Johnny be good
Ein echter Blueser muß schwarz sein und in seinem Leben schon reichlich gelitten haben. Völliger Blödsinn! Mit 16 Jahren beweist ein Junge namens Jonny Lang, daß Blues Feeling keine Frage von Hautfarbe oder Alter ist.
Mensch noch mal! Eigentlich sollte der Junge längst im Bett liegen und seine Stimme schonen. Denn die ist ihm nachmittags plötzlich für einige Stunden abhanden gekommen. Beinahe hätte dieses kleine Malheur Jonny Lang den Live-Auftritt in der ARD-Show „Geld oder Liebe“ vermasselt. Doch um Mitternacht, nachdem Vater Jon Langseth (39) Jonnys Band und ein halbleeres Pilsglas in der Bar des Kölner Hyatt Hotels zurückgelassen hat, biegt der Blues-Youngster fröhlich um die Ecke.“Ich sehe doch aus wie 18, oder?“fragt das jüngste Gesicht der Nacht mit dieser dunklen, rauhen Stimme, die gerade weltweit Furore macht.
Ungefragt massiert Jonny seinem Gitarristen Paul Diethelm die breiten Schultern, bestellt sich ein „Sprite“ und versucht, ein paar Witze in der Runde unterzubringen. Jonny ist gerade mal „sweet little sixteen“,zum ersten Mal in Europa und viel zu müde, um zu schlafen. Seit drei Monaten tourt er. Von Toronto aus an die Ostküste der USA, durch die Südstaaten an die Westküste bis hoch nach Seattle. Danach vier Wochen Auftritte mit Buddy Guy. Und heute abend wird er hinter der Bühne der Samstagabend-Show von Steve Winwood, einem seiner Helden, gelobt. Mutig schenkt ihm Jonny mit roten Ohren und wenigen Worten sein Debutalbum“LieToMe“und bekommt dafür im Gegenzug Winwoods neue CD „Junction Seven“. „Cool“ findet der Junge das.
Saukalt ist der 70.000 Einwohner-Ort, in dem Jonny Lang groß wurde.- Fargo, North Dakota. Mit vier dreht er dort zum erstenmal das Radio voll auf: „Ich liebte ‚Billy Jean‘, wollte unbedingt so werden wie Michael Jackson.“ Und als er endlich die stolze Höhe einer Parkuhr erreicht hat, entdeckt Jonny seine zweite große Liebe, das Saxophon für ihn so wertvoll wie für andere ein kleines Steak. Streit über die richtige Musik gibt es im Hause Langseth nie. „Temptations, Supremes, Four Tops, Lionel Richie. Jonny mochte, was ich so hörte und umgekehrt“, beschreibt Papa Jon die ungewöhnliche Eintracht zwischen den Generationen.
Dann kommt der Tag, an dem Daddy seinen Sohn mit auf ein Konzert der Bad Medicine Blues Band nimmt. Ab sofort hat Jonny nur noch Ohren für den Blues. Jon Langseth: „Er sagte mit leuchtenden Augen, daß er das auch machen will. Bei Jonny ist sowas keine Laune. Er war immer ein ernsthaftes Kind und hat im Sandkasten alles zu Ende gebracht, was er begonnen hatte. Also kontaktete ich die Band.“Zu seinem 13. Geburtstag bekommt Jonny eine Gitarre. Bad Medicine-Gitarrist Ted Larsen steuert zehn Stunden Basis-Unterricht bei. Die Feinheiten kupfert der Teenie im Kinderzimmer von den CDs seiner neuen Idole B. B. King und Albert Collins ab.
Während seine Mitschüler auf Hip Hop-Parties tanzen, übt der Junge, dessen Geschichte sich liest wie der Text von Chuck Berrys Klassiker johnny B. Goode“, wie besessen für seinen ersten Gig. Der Sänger von Bad Medicine steigt aus, Jonny soll für ihn ans Mikrophon-und sorgt gleich für Wirbel:
Pünktlich zur ersten Probe ereilt den Jungen, der bis dahin „wie ein kleiner Michael Jackson singt“ (Jon Langseth),der Stimmbruch. Jonny klang plötzlich, als würde er mit rostigen Nägeln gurgeln und 40 Zigaretten am Tag rauchen“, erzählt sein Dad.“Erst waren wir geschockt, dann aber hofften wir, daß die Stimme so bleiben würde.“
Ein paar Monate später ist Jonny auch an der Gitarre ein Hit – und der Star in Fargo. Am 24. Juni 1994 wird die Bad Medicine Blues Band umgetauft in Jonny Lang & The Big Bang. Langseth ist dem Bengel zu lang. Außerdem:“Auf der Bühne bin ich ein anderer. Wenn ich mich auf Video sehe, bin ich selbst erstaunt über mich“, gibt Jon Langseth jr. preis.
