Joan Armatrading
Scheinbar schonungslos seziert sie in ihren Songs das eigene Seelenleben. Daß der Sachverhalt in Wirklichkeit um einiges komplizierter ist, konnte Steve Lake in einem Gespräch erfahren, das vor ihrer Deutschland-Tournee in Stockholm geführt wurde.
Joan! Baby! Ich liebe dich! Ich habe alle deine Platten! Und nicht etwa aus dem Radio aufgenommen! Nein, ich habe sie alle gekauft!“ So krakeelt mit lauter Stimme Paula Watson, gargantueske New Yorkerin und Hauspianistin am Klavier des „Clipper Club“. („Eine gemütliche, ruhige Bar mit einer internationalen Atmosphäre“ – „Stockholm bei Tag und Nacht“.) Paula ist gesegnet mit einem Körperbau, der sie liegend größer erscheinen ließe als stehend, und ihre Stimme würde wohl jedes Nebelhorn vor Scham verstummen lassen.
„He, Joanie! Du schreibst doch Songs, stimmt’s? Ich werd‘ dir jetzt einen von meinen Songs vorspielen, denn ich glaube, der würde höllisch gut zu deiner Stimme passen! Und ich werde ihn in deinem Stil singen!“
Inzwischen haben sich alle Blicke zur Theke gewandt, wo Joan Armatrading, einen Orangensaft in der Hand, sich alle Mühe gibt, nicht zu zeigen, wie fürchterlich peinlich ihr das alles ist. Ms. Watson beginnt nun den versprochenen Song, einen rausgeschmetterten Blues mit jeder Menge tiefer Grunzer und Falsett-Kiekser. Der Songtext ist eine Kindheitserinnerung daran, wie sie einmal ein Baum sein wollte. Dem ist so leicht nicht zu folgen, aber die meisten Bandmitglieder fahren darauf ab, und auch die Roadmanager schreien: „Yeah!“ und „Come on!“ und „Go!“
Joan lächelt nur. Möchte sie auch mal singen? Nein, möchte sie nicht. Will ins Bett. Ist müde. Aber danke, vielen Dank. Das war … ähm … sehr nett.
Der Rest des Abends nimmt den typischen Verauf: eine Band on the road. Die Drinks kommen ohne Unterlaß. Sclagzeuger Justin Hildreth schlendert zu einer winzigen, sechzehnjährigen skandinavischen Schönheit: „Hallo. Hast du schon einen Freund? Willst Du einen?“ Rock’n’Roll, versteht ihr? Nicht viel Zeit für Höflichkeitsfloskeln.
Wie Joan Armatrading in eine solche Welt paßt, ist eine unbeantwortete Frage. Sie ist eine sehr zurückgezogene Person. Schüchtern, scheu, mit dem Ruf, als Interview-Partnerin sehr „schwierig“ zu sein. „Hmm“, grübelt sie. „Mir ist schon aufgefallen, daß jeder außer mir alle anderen Leute zu kennen scheint. Ich chätze, es ist meine eigene Entscheidung, daß ich mich nicht (unter’s Volk mische, aber das klingt wahrscheinlich überheblich, wenn du es so schreiben würdest. Ich sage nicht: ‚Ich hasse diese Szene und ich will nicts mit ihr zu tun haben.‘ So ist ist ja auch nicht. Ich bin einfach so. Ich konnte mich nie gut unter die Leute mischen.“ Auch ihre intaensiv persönlichen Songtexte bilden eine weitere Maske.
Wenn man auf die Worte von „The Weakness In Me“ Mp, die so gefühlsbetont interpretiert werden – “ Why do you come here when you know I’ve got troubles enough? Why do you call me when you know I’can’t answer the phone?“ hat man das Gefühl, sie legt ihre eigenen Empfindungen bloß. Das isi doch ganz sicher ein Geständnis? Ihre Fans würden dafür die Hand ins Feuer legen.
