Themeninterview

John Lydon im Interview über Endlichkeit: „Ich bin sehr optimistisch“


Im Gespräch mit 67-Jährigen ging es um die existenziellen Themen des Lebens: Punk und Tod.

Bis zur Implosion der Sex Pistols war John Lydon unter seinem Nom de Guerre „Johnny Rotten“ für eine kurze, chaotische Zeit die zentrale Figur des frühen britischen Punk. Als Kopf der Post-Punk-Band Public Image Ltd beschritt er danach immer wieder ungewohnte musikalische Wege. Vierzig Jahre nach der Veröffentlichung von PILs größtem Hit „This Is Not A Love Song“ erscheint diesen Sommer mit END OF WORLD ein neues Album.

Egal ob als junger Bürgerschreck oder als alter weißer Mann: John Lydon oszilliert stets zwischen Provokation und Nachdenklichkeit, zwischen scharfer Ironie und wilder Polemik. Im Gespräch mit 67-Jährigen ging es um die existenziellen Themen des Lebens: Punk und Tod.

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Hallo John, wie geht es Ihnen heute?

Danke, ich bin am Leben.

Sie machen seit fast 50 Jahren Musik. Was treibt Sie nach all den Jahren noch an?

Die Liebe. Ich liebe das, was ich mache. Ich wollte immer Songs schreiben und Musik machen. Es ist das einzige, was ich wirklich gut kann. Es ist meine Erfüllung.

Sie gelten als einer der Väter des Punk. Wir schreiben das Jahr 2023. 1976 ist eine halbe Ewigkeit her. Was bedeutet der Begriff Punk für Sie heute noch?

Do it yourself! Versuche selbständig zu denken. Sei nicht Teil einer großen Gruppe oder einer Massenbewegung. Die Presse hat damals Punk schnell zur Bewegung erklärt. Das war zerstörerisch. Ich habe mich nie als Teil einer Bewegung gesehen.

Einer der historischen Verdienste von Punk war, dass Pop mit Ironie infiziert wurde. Heute ist ist Ironie längst Mainstream. Ist die Ironie am Ende?

Nein, denn das, was im Mainstream gezeigt wird, ist nicht Ironie, sondern Dummheit. Der Mainstream hat Ironie, Sarkasmus und Humor doch nie verstanden. Die Mainstream-Kultur parodiert sich damit selbst, was wiederum ironisch ist. Ich komme aus der Arbeiterklasse. Wir hatten wenig, aber was wir hatten, war Ironie. Warum sind die reich und wir arm? Uns ging’s nicht um Neid, sondern darum, Mauern einzureißen. Das Streben nach Reichtum ist ein Irrweg. Er führt in die Einsamkeit. Ich kenne sehr wenig reiche Leute, die wirklich glücklich sind.

Sie haben ihre Ehefrau, mit der sie mehr als vierzig Jahren verheiratet waren, nach einer langen Krankheit verloren. Wenn man ihre Karriere verfolgt, dann waren schreckliche persönliche Verluste immer Teil ihres Lebens. Von John „Sid Vicious“ Ritchie, über ihre Stieftochter Ari Up, die Sängerin der Punkband The Slits, bis hin zu ihrem langjährigen musikalischen Partner Keith Levene. Wie sehr haben sie Verluste geprägt?

Ich habe auch meine Eltern verloren. Für mich persönlich ist es sehr hart, wenn jemand plötzlich verschwindet und nie mehr zurückkommt. Ich verstehe, dass manche Menschen deshalb religiös werden. Aber organisierte, von Menschen erfundene Religionen werden für mich nie die Antwort sein.

Sie haben versucht, Irland beim Song-Contest zu vertreten …

Moment, ich hab’s nicht versucht, ich wurde eingeladen. Und es war eine wunderbare Chance für mich, meinen Song „Hawaii“ zu performen. Meine Frau Nora war zu dem Zeitpunkt noch am Leben. Und in dem Song habe ich ihren Tod vorhergesehen. Das war emotional extrem schwierig für mich.

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Der Song „Hawaii“ Ist ein kontemplativer Song über Liebe, Verlust, Erinnerung und Tod. Aus meiner Sicht aber völlig ungeeignet, den Song Contest zu gewinnen …

Wen interessiert das Gewinnen schon!

Genau das wäre meine Frage gewesen. Wollten Sie gar nicht gewinnen?

