiert. In einem Interview mit dem „Rolling Stone“ erzählte er 1970: „Meist kriege ich das auf der Gitarre nicht richtig hin. ich liege träumend herum und höre all diese Musik. Die Gitarre verdirbt das alles, wenn man es zu spielen versucht. Ich spiele ganz einfach nicht so gut, um all diese Musik auf die Reihe zu kriegen.“
Auch das Publikum machte dem menschenscheuen Einzelgänger zunehmend zu schaffen. Er war frustriert, wenn schon seine exaltierte Bühnenshow ausreichte, um die Zuschauer auf die Stühle zu bringen. Seine wirklichen Triumphe feierte Hendrix auf Platte. „Axis: Bold As Love“ war ein gelungenes Follow-Up-Album. Obwohl nur sechs Monate nach dem Debüt aufgenommen, hatte es wenig von der Klaustrophobie der Debüt-LP. Jimi Hendrix wollte ursprünglich ein Doppelalbum veröffentlichen, doch die Plattenfirma hatte sich quergelegt. Erst im folgenden Jahr konnte sich Jimi diesen Traum mit „Electric Ladvland“ erfüllen: Absolut meisterlich setzt er das Studio als viertes Instrument ein. Es sollte das einzige Album bleiben, bei dem Hendrix volle künstlerische Kontrolle besaß. Die ganze Unzufriedenheit und Zerrissenheit, die Jimi zu diesem Zeitpunkt plagte, läßt sich aus den vier Plattenseiten herauslesen. „Electric Ladyland“ ist Hendrix‘ experimentellste und am schwersten zugängliche Platte, aber dennoch — oder vielleicht gerade deshalb — sein beeindruckendstes Statement.
Danach kam die Krise. Die Highlights waren immer dünner gesät. Ratlosigkeit machte sich breit bei dem Genie, das über zwei Jahre hinweg nichts falsch gemacht hatte. Jimi löste die Experience auf. Unentschlossen begann er an dem geplanten Doppelalbum „First Rays Of The Rising Sun“ zu werkeln. Mit wenig Erfolg. Hinund hergerissen zwischen Kunst und Kommerz, entschloß er sich für eine Formation ä la Experience, diesmal aber mit schwärzerer Akzentuierung. Bevor er sich mit der Band Of Gypsies erneut in eine Sackgasse verrannte, feierte Jimi seinen gigantischen Woodstock-Triumph: Auf dem Höhepunkt des Festivals zerfetzte er die amerikanische Hymne mit einer atemberaubenden Feedback-Orgie. Schulden zwangen Jimi wieder auf Tour. Einen Tag, nachdem sein Electric Lady-Studio in New York die Tore öffnete, flog er nach Europa.
Am 18. September 1970 fand ihn eine Freundin leblos in ihrer Wohnung. Im Krankenhaus konnte nur noch der Tod festgestellt werden. Jimi Hendrix erstickte 27jährig nach einer Barbituratvergiftung an seinem Erbrochenen. Kurz darauf folgten ihm Janis Joplin und Jim Morrison in den Tod und beendeten die wohl innovativste Phase der Rockmusik endgültig.
22 Jahre später lebt Jimi Hendrix in seiner Musik weiter. Er hat den Grundstein gelegt für eine farbenblinde Rockmusik, die der Tradition ebenso verbunden ist wie der Freude am Experiment. Einer Rockmusik, die sich vor allem standhaft wehrte gegen die totale Vermarktung. Kurz nach seinem Auftritt in Monterey gestand Jimi einem Reporter: „In fünf Jahren möchte ich Theaterstücke schreiben. Und Bücher. Ich will auf einer Insel, meiner Insel, sitzen und meinem Bart beim Wachsen zuhören.
Und dann komme ich zurück und fange als Biene noch einmal von vorne an. Als Bienenkönigin. „