„Ich kriege immerzu Briefe von Kids, die mir schreiben: Ich habe gerade dasselbe durchgemacht wie du in dem und dem Song. Manchmal erleben sie ihre Liebesbeziehungen durch die Songs. Sie schickt ihm zum Beispiel den Text von ‚The Weakness In Me‘, und er schickt ihr „I Wanna Hold You’zurück.“
Es ist ein wenig ernüchternd zu hören, daß keiner von Joans Songs autobiografisch ist. „Für mich ist es einfacher, sie so zu schreiben. Manchmal sind sie absolut erfunden, manchmal beziehen sie sich auf Dinge, die Bekannte von mir erlebt haben – in einer Situation, die ich nachvollziehen konnte. Aber letztlich ist es doch egal, oder? Ich weiß, das Publikum hält die Songs für persönlich und glaubt, ich spreche von mir selbst, aber die Leute projizieren sich selbst und ihre Erfahrungen in die Songs hinein. Deswegen fühlen sie sich von ihnen auch betroffen, und darauf kommt es es an.“
Joan wurde am 9. Dezember 1950 in St. Kitts geboren und verbrachte ihre ersten sieben Lebensjahre in der Karibik, bevor sie 1958 mit ihrer Familie nach England kam. Sie erinnert sich an kaum etwas aus dieser Zeit und wüßte auch nicht, welche Musik sie als Kind gehört hat. In Birmingham, ihrem nächsten Wohnort, fühlte sie sich meistens elend und eingeschränkt.
„Ich glaube, ich hatte alle nervösen Krankheiten, die man sich nur vorstellen kann. Du kennst vielleicht diesen Allergie-Test, wenn sie dir etwas einspritzen, um herauszufinden, worauf du reagierst. Nun, ich reagierte einfach auf alles! Mein ganzer Arm war geschwollen. Der Arzt sagte, ich sollte am besten aus der Stadt wegziehen, und er hatte recht. Sobald ich aus Birmingham weg war, wurde alles besser.“
Während sie mit einer Theatergruppe aus der Provinz „Hair“ aufführte, begann ihre Zusammenarbeit mit der Dichterin Pam Nestor, die aus Guayana stammt. Mit Nestor nahm sie das Album WHATEVER FOR US auf, produziert von Gus Dudgeon und 1972 in England auf Cube veröffentlicht. Die Platte wurde jedoch gegen ihren Wunsch als ein Armatrading-Album promotet und nicht als Duo-Projekt. Die daraus sich ergebenden Spannungen machten eine weitere Zusammenarbeit der beiden Frauen unmöglich. Joan brauchte drei Jahre, um sich aus diesem Vertrag zu befreien.
Als sie 1975 wieder an die Öffentlichkeit trat, tat sie das mit einem neuen Label (A & M), einem neuen Album, BACK TO THE NIGHT, und einer neuen Tournee-Gruppe, The Movies. Es hatte überdies den Anschein, als sei der Jazz zu einem wesentlichen Faktor ihrer Musik geworden. Auch auf ihrer LP JOAN ARMA-TRADING und der Hit-Single, die daraus ausgekoppelt war, „Love And Affection“, sind die Jazz-Einflüsse zu spüren. Im Rückblick meint Joan jedoch, die Arrangements dieser frühen Alben könnten vielleicht ihre Intentionen und die gewollte Richtung verfälscht haben.
„Ich glaube, es war so: Als ich anfing, trat ich immer mit Jazz-Musikern auf. Mit Donald Byrd zum Beispiel, mit Mose Allison, Roland Kirk … ich spielte mit Cecil Taylor, mein Gott, der war unglaublich. Was für ein Musiker! Ihm sind immer wieder die Klaviersaiten gerissen! Damit ich in Clubs wie ‚Ronnie Scott’s‘ auftreten konnte, mußte ich halt Jazz-Elemente in meiner Musik haben … Mir hat die Zeit in den Jazz-Club gefallen, , aber ich glaube, was meine Arbeit als Songschreiberin betrifft, so wurde ich dadurch ein bißchen aus derBahn gebracht. So ungefähr zur Zeit von ‚Take It To The Limit‘ fühlte ich wirklich das Bedürfnis, die Musik zu vereinfachen, mehr Grundakkorde zu benutzen und die Songs so schnell wie möglich auf den Punkt zu bringen.“
Übereinstimmung zu finden mit dem musikalischen Zeitgeist?
„Mag sein. Aber mir kommt es wie eine sehr natürliche Fortentwicklungvor. Ich bin nicht eine von denen, die sich der Zeitstim mung anpassen, indem sie jeweils dem gegenwärtigen Favoriten nachrennen. So bin ich nie gewesen. Zu Hause höre ich zum Beispiel im Moment meistens Frank Zappa, Public Image, Wes Montgomery und Joni Mitchell! … Zappa schreibt wunderbare Texte, stimmt’s? Wie war noch deine Frage? Ach ja. Nun, von Disco und hard core punk habe ich mich immer ferngehalten, denn ich hatte das Gefühl, es sei nicht die richtige Musik für mich.“
Ich frage sie, auf welche Qualitäten sie besonders achtete, als sie ihre neue Band zusammenstellte, die geradesten und schnörkellosesten Musiker, mit denen sie bis jetzt gearbeitet hat.
