Johnny Depp


In Hollywood zählt er zu den jungen Wilden. Für ihn selbst aber zählt mit 35 nur noch die Schauspielerei.

Deine Karriere – vom Teeniestar zum emstzunehmenden Schauspieler – Ist eine Variante des Amerikanischen Traums. Ist die Realität genauso gut wie der Traum?

Unbedingt. Ich hatte eine Menge Träume und Sehnsüchte in meinem Leben. Vor allem zu jener Zeit als ich meine Rolle bei der Teenieserie „21 Jump Street“ hinschmiß und mir schwor, nie wieder einen Part anzunehmen, der mir gegen den Strich läuft. Ich hatte keine Ahnung, ob ich damit durchkommen würde. Aber ich war fest entschlossen, die Sache durchzuziehen, es zumindest zu versuchen. Und heute, neun Jahre später, habe ich bei weitem mehr erreicht als ich je zu träumen gewagt hätte.

Die Realität ist also besser als der Traum?

Definitiv! Ich meine, welcher Schauspieler hat schon das Glück, mit Helden wie Marlon Brando oder AI Pacino zu arbeiten?

Trotz deines Optimismus‘ spielst du jetzt die Hauptrolle In dem Film „Fear And Loathing In Las Vegas“ (ab 24. September in den Kinos/Anmerkung der Redaktion). Das düstere Drogendrama setzt sich aber eher mit dem Ende des Amerikanischen Traums auseinander. Ist er am Ende gar schon ausgeträumt?

Schwer zu sagen. Um so mehr, wenn man kein Zyniker ist. Ehrlich gesagt, sehe ich mich mehr als Realisten an. Ich denke, der Amerikanische Traum ist zu einem gewissen Punkt das, was du daraus machst. Du mußt ihn für dich selbst finden. Geh‘ raus in die Welt, kämpfe für deinen Traum und realisiere ihn.

Hast du selbst denn immer an deinen Traum geglaubt?

Ich denke, ein Großteil von „Fear And Loathing handelt von der verzweifelten Suche danach. Und irgendwie handelt der Film davon, daß die Hoffnung, deinen Traum jemals verwirklichen zu können, langsam stirbt. In den 60er Jahren gab es wenigstens noch ein gewisses Maß an Hoffnung. Doch als John F. Kennedy ermordet wurde, waren wir schon auf dem Weg in eine gräßliche Abwärtsspirale. Danach wurde Martin Luther King umgebracht, danach Bobby Kennedy, danach Malcolm X, all diese großartigen, weisen Persönlichkeiten. Am Ende konnte man nur noch völlig down sein. Zwar gab es gegen Ende der 60er Jahre den Traum von Einigkeit und von der Generation der liebe Doch zur gleichen Zeit zeigte das Fernsehen die Bilder vom Krieg in Vietnam. Wie auch immer: Es ist nicht immer leicht, an den Amerikanischen Traum zu glauben. Zumindest nicht für sensible Menschen wie mich.

Du sprichst über die Ereignisse der 60er und 70er Jahre beinahe so, als ob du die Geschehnisse damals schon sehr bewußt erlebt hättest.

Oh, das habe ich! „Fear And Loathing In Las Vegas“ spielt ja im Jahr 1971, und damals war ich immerhin schon acht Jahre alt. Ich weiß noch, wie meine Familie und ich beim Abendbrot saßen und das Fernsehen die neuesten Nachrichten über Vietnam brachte. Und auch an den Watergate-Skandal kann ich mich noch gut erinnern.

Zu „Fear And Loathing In Las Vegas“: Warum war es dir so wichtig, die Rolle des Raoul Duke zu übernehmen, also das durchgeknallte After ego des Schriftstellers Hunter S. Thompsons zu spielen?

Hunter ist ein Autor, den ich schon seit vielen Jahren bewundere. Jedenfalls fühlte ich eine immense Verantwortung, in diesem Film mitzuspielen. Zum einen, weil ich ein riesiger Fan des gleichnamigen Buches bin, seit ich es zum erstenmal in die Hände bekam. Zum anderen hatte sich im Laufe der Zeit ein sehr persönliches Verhältnis zwischen Hunter und mir aufgebaut. Wir gingen sehr freundschaftlich miteinander um, unterhielten uns öfter und hingen zusammen ab. Ich schätze aber, der Hauptgrund, bei „Fear And Loathing In Las Vegas“ mitzumachen, lag darin, daß ich mich dafür verantwortlich fühlte, den Inhalt des Buches mit Hilfe des Films einem breiteren Publikum näherzubringen. Hunters Buch ist ein großes Geschenk an die Menschen. Bis heute hat es nichts von seinem irrwitzigen Charme verloren.

Für die Rolle des Raoul Duke mußtest du dir eine Halbglatze schneiden lassen. Halb so schlimm? Oder doch eine eher unangenehme Angelegenheit?

Ich war mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob ich über das Trauma der täglichen Rasur hinwegkommen würde. Doch anscheinend hat’s mir nichts ausgemacht. Dennoch, vielleicht packt’s mich ja doch noch eines Tages, und dann hab‘ ich es am Hals.

Wie und wo hast du den Kultautor Hunter S. Thompson eigentlich kennengelernt?

Das war in Aspen, Colorado, wo Hunter wohnt, Weihnachten vor drei Jahren. Eigentlich hatten wir gar nicht vor, ihn zu treffen. Meine Freundin (das Supermodel Kate Moss/Anmerkung der Redaktion) und ich hatten lediglich Lust auf Schnee. Also fuhren wir nach Aspen. Wir hingen damals zusammen mit einer Bekannten in der „Woody Creek Tavem“ ab. Das ist Thompsons Stammkneipe. Nun muß man wissen, daß unsere Begleiterin schon damals mit Hunter befreundet war. Plötzlich sagte sie: „Ich hab‘ vorhin einen Anruf bekommen. Hunter kommt gleich auf einen Sprung vorbei.“ Ich saß nur da und dachte, oh mein Gott, ich werde Hunter S. Thompson treffen, den Mann, dessen Arbeit ich schon seit so vielen Jahren bewundere. Fünf Minuten später flog die Tür auf, und da stand er auch schon, mit Sonnenbrille, Hut, Militärjacke und…

…den berühmt berüchtigten Bewegungen, bei denen sich seine Arme drehen wie die Flügel einer Windmühle?

Ganz genau. Aber es kam noch besser. In der rechten Hand hielt er eine Knarre, in der linken ein Elektroschockgerät mit dem er wild um sich schlug. Die Funken stoben nur so durch die Kneipe, und die Leute purzelten wild durcheinander. Das war mein erster Eindruck von Hunter S. Thompson. Schließlich kam er zu uns an den Tisch, setzte sich seelenruhig hin, und wir nahmen einen Drink zusammen.

Glaubst du, Ihr beide habt irgendwelche Gemeinsamkeiten, Wesenszüge, die euch miteinander verbinden?

Auf jeden Fall. Es gibt sogar eine ganze Menge von Zügen, die uns miteinander verbinden. Aber der wichtigste ist garantiert, daß ich aus Louisville stamme und er aus Owensboro. Beide Städte liegen in Kentucky. Es wird immer eine besondere Form der Verständigung zwischen Typen aus Kentucky geben. Kentucky ist nämlich sehr speziell.

Du hast schon so unterschiedliche Charaktere wie den Regisseur Ed Wood, den weltfremden „Edward mit den Scherenhänden“ oder jetzt – in „Fear And Loathing In Las Vegas“ – den durchgeknallten Raoul Duke verkörpert. Muß man eigentlich ein menschliches Chamäleon sein, um alle diese Persönlichkeiten glaubhaft darstellen zu können?

Ja, auch wenn es mir manchmal schwerfällt. Trotzdem, der Abwechslungsreichtum ist das, was mir an der Schauspielerei am besten gefallt. Wenn ich mich in einen interessanten Charakter hineindenken, ihn quasi entdecken muß, dann wirkt das auf mich äußerst stimulierend.

Du bist ein Star. Wie kommst du mit diesem Status zurecht? Man hört ja bisweilen, daß du manchmal ganz schön ausrasten kannst.

Ehrlich gesagt, stelle ich mir verdammt oft die Frage, warum ich in den Augen der Leute etwas Besonderes bin. Warum zum Teufel soll ich so anders sein als der Hot-Dog-Verkäufer an der Ecke, als der Klempner oder der Müllmann.

Das fragst du dich allen Ernstes?

Na klar. Weil diesen Typen gestattet ist, menschlich zu handeln. Etwas, das Leute, die in der Öffentlichkeit stehen, nicht so ohne weiteres dürfen. Bloß, warum muß das so sein? Wir alle sind äußeren Einflüssen augesetzt und reagieren irgendwie darauf. Und wenn du – wie ich – lebst wie in einem Aquarium, dann fühlst du dich beinahe wie ein Ausstellungsstück. Im Restaurant zum Beispiel. Du genehmigst dir gerade ein schönes Steak, und plötzlich starrt dich der Typ am Nebentisch an. Du denkst: Jesus, habe ich etwa Kartoffelbrei am Kinn?

Und das heißt?

Ganz einfach: daß ich Probleme damit habe, ein Star zu sein. Allein die Tatsache, daß manche Magazine das Gesicht eines Schauspielers neben die Ankündigung eines möglichen Angriffs durch den Irak stellen, zeigt doch, daß da irgendwas schiefläuft. Ein Star neben einer Situation, in der eine Menge junger Männer und Frauen ihr Leben verlieren könnten da ist nichts mehr im Gleichgewicht. Das steht in keiner Relation zueinander.

Hin und wieder hat man aber den Eindruck, daß du es durchaus genießt, ein Star zu sein. Ist das nicht in gewisser Weise schizophren?

Ganz ehrlich: Am meisten fürchte ich mich vor einer genetisch bedingten, angeborenen Verrücktheit. Die meiste Zeit über halte ich mich für einen ziemlich normalen Typen. Aber offensichtlich bin ich gar nicht so normal. Ein Teil von mir würde es lieben, endlich seßhaft zu werden – mit einem weißen Gartenzaun ums Grundstück, ein paar Kindern, einer netten Frau und einem Goldfisch. Ich würde jeden Abend bis elf fernsehen und dann ins Bett gehen. Stimmt schon, im Grunde bin ich ein altmodischer Typ. Irgendwann möchte ich mal ein alter Mann mit Bierbauch sein, der auf seiner Veranda sitzt und auf einen Fluß glotzt. Irgendsowas in der Art. Ein Teil von mir würde das bestimmt lieben. Doch der andere Johnny Depp muß raus in die Welt und sich so richtig im Schlamm suhlen.

Eine Zeitlang wolltest du Rock’n’Roller werden. Du hast sogar als Gitarrist in einer Reihe von Bands gespielt. Wieso ist aus deiner Musikerlaufbahn nichts geworden?

Als ich mich entschlossen hatte, die Schauspielerei ernsthaft zu betreiben, wußte ich ab einem bestimmten Punkt meiner Karriere, daß meine Laufbahn als Musiker zu Ende war. Ich machte zwar weiterhin Musik und hatte auch Spaß daran, aber das hatte nichts mit meiner eigentlichen Bestimmung zu tun. Für mich verhalten sich Schauspieler, die Musik machen, um damit Geld zu verdienen, nicht ganz korrekt. Nerhmen wir mal an, ich würde eine Platte aufnehmen. Ich müßte doch davon ausgehen, daß manche Fans sie nur deshalb kaufen wiirden, weil mein Name draufsteht. Die Kritiker dagegen würden die Musik wahrscheinlich in Grund und Boden schreiben. Und zwar aus demselben Grund – weil der Name Johnny Depp auf dem Cover stehen würde. Dabei ist die Musik ironischerweise meine große Liebe. Dennoch, ich bin Schauspieler, nicht Musiker. Das ist mir irgendwann bewußt geworden.

Trotzdem hast du vor einiger Zeit mit einer Band namens „P“ eine Platte aufgenommen.

Das war nur ein kurzfristiges Projekt, das aus einer Laune heraus enstanden ist, genauso wie diese Aufnahme mit Oasis („Fade In/Fade Out“/Anmerkung der Redaktion), auf der ich mit meiner Stimme zu hören war. Aber auch das hatte nichts mit dem Wunsch zu tun, Musiker zu werden. Es hat einfach nur Spaß gemacht.

Zurück zu deinem neuen Film. In „Fear And Loathing In Las Vegas“ dreht sich viel um das Thema Drogen. Wie steht es um deinen eigenen Konsum?

In einer bestimmten Phase meines Lebens habe ich mit Drogen herumexperimentiert. Ich fing damit an, als ich noch ein Junge war. Damals kostete die Unze Gras (ca. 31 Gramm; Anmerkung der Redaktion) ungefähr 25 Dollar – es muß also schon ziemlich lange her sein. Als meine Marihuana-Phase abgeschlossen war, begann ich zu trinken. Und ich rede hier von ernsthaftem Trinken. Ich meine, es gibt Leute, die nehmen ein paar Drinks zu sich, werden besoffen, und das war’s. Aber ich kann immer weitermachen, wie ein Faß ohne Boden. Das ist der Zustand, wenn man ein Problem mit dem Alkohol hat. Irgendwann erreichte ich jedoch glücklicherweise einen Punkt, an dem ich mich fragte, was ich da eigentlich mit mir anstellte. Heute ist high zu werden für mich gleichzusetzen mit empfindungslos werden. Manche Leute glauben bis heute, ich sei ein Typ, der wahllos Hotelzimmer zerlegt und durch Drogen verwirrt ist. Dabei habe ich mich von dieser Art zu leben schon seit langer Zeit total entfernt.

1996 hast du im Drogenrausch die sündhaft teure Suite eines New Yorker Nobelhotels zerlegt.

Das ist lange her. Außerdem hatte ich damals einen totalen Aussetzer. Mehr möchte ich darüber nicht sagen. Es war ein einmaliger Ausrutscher.

Man munkelte, du hättest in jener Nacht Krach mit deiner Freundin Kate Moss gehabt.

Völliger Quatsch! Kate hatte mit dieser Sache absolut nichts zu tun. Es schwirren ständig Gerüchte über uns in der Welt herum, weil wir ein gefundenes Fressen für die Klatschpresse sind. Doch die meisten Stories sind Schrott, frei erfundener Müll.

Woran arbeitest du gerade?

Ich stecke mitten in den Dreharbeiten zu Roman Polanskis neuem Film. „The Ninth Gate“ ist ein Thriller, ziemlich spannend. Und ziemlich düster. Wahrscheinlich paßt das zu meinem Charakter.