Ich konnte den Song spielen und das später Nora zeigen. Darum ging es. Ich konnte sehen, wie sehr sie das gefreut hat. Nora hat sogar den pinken Anzug ausgesucht, mit dem ich bei der irischen Vorausscheidung aufgetreten bin. Als sie das gesehen hat, hat sie gerufen: Oh, Johnny! Es gab aber tatsächlich Leute, die geglaubt haben, dass ich gewinnen wollte. Diese Leute verstehen nicht, was es bedeutet, wenn zwei Menschen, die sich sehr lieben, mit dem Tod konfrontiert sind.

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Das aktuelle Album ihrer Band Public Image Ltd trägt den Titel END OF WORLD. Klingt nicht sonderlich optimistisch.

Ich bin sehr optimistisch. Die Tatsache, dass ich mich nicht umbringen werde, beweist das. Das Leben ist das allerwichtigste. Obwohl ich mit dem schrecklichen Verlust meiner Frau Nora leben muss, wird die Liebe zu ihr in mir weiterleben. Das hätte sie auch gewollt.

Und das alles spiegelt sich in ihrem neuen Album nieder?

Genau. Im Mittelpunkt all meiner Arbeiten steht immer die Hoffnung. Ich bin kein Schwarzmaler. Der Weltuntergang ist eher was für modische Goth-Typen.

1976 war das sogenannte Year Zero. Die Stunde Null. Aber das ist auch Blödsinn. Selbst Punkbands der ersten Stunde waren von Bands beeinflusst, die vor ihnen kamen. Die Ramones etwa waren von Phil-Spector-Bands wie den Ronettes geprägt. Wer hat John Lydon beeinflusst?

Über Punk wurde in den vergangenen Jahren viel Blödsinn geschrieben. Der größte Blödsinn ist, dass Punk ursprünglich aus New York gekommen ist. Mich haben David Bowie, Marc Bolan, Roxy Music, The Sweet, Slade oder Jimmy Hendrix beeinflusst. Das waren alles keine Amerikaner. Wir hatten gar keinen Zugang zur New-Yorker-Szene. Die Texte der Sex Pistols haben sich total auf die britische Kultur fokussiert. Ja, die Ramones waren okay, aber musikalisch sind mir Status Quo lieber. Und ja, ich verstehe den Phil-Spector-Konnex. Aber der Sound von ihm war immer schrecklich. Die hat mir in den Ohren wehgetan.

Hören Sie Musik von aktuellen Künstler:innen?

Ja, ich liebe das Geräusch, das ihre Pinsel auf der Leinwand machen. [lacht] Ich habe schon das Wort „Künstler“ nie gemocht, weil es allem Pompösen Tür und Tor öffnet. Als ich mit den Sex Pistols begann, gab es Bands wie Emerson, Lake and Palmer oder Yes. Absurde, egomanische Gruppen, die versucht haben, sich als klassische Musiker zu gerieren. Das war mir alles fremd. Und die Texte? Völlig bedeutungslos.

Okay, ich formuliere es um. Welche aktuellen Acts hören Sie?

Ach, viele! Mein Wurzeln liegen im Pop. Je poppiger, desto besser! Pop-Bands haben die Fähigkeit, mit wenigen Worten sehr viel zu sagen. Das ist genial. Es gibt heute aber auch viele gecastete Acts, die sehr gekünstelt wirken. Im Prinzip verkörpern sie das, was man einst den Sex Pistols vorgeworfen hat.

Ich würde sogar sagen, die Sex Pistols waren eine archetypische Popband. Würden Sie dem widersprechen?

Ich habe zumindest ein paar Songs geschrieben, die einen gewissen kulturellen Impact hatten.

Und das ist ja wohl die Essenz von Pop, oder?

Ja.

Apropos Sex Pistols. Alle vier Gründungsmitglieder sind noch am Leben. Wie stehen die Chancen für eine vielleicht letzte Reunion?

Sind Sie sich sicher, dass die anderen drei physisch noch am Leben sind? Nein, im Unterschied zu mir ist ihr Platz in der Geschichte von einer enormen Menge an Vortäuschung – Fakery – geprägt.

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Letzte Frage: Wer ist eigentlich ihre liebste deutsche Punkband?

Die Toten Hosen. Als ich sie zuletzt getroffen haben, haben sie mir aus irgendeinem Grund eine Kiste Brandy geschenkt. Das Zeug war schrecklich!