„Früher suchte ich geschmackvolle, melodische und elegant spielende Musiker mit einer Menge Finesse für Arrangements, die wirklich fließen sollten. Das war sehr schön, aber es fehlte irgendwie die Erregung, die Spannung. Also suchte ich danach. Ich fing an mit Drinks und Drogen! (Sie lacht) Bei dieser Band suchte ich Leute mit viel Energie, die aber gleichzeitig auch starke Musiker sein sollten.“
Die Musiker, die sie auswählte, sind der Gitarrist Gary Sanford, Tastenmann Dean Klevatt (kürzlich bei Lene Lovich), Bassist Jeremy Meek (ehemals bei Live Wire), Schlagzeuger Justin Hildreth und Percussion/Harmonika-Mann Julian Diggle. Nur Sanford und Doggle spielten auf der neuen Platte, WALK UNDER LADDERS, und es überrascht zu hören, daß die Besetzung für diese Platte vom Wunderkind-Produzenten Steve Lillywhite vorgenommen wurde. Überraschend, weil Joan in den meisten Bereichen ihrer Karriere alles allein entscheidet.
Ja, das ist gewöhnlich so gewesen. Ich bereite meine Demos zu Hause vor. Ich benutze eine Schlagzeugmaschine, und ich spiele Baß und Gitarre und Synthesizer. Die Arrangements sind vorhanden. Ich brauche keinen Produzenten, der mir sagt, wie die Songs arrangiert werden sollten, ich brauche ihn nur dazu, daß er hilft, den Sound besser und voller zu machen. Deswegen lasse ich den Produzenten die Musiker bringen, die er für die einzelnen Parts hört. Ich will deswegen gewiß nicht die Rolle von Steve Lillywhite herunterspielen. Das Album klingt so gut, wie es klingt, wegen Steve.“
Der Tourmanager klopft an die Garderobentür. Fünf Minuten noch, dann beginnt das Konzert in Stockholms Stadthalle. „Nebenbei mal“, sage ich, „ich habe kürzlich Stewart Copeland interviewt, und er sagte, er sei mal dein Tourmanager gewesen …“
„Sagt er das, ja? (sie lacht) Auf meiner ersten US-Tournee war er mehr ein Tour-Begleiter. Er hatte kaum was anderes zu tun, als jeden Abend das Geld zu kassieren.“
Heutzutage scheint er sich gern über Politik zu unterhalten. Über dieses Thema möchtest du ja anscheinend nie sprechen.
„Politik ist eine seltsame Sache. Ich habe meine eigenen politischen Ansichten, aber ich bin der Meinung, man sollte nicht leichtfertig mit dem Thema umgehen. Und wenn man über Politik spricht, um den Lauf der Weltereignisse zu ändern, kann man das tun, indem man sich nur einmal dazu äußert und dann auch noch in einer Pop-Zeitschrift? Es ist eine sehr ernste Sache, und ich bin kein Politiker, also halte ich mich daraus.“
Bist du je gebeten worden, Benefiz-Konzerte zu gegen?
„Ja, aber aus denselben Gründen neige ich dazu, es abzulehnen. Wenn ich nur ein Konzert für irgendeine Organisation gebe, wie soll das wirklich helfen? Darin ist doch nicht viel Engagement, oder?“
Ich habe mich über eine Menge Gruppen geärgert, die für ‚Rock Against Racism‘ spielten, denn tatsächlich haben sie keinem geholfen, weil sie höchstens sich selbst helfen wollten …“
„Nein, Politik ist zu ernst, um sie auf die leichte Schulter zu nehmen. Wenn die Leute einen Artikel lesen, ein Interview wie dieses, was wollen Sie wissen? Sie sind doch nur neugierig, nicht wahr? Wollen Insider-Information über das Leben eines Pop-Stars, das ist alles. Niemand klammert sich an meine Worte als ein Signal, auf die Straße zu gehen oder sonstwas …“
Zweifellos gibt es Musiker und Rock-Journalisten und Leser, die dieser Behauptung widersprechen würden, aber dazu bleibt uns jetzt keine Zeit…