Joan Armatrading


Auf diese Konzerttournee blickten Veranstalter, Manager und PR-Leute mit Schrecken: Joan Armatrading, in der BRD nahezu unbekannt, würde sie die Konzertsäle auch nur halbwegs füllen können? Sie konnte, und das mit Zuschauerzahlen, die weit oberhalb der optimistischsten Erwartungen lagen. Elfhundert in Hamburg, neunhundert in Köln für eine Sängerin wie Joan Armatrading einerseits überraschend und andererseits der Antrieb, den eingeschlagenen Weg weiter zu beschreiten.

Unsicher blickte Joan Armatrading umher. In Busballschuhen. grauer Crdhose und schwarzem Pulli paßte sie nicht gerade in die krampfhaft seriöse Atmosphäre, die das Kölner Interconti – Hotel ausstrahlt. In vieler Hinsicht kommen einem bei Joan s Erscheinung Begriffe wie schüchtern, unsicher, gehemmt und sogar introvertiert in den Sinn. Nur, die Sängerin ist nicht so: Nach wenigen Sätzen merkt man, daß hier eine zielstrebige, kluge und sensible Frau sitzt. der allerdings jegliches Stargehabe abgeht. Und eine Künstlerin, die nicht mit vordergründigen Weisheiten aufwartet, sondern die Dinge zwischen Musik und Geschäft differenziert sieht: „Ich gehe keine Kompromisse mit der Plattenfirma ein. Daß die Firma andererseits was an mir verdienen will, ist nur klar. Eben hierbei haben wir uns miteinander arrangiert“

Zauberhaft

Auf solche Weise erreichte Juan Armatrading im vergangenen Jahr mit „Love And Affection“ immerhin Platz vier der englischen Hitparaden, der Nachfolger „Show Some Emotion“ wurde ebenfalls erfolgreich wegen der Komplexität der Songs mindestens eine Ungereimtheit Joan Armatrading inmitten von Disco-Sound und Punk und Unsinn mit einem Hit erklären kann die Sängerin dies selber nicht. Wie überhaupt Joan den Hindruck macht, als wisse sie nicht, warum ihre Musik einer gröber werdenden Fangemeinde derart gefällt. Sie baut auf kein bestimmtes Image, spielt nun mittlerweile schon vier LPs lang zauberhafte Songs, deren Ursprünge sowohl im Jazz als auch im Reggae. Blues. Rock. sogar im Calypso liegen, ohne jemals mit simplen Effekten um Aufmerksamkeit zu heischen. Sie knöpft weder die Bluse auf. noch wirbelt sie über die Bühne, ja sogar ihr brilliantes Gitarrenspiel hält sie eher im Hintergrund. Und doch besitzt sie ein Konzept: „Ich spiele Armatrading-Songs. die so und so klingen, und wenn das vielen Leuten gefällt, ist’s umso besser“.

Über die musikalischen Einflüsse der Sängerin läßt sich kaum streiten: Sie hat keine, aber kennt alles. Wenn sie schon behauptet, von niemand beeinflußt zu sein, bedeutet dies dann, sie stehe isoliert in der Szene? „Teils ja. teils nein. Ich habe nie vor dem Radio gesessen und andere Sänger zu imitieren versucht. Natürlich bin ich von meiner Umgebung und meiner Herkunft geprägt, benutze dies aber nicht bewußt als Einflüsse. Insofern konnte man mich als selbstgewählt isoliert bezeichnen. Trotzdem höre ich viel andere Musik“. Zum Beispiel? „Boomtown Rats. Stranglers oder ….. ach. eigentlich alles, was mir gefällt, wie’s gerade kommt. Ich kann da nicht wie andere Leute eindeutige Vorlieben angeben“.

Bevor ich aber nun. nachdem ich mich schon während des Konzerts, beim Gespräch aber erst recht in diese faszinierende Künstlerin verknallt hatte, endgültig ms Schwärmen gerate. lieber mal ein paar nüchterne Fakten. Joan wurde vor knapp achtundzwanzig Jahren auf einer winzigen Westindischen Insel namens St. Kitts geboren, kam 1957 mit ihrer Familie nach Birmingham und zog .Anfang der siebziger Jahre nach London. Mit ihrer Freundin Pam Nestor, die Gedichte schrieb, trat sie in kleinen Clubs auf, wurde „entdeckt!“ und unterschrieb bei der Firma (über einen Plattenvertrag 1973 erschien in Kooperation mit Pam Nestor die erste LP „Whatever’s For Us“, die unterging und einen anderthalbjährigen Prozeßstreit mit der Firma nach sich zog: „Cube war ein total schlechtes Label. Der Prozeß verhinderte mein Fortkommen, fast hätte ich die Singerei an den Nagel gehängt“.

Auf dem neuen Label A&M erschien dann 1975 „Back To The Night“, die Kritiker zum Jubel, aber tun wenige Fans zum Kauf animierte. Erst mit der ’76er-LP. „Joan Armatrading“ lief die Sache besser, die Single „Love And Affection“ tat ein übriges. Inzwischen sind Joans“s Alben, speziell das letzte, „Show Some Emotion“, regelmäßige Gäste in den LP-Listen geworden in England wie auch m den USA

Atemberaubend

Zum Erfolg von Joans Platten trägt wohl nicht zuletzt ihr Live-Auftritt bei. Zunächst spielt da eine vorzügliche, ungemein zurückhaltende Band, die jedoch häufigem Personalwechsel unterworfen ist. In der BRD rückte Joan mit den völlig unbekannten Amerikanern Steve Brantley (bg). Bill Harn (g). Matt Beiton (dr). Quitman Dennis (sax, fl) und Red Young (keyb) an. Und vor ihnen agierte eine jungenhafte Frau, die nicht nur in atemraubenden Tonlagen und mit präzisen Gitarrenklängen zu überzeugen weiß, sondern auf jeden Zwischenruf reagiert, wenn sie freundschaftlich-charmant über den nächsten Song erzählt. Mit Händen in der Hosentasche berichtet sie, wie irgendein fremder Mann sie mal in der Eisenbahn anmachen wollte und was weiter passierte… Das hat nichts mit Sex zu tun, aber sehr viel mit Frau, nichts mit Tina Turner’s Brust- und Nabelschau, sondern mit einer bemerkenswerten Persönlichkeit.

Vieles von dieser Ausstrahlung kommt auch auf dem Plattenspieler ‚rüber. Offenbar kann Joan ihre Individualität und ihre Wärme auch per Platte transportieren, nicht zuletzt durch eine phänomenale Stimme, die Vergleiche zu anderen Sängerinnen unmöglich macht. Und so fällt es denn sehr schwer, jemandem Joan Armatrading und ihre Musik mit Worten wesentlich näherzubringen.