Ein Freund der Familie hilft mit Geld, um das junge Blues-Wunder auf CD zu brennen. Die Indie-Produktion „Smokin“‚ verkauft 25.000 Exemplare und verschafft sich an den richtigen Stellen Gehör. Alles, was in der Sechs-Saiten-Szene Rang und Namen hat, lädt Jonny zu Sessions ein – Luther Allison, Kenny Neal und Jimmy Thackery sind von dem Greenhorn begeistert. Und Vater Jon verkauft seine Araberpferde, den Mähdrescher und den Rest seiner kleinen Farm, um nur noch für die Karriere seines Sohnes zu arbeiten.
Seinen letzten Schultag hat Jonny Lang, kurz nachdem er mit Familie und Band nach Roseville bei Minneapolis umgezogen ist. Verblöden im Namen des Blues will er jedoch nicht: „Ich habe einen Privatlehrer, der mich für meinen Abschluß fit macht.“ Und einen Vater, der ihn auf Reisen zu den Kulturdenkmälern schleppt. „Heute morgen waren wir im Kölner Dom. Unglaublich. Wir haben in Minneapolis auch eine große Kathedrale. Aber gegen das hier ist sie ein Kartenhaus.“
Jonny entdeckt die Welt. Auf die Schule kann er verzichten. Glaubt er. Denn: „Teenager sein, heißt in Amerika, auf der Highschool herumhängen, mit Freunden Blödsinn machen und dafür jede Menge Ärger kriegen. Wenn ich mit meiner Band unterwegs bin, lerne ich viel wichtigere Lektionen über das Leben.“ Aber seine Telefonexzesse verraten die entwurzelte Seele. Für 700 Mark hat der blonde Schlaks vom Hotel aus mit seinem Kumpel Eric in Fargo geplaudert. Mutter, Schwester und Katze stehen ebenfalls auf seiner Vermißtenliste. Und auch seine „gute Freundin“ aus Los Angeles. „Sie heißt Hayley. Ich habe schon seit einer Woche nicht mehr mit ihr gesprochen. Oh Gott.“
Kann Jonny zu Hause niemanden erreichen, schnappt er sich die Gitarre und spielt den Blues. „When I Come To You“ und „Missing Your Love“, zwei von ihm selbst geschriebene Songs auf „Lie To Me“, sind in solchen blauen Stunden entstanden. Bei der Ballade „Missing Your Love“ dachte Jonny an die böse Zeit,als er unglücklich verliebt war. „Ich war ein Wrack, habe gelitten wie ein Hund. Eine ganze Woche lang.“ So, so. Dem Blues-Bengel wächst zwar gerade der erste Flaum auf der Oberlippe, aber er will schon Experte in Liebe, Lust und Leidenschaft sein? Jonny kontert: „Wer sagt denn, daß ich nur über die Liebe zu einer Frau singe? Ich meine die Liebe im allgemeinen. Und die kenne ich.“
Es ist eine Frau, die das „blaue Wunder“ beim Konzert in Fargo gesehen hatte und anschließend mit dem Produzenten David Z (Prince, Fine Young Cannibals, Collective Soul) zusammenbringt. „Davids Ex-Frau. Sie lobte Jonny so wortreich, daß David sofort klar wurde, daß da was dran sein mußte. Denn seine Ex redet sonst nicht viel mit ihm“, erzählt Vater Langseth. Und tatsächlich: Der große Produzent ruft eines * Tages an. Jonny hat einen neuen Fan. Mr. Z rät für „Lie To Me“ zu einer vollwertigen Mischung aus frischer und klassischer Blues-Kost.Jonny groovt sich durch Syl Johnsons „Back For A Taste Of Your Love“ und Ike ‚ Turners „Matchbox“. Das lässige „Good Morning! Little Schoolgirl“ von Sonny Boy Williamson bringt er extra-dirty rüber. Von Keyboarder Bruce McCabe stammt die schwermütige Gib‘-mir-den-Whiskey-Ballade „The Darker Side“, in der Jonny seine blaue Benedict Telecaster so richtig weinen läßt. Ebenfalls von McCabe stammt der kraftvolle Titeltrack „Lie To Me“, 42 den der Grünschnabel in „Geld oder Liebe“ vor einem Millionenpublikum röhrt und der das Album aus dem Nichts heraus auf Platz 11 der deutschen Albumcharts katapultiert.
Überhaupt Köln: Zu vorgerückter Stunde schnörkelt Jonny mit quietschendem Filzstift seine Unterschrift auf ein paar Schwarzweißfotos – Autogrammwünsche von WDR-Mitarbeitern. Eine Regieassistentin (doppelt so alt wie er) findet: „Du bist ja ganz schön sexy.“ Solche Komplimente hört der blonde Teenager ziemlich oft.Aber sie perlen an ihm ab wie Regentropfen an seiner gut polierten Telecaster und sind ihm trotzdem peinlich, so etwas.“Ich wette, die da findet dich auch sexy“,frotzelt Keyboarder McCabe und deutet auf eine blondierte Dame mittleren Alters, die gerade auf Goldhacken vorbeistöckelt. „Trink doch noch einen Jägermaster, Bruce“, will Jonny seinen grinsenden Musikerkollegen ablenken. Denn durch amouröse Zoten läßt sich der Jungstar noch sichtlich aus dem Konzept bringen. Das in der Musikbranche übliche „Hey-Babewie-geht’s“-Gerede indes beeindruckt den Gitarristen,der als“next bigthing“ gehandelt wird, schon lange nicht mehr. „Diese scheinheiligen Typen rieche ich meilenweit gegen den Wind“, sagt er streng und äfft die wichtigtuerische „Hollywood-Bande“ mit kieksiger Stimme nach: „Warum rufen deine Leute nicht meine Leute an und machen einen Lunch-Termin?“ In solchen Momenten setzt der einssechsundachtzig lange Lang ein breites Grinsen auf und wirkt wie einer, der für die Gepflogenheiten in seiner Branche nur ein verständnisloses Kopfschütteln übrig hat.
Mit einem Plattenvertrag über vier Alben in der Tasche hat er noch reichlich Gelegenheit, seinen Blick für die Branchenmenschen zu schärfen. Den zu erwartenden Geldregen nimmt er gelassen. „Geld bedeutet für mich, den Bandbus aufzutanken und weiterspielen zu können.‘ Im Grunde habe sich sein Traum ja schon erfüllt, philosophiert er. Weitergehende Ambitionen pflegt Jonny nicht. Und was er mit seinem Geld machen will, weiß er schon ziemlich genau: „Ich würde meiner Mutter gerne eine Hütte in den Bergen von Colorado kaufen.“ Dann überlegt er noch ein bißchen und sagt: „Ich möchte mit Geld so clever umgehen wie Bill Gates – und so auf dem Teppich bleiben wie Steve Winwood.“ Seine Augen leuchten bei dem Namen noch ein bißchen blauer.
Derweil übt Papa Jon die ewige Gratwanderung zwischen Promotion und Protektion:“Es ist manchmal schwer für mich zu entscheiden, was für Jonny zuviel ist und was fürs Geschäft notwendig ist.“ Wenn sein Sohn wirklich nicht mehr kann, wird auch mal ein Interview oder ein Auftritt abgesagt. Soviel Star muß sein. Mr. Langseth verrät seine Strategie: „Je älter Jonny wird, desto mehr trete ich in den Hintergrund – ich zeige ihm Möglichkeiten, mache ihn auf Probleme aufmerksam und warne ihn vor Fallen. Aber die Entscheidungen, jedenfalls die musikalischen, die trifft er selbst.“
Wunderkind. Blueswunder. Das hört und liest Jonny ständig. Und ist reichlich genervt. „Ich hab‘ wohl auch Talent.aber auch verdammt viel gearbeitet. Da ist das Wort ‚Wunder‘ wohl ein bißchen ungerecht“, regt er sich a uf. Sein blaues Wunder erlebt trotzdem jeder, der den Burschen sieht. Etwa auf der Bühne: Dort überrascht Jonny mit einem bei aller schneidenden Schärfe erstaunlich warmen und eigenständigen Ton, mit dem er eventuelle spielerische Mängel locker wettmacht. Zwar mangelt es den Soli des minderjährigen Zwölftakters mitunter noch an der rechten Dramaturgie, und verständlicherweise verfügt er nicht über den elegante Souveränität eines Eric Clapton oder die virtuose Dynamik eines Stevie Ray Vaughan. Aber es wäre wohl unfair, dieses blutjunge Riesentalent mit Maßstäben zu messen, denen selbst erfahrene Profis nicht gerecht werden können. Zudem besitzt Jonny etwas, das dem Blues noch nie geschadet hat und den gesetzten Recken des Genres oft abgeht: Power satt und Enthusiasmus im Übermaß. Bei seinem ersten Auftritt auf deutschem Boden überzeugt der Business- Novize denn auch einen Tag nach „Geld oder üebe“die Blues-Kenner in München als Support Art von Keb Mo‘.
Den Abschluß von Jonny Längs erstem Deutschland-Trip bildet am folgenden Tag Hamburg. Dort steigen Familie Langseth und ihr musizierender Tross im gleichen Hotel ab wie Aerosmith, bei deren US-Tournee im Sommer Jonny Lang das Vorprogramm bestreiten wird. Mädchentrauben belagern den r roten Teppich vor der Drehtür. Jonny, der glaubt, die Mädels seien auch wegen ihm gekommen, verschwindet mit eiligen Schritten in der anonymen Lobby der Nobelherberge. Doch noch gilt der ganze Auflauf anderen: Die Jung-Frauen sind vor allem erschienen, um dem Ex-Take That Gary Barlow zu huldigen…