Joanna Newsom – London, Barbican Centre


Die heilige Johanna und das Symphoniearchester.

Es ist ein bisschen zum Jaulen, das Gejaule der Popkulturgelehrten mit ihren schalen Hippie-Beißreflexen, die in diesen schweren Zeiten das Heer der Popkonsumenten frühvergreist und „taktgenau schreitend“ irn Eskapismus versinken sehen, weil ein paar momentan die Musik von Folkies in bunten Gewändern gut finden, anstatt sich die neuesten hochbrisanten Dubstep-Whitelabels reinzutun. Aber ach. Vielleicht gibt es da doch gefährlichere Verblender der lügend als die schmale junge Frau, die da auf der Bühne des Barbican Centre sitzt, die Harfe an der Schulter und ein 40-köpfiges Orchester im Rücken.

Draußen vor dem ausverkauften Saal hofft noch eine Menschenschlange auf Resttickets, gelockt von der faszinierenden Aussicht, Newsoms YS, dieses überirdisch wirkende, komplexe Kunstwerk von einem Aibum, live reproduziert zu sehen: Ja, geht das denn überhaupt? Freilich macht der popsozialisierte Hörer da die Rechnung gern ohne die routinierte Virtuosität eines Klangkörpers wie dem London Symphony Orchestra: Wenn die erst Notenblätter vor den Nasen haben, nimmt die Pracht ihren Lauf – und das tut sie jetzt. Vom ersten Violinenstrich an lauscht man wie gebannt. YS wird gegeben, in voller Länge und mit schön erbsenzählerischer Detailgenauigkeit (bis hin zum Vokal-Cameo von Bill „Smog“ Callahan am Ende von „Only Skin“, für das dieser eine Viertelstunde geduldig stehend auf seinen Einsatz wartet); die ergänzenden Tupfer und Sprengsei von Van Dyke Parks‘ Arrangements besorgen der Percussionist Neal Morgan (der zudem subtil unerlässliche Gesangsharmonien beisteuert) und Ryan Francesconi an Gitarre, Banjo und Tambura, offenbar Newsoms „Band“. Und vorne dran Newsom, ihr präziser Gesang schwebend über den Wogen, ihre Harfe eingebunden in den Gesamtklang – die ganze betörende Wucht ihres Spiels entfaltet sich dem Hörer erst beim orchesterlosen Ys-Mittelstück „Sawdust And Diamonds“.

Als nach knapp 60 Minuten der letzte Ton von „Cosmia“ veklungen ist, sitzt man wie belämmert, dann bricht ein Jubelsturm los. Newsom, ohne jedes etwaige Feen-Getue, bedankt sich euphorisiert und ungelenk. Und kommt nach einer Pause (und einem „Christine! Aguilera costumechcwge. I was sweating really hard“) zurück, für einige Solo-Stücke und zwei neue Songs, eines davon ein grandioses, rhythmisch und harmonisch angeschrägtes Stück Avantgarde-Kammerfolk in – so für sie neuer -Triobesetzung mit den beiden flankierenden Kollegen. Und das war bei aller Herrlichkeit vielleicht sogar die schönste Nachricht, die dieser Abend zeitigte: Die Frau ist schon wieder einen Schritt weiter und schreibt neue Stücke. >»www.dragci tv.com/bands